Hintergrund

Parkinson ist mehr als nur Zittern

Nicht-motorische Symptome werden bei Patienten mit Morbus Parkinson oft unterbewertet. Darauf wiesen Experten beim Parkinson-Kongress in Kiel hin. Uneinig waren sie sich beim Nutzen einer frühen Therapie mit Antiparkinsonmitteln.

Von Michael Koczorek Veröffentlicht:
Tremor bei Parkinson: Andere Symptome werden oft unterbewertet.

Tremor bei Parkinson: Andere Symptome werden oft unterbewertet.

© Dolberg

Bei einer Diskussion über die Gewichtung von Parkinson-Symptomen stellte Professor Claudia Trenkwalder aus Kassel die motorischen Defizite in den Vordergrund. Vor allem jüngere Patienten seien dadurch beeinträchtigt.

Die Motorik sei entscheidend für Progression und Behinderung, sie beeinträchtige Arbeit wie auch Freizeit. Der Stellenwert der Motorik werde auch bei der Tiefenhirnstimulation deutlich: Sie bessert primär die motorischen Symptome und sekundär auch die Lebensqualität, so Trenkwalder beim Parkinson-Kongress in Kiel.

Professor Wolfgang Jost aus Wiesbaden dagegen hält die nicht-motorischen Symptome für unterbewertet. Als Beispiel nannte er die Nykturie: Fünfmal pro Nacht zur Toilette gehen sei keine Seltenheit, was besonders in Off-Phasen schwierig ist. Auch Obstipation setze vielen Patienten zu, so Jost.

Bisher habe man wenig an Gegenmaßnahmen zu bieten. Dieses Manko sei historisch bedingt: Zunächst hätten vor allem die motorischen Symptome im Vordergrund gestanden, und deshalb seien Arzneien auch zuerst gegen diese Symptome entwickelt worden.

Erst später seien autonome Störungen und psychiatrische Komorbiditäten als wesentlich wahrgenommen worden, sie stünden auch heute noch im Hintergrund, so Jost. Das manifestiere sich auch in der Klassifizierung der Erkrankung, die sich rein auf die Motorik konzentriert.

Auch die Diagnose erfolge klassisch über die Bradykinese und mindestens ein weiteres Symptom wie Rigor, Ruhetremor oder Haltungsinstabilität. Erst in den Ausschlusskriterien würden autonome Störungen oder Demenz aufgeführt.

Nicht-motorische oder autonome Störungen kämen aber ebenso häufig vor wie Tremor: außer Obstipation und Harndrang auch kardiovaskuläre Störungen, orthostatische Hypotension, erektile Dysfunktion, psychiatrische Erkrankungen, Schlafprobleme oder Schmerz.

Sie treten in allen Stadien auf und mindern die Lebensqualität wesentlich. Auch die Mortalität wird nach Aussage von Jost von den nicht-motorischen Symptomen bestimmt: "Am Tremor ist dagegen noch keiner gestorben."

Zur Debatte stand in Kiel auch, ob Antiparkinsonmittel schon bei der Diagnose oder erst bei starken Beschwerden indiziert sind.

Professor Günther Deuschl aus Kiel plädierte für eine frühe Therapie. Das solle auch in den Leitlinien festgelegt werden. Die immer noch praktizierte Zurückhaltung gehe auf Vorstellungen zurück, dass L-Dopa dopaminerge Neuronen zerstört und die Produktion von Hydroxylradikalen in der Substantia nigra steigert.

In niedriger Dosis aber schütze L-Dopa Mittelhirnzellen. Auch eine Studie belege, dass L-Dopa nicht toxisch wirkt und eine frühe Therapie den Krankheitsverlauf bremst.

Eine frühe Therapie sei außerdem deshalb vermieden worden, weil angenommen wurde, sie verursache frühe Komplikationen, so Deuschl. Tatsächlich induziere L-Dopa Dyskinesien - aber diese könnten mit Dopamin-Agonisten reduziert werden.

Mit Ropinirol etwa kommt es deutlich seltener zu Dyskinesien als mit L-Dopa. Auch Impulskontrollstörungen sollten kein Hinderungsgrund für eine frühe Therapie sein. Eine Studie habe ergeben, dass 14 Prozent der Patienten während der Behandlung kauf-, spiel-, ess- oder sexsüchtig werden.

Aber Impulskontrollstörungen seien zum einen gut beherrschbar, zum anderen dürfe man den verbleibenden 86 Prozent der Patienten die Therapie nicht vorenthalten, sagte Deuschl.

Auch andere Faktoren erhöhten das Risiko für Komplikationen im Laufe der Erkrankung: Alter unter 65 Jahre um den Faktor 2,5, familiäre Belastung um den Faktor 2, Rauchen um den Faktor 1,7. Zudem gebe es viele Anhaltspunkte für eine Krankheitsmodifikation bei frühem Therapiebeginn.

Dem widersprach Professor Peter Vieregge aus Lemgo: Bisher gebe es keine Evidenz für ein späteres Auftreten oder eine mildere Ausprägung der überwiegend nicht-dopaminergen späten Störungen oder für ein längeres Überleben bei frühem Therapiebeginn.

Studien zu Bromocriptin versus L-Dopa als Initialtherapie hätten zudem keinen Vorteil für den Dopaminagonisten bei der Lebenszeit und nach 14 Jahren bei der Frequenz motorischer Komplikationen ergeben. Auch für Ropinirol versus L-Dopa sei nach zehn Jahren kein in der Parkinsonskala UPDRS fassbarer Unterschied nachweisbar.

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