Morbus Parkinson

Drei Faktoren bestimmen Progression

Forscher haben nach aktuellen Studiendaten neue Subtypen von Morbus Parkinson definiert. Bei orthostatischer Hypotonie, REM-Schlaf-Verhaltensstörungen und kognitiven Defiziten schreitet die Krankheit besonders schnell voran.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Rund 35 Prozent der untersuchten Parkinsonpatienten gehörten einer Subgruppe mit rapidem Krankheitsverlauf an.

Rund 35 Prozent der untersuchten Parkinsonpatienten gehörten einer Subgruppe mit rapidem Krankheitsverlauf an.

© Ralf Dolberg

STOCKHOLM. Morbus Parkinson kann bei einzelnen Patienten sehr unterschiedlich verlaufen.

Bei manchen dominiert der Tremor, bei anderen die Bradykinese, einige zeigen bei der Diagnose bereits eine posturale Instabilität oder kognitive Defizite.

In der Vergangenheit wurden die Patienten daher nach den dominierenden Kardinalsymptomen eingeteilt, etwa in tremordominant oder in solche mit vorherrschender Bradykinese.

Bei tremordominanten Patienten wurde ein langsamerer Verlauf angenommen als bei solchen mit primärer Akinese.

Der prognostische Wert solcher Einteilungen wurde aber immer wieder angezweifelt und durch Studien infrage gestellt, berichtet die Neurologin Professor Mya Carin Schiess aus Houston/Texas in einem Editorial (JAMA Neurol 2015; 72: 859).

So gehen manche Neurologen inzwischen davon aus, dass es sich bei unterschiedlichen motorischen Subtypen größtenteils um verschiedene Krankheits-Stadien handelt, wobei der Tremor lediglich früher beginnt.

Präzisere prognostische Kategorien

Forscher um Dr. Seyed-Mohammad Fereshtehnejad vom Karolinska-Institut in Stockholm haben nun nach präziseren prognostischen Kategorien gesucht. Dabei wollten sie empirische Ansätze zur Klassifizierung außen vor lassen und wählten eine hypothesenfreien Ansatz.

Sie schauten also nicht, ob bestimmte vordefinierte Eigenschaften wie tremor- oder nicht tremordominant mit einer besseren oder schlechteren Prognose einhergehen.

Vielmehr beobachteten sie eine Kohorte von 113 Parkinsonpatienten über mehrere Jahre hinweg und erfassten dabei eine möglichst hohe Zahl von Parametern (JAMA Neurol 2015; 72: 863).

Dazu zählten sie motorische Symptome, motorische Komplikationen, kognitive Funktion, Schlaf, psychische Probleme, autonome Manifestationen, Geruchs- und Sinneswahrnehmungen - möglichst alle bekannten Funktionen, die durch M. Parkinson beeinflusst werden.

Summenscore im Blick

Schließlich schauten sie über eine Clusteranalyse, welche der Symptome und Krankheitsmanifestationen mit einer besonders schnellen Progression einhergehen.

Die Progression wurde über einen Summenscore (Global Composite Outcome, CGO) festgestellt. In diesen flossen die UPDRS-Werte mit ein, die kognitive Leistung und nichtmotorische Symptome.

Zu Beginn waren die Patienten im Schnitt 67 Jahre alt und seit rund sechs Jahren an Parkinson erkrankt. Nach den Eingangstests wurden die Teilnehmer im Mittel viereinhalb Jahre später erneut gründlich untersucht.

Die Clusteranalyse ergab nun sieben Parameter mit prädiktivem Wert für die Prognose: die UPDRS-II- und -III-Werte, REM-Schlaf-Verhaltensstörungen (RBD), orthostatische Hypotonie, leichte kognitive Beeinträchtigungen (MCI), Depressionen und Ängste.

Von diesen waren wiederum drei nichtmotorische Symptome am aussagekräftigsten: RBD, orthostatische Hypotonie und MCI. Über diese Parameter konnten die schwedischen Forscher drei Kategorien mit unterschiedlicher Prognose herausarbeiten.

Die erste Kategorie mit 38 Prozent der Patienten hatte hauptsächlich motorische Symptome. Eine orthostatische Hypotonie fehlte komplett, MCI und RBD waren relativ selten, ebenso ausgeprägte Depressionen und Ängste. Bei solchen Patienten schritt die Krankheit in der Studie am langsamsten voran.

Dramatische Verschlechterung

Die deutlichste Progression konnten die Forscher in einer Kategorie beobachten, die sie als diffus-maligne bezeichneten. Hier hatten alle Patienten eine MCI und eine orthostatische Hypotonie, über 90 Prozent zudem eine RBD.

Diese Patienten zeigten auch gravierendere motorische Symptome und Komplikationen. Depressionen und Ängste traten bei ihnen recht häufig auf. In diese Kategorie gehörten rund 35 Prozent der Patienten.

Verglichen mit den Patienten aus der ersten Kategorie kam es hier zu einer drastischen Verschlechterung des Summenscores CGO (Odds Ratio, OR 8,0), der kognitiven Leistung (OR 8,7), der motorischen Symptomatik (OR 4,1) sowie anderer nichtmotorischer Funktionen (OR 10,0).

Die übrigen Patienten ordneten die Geriater um Fereshtehnejad einer Zwischenkategorie zu.

Hier hatten zwar ebenfalls alle Patienten einen orthostatische Hypotonie und 60 Prozent eine RBD, aber keiner eine MCI. bei den motorischen Symptomen unterschieden sich die Patienten kaum von der Kategorie mit der besten Prognose, sie waren ebenfalls moderat ausgeprägt.

Weniger dramatische Progression

Die Krankheitsprogression schritt in den einzelnen Domänen hier zwar etwas schneller voran als in der ersten Kategorie, jedoch weitaus weniger dramatisch als bei den diffus-malignen Patienten. So lagen die Odds-Ratios hier nur im Bereich von 1,2 bis 1,7.

Das Fazit der Studienautoren: Ärzte sollten schon bei der Diagnose der Patienten nach einer orthostatischen Hypotonie, nach REM-Schlaf-Verhaltensstörungen und nach einer MCI schauen.

Damit lassen sich diejenigen Patienten erkennen, bei denen die Erkrankung besonders schnell voranschreitet.

Solche Patienten sind zwar tendenziell etwas älter (63 versus 60 Jahre in der Studie), wenn sie alle drei Marker für eine ungünstige Prognose zeigen, aber nicht unbedingt länger krank als Patienten in den anderen Kategorien, sodass es sich tatsächlich um eine Subgruppe mit besonders rapidem Krankheitsverlauf und nicht nur um ein späteres Stadium der Erkrankung handeln könnte.

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