Studie

Gentherapie mit NGF nützt nichts bei Alzheimer

Eine Gentherapie mit dem Nervenwachstumsfaktor NGF bei Alzheimer ist in einer kontrollierten Studie gescheitert: Den Patienten ging es noch schlechter als Patienten mit einer Scheinbehandlung. Die Forscher bleiben aber am Ball.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Große Hoffnungen auf NGF: In einer kontrollierten Studie ist der Wachstumsfaktor bei Alzheimerpatienten aber gescheitert.

Große Hoffnungen auf NGF: In einer kontrollierten Studie ist der Wachstumsfaktor bei Alzheimerpatienten aber gescheitert.

© wildpixel / Getty Images / iStock

SAN DIEGO. Die ersten Versuche verliefen recht vielversprechend: US-Forscher hatten in einer offenen Phase-I-Studie acht Alzheimerkranken Adenoviren mit dem Gen für den menschlichen Nervenwachstumsfaktor (Nerve Growth Factor, NGF) in den Nucleus basalis Meynert injiziert. Daraufhin wurde der Verlauf der Erkrankung deutlich gebremst. Zudem deutete das FDG-PET auf einen erhöhten Hirnstoffwechsel ein halbes Jahr nach der Prozedur.

Doch wie so oft in der Entwicklung neuer Therapien ließ sich der Erfolg in einer kontrollierten Phase-II-Studie mit einer scheinbehandelten Kontrollgruppe nicht wiederholen (JAMA Neurology; doi:10.1001/jamaneurol.2018.0233). Patienten mit der Gentherapie zeigten weder eine bessere Kognition, noch kamen sie im Alltag besser zurecht als Patienten mit einer Scheintherapie. Nicht einmal Biomarkeruntersuchungen deuteten auf irgendwelche signifikanten Veränderungen.

Cholinerges System im Blick

Mit ihrer Gentherapie hatte ein Team um Dr. Michael Rafii von der Universität in San Diego das cholinerge System bei Alzheimer im Blick. Im Nucleus basalis am basalen Frontalhirn degenerieren cholinerge Neuronen, die weite Teile des frontalen, parietalen und temporalen Kortex sowie den Hippocampus mit Neurotransmittern beliefern, die wiederum für Gedächtnis und Lernprozesse essenziell sind. Ließe sich dieser Prozess aufhalten, würde möglicherweise der kognitive Abbau bei Alzheimer deutlich gebremst. An diesem Mechanismus setzen bekanntlich auch Cholinesterasehemmer an. Diese können allerdings nur das cholinerge Defizit lindern und nichts gegen die fortschreitende Degeneration cholinerger Neurone bewirken.

NGF direkt im Hirn

Eine Therapie mit Nervenwachstumsfaktor konnte in tierexperimentellen Versuchen eine solche Degeneration verhindern, allerdings muss NGF dazu direkt ins Hirn verfrachtet werden, das Protein kann die Bluthirnschranke nicht überwinden. Hier kommen nun Viren als Genfähren ins Spiel: Sie sollen die Bauanleitung für NGF in einer solchen Weise in cholinerge Nervenzellen schleusen, dass diese den schützenden Faktor selbst in größerer Menge produzieren.

Die Forscher um Rafii entschieden sich für einen adenoassoziierten viralen Vektor (AA2). Sie transferierten 26 Patienten mit leichter bis moderater Alzheimerdemenz jeweils 2,0 x 1011 Vektorgenome während einer stereotaktischen Op. in die Nuclei basali beider Hemisphären. Weitere 23 Alzheimerkranke wurden nur einer Scheinoperation unterzogen: Die Chirurgen bohrten Löcher in den Schädel, injizierten aber keine viralen Vektoren.

Die Teilnehmer waren im Schnitt 68 Jahre alt und erreichten zu Beginn einen mittleren Wert im Mini-Mental-Status-Test (MMST) von 22 Punkten in der Scheintherapiegruppe sowie 21 Punkten in der Gentherapiegruppe. Der ADAS-cog-11-Wert lag jeweils knapp über 20 Punkten. Alle waren stabil auf Cholinesterasehemmer und Memantine eingestellt, diese Medikation behielten sie im Studienverlauf bei.

Kognitiver Abbau mit Gentherapie etwas beschleunigt

Die Resultate waren durch die Bank ernüchternd. Als primären Endpunkt hatten die Forscher um Rafii Veränderungen beim ADAS-cog-Wert nach zwei Jahren gewählt. Mit der Gentherapie verschlechterte sich der Wert um 14,5 Punkte, mit der Scheintherapie hingegen nur um 9,1 Punkte, die Differenz erwies sich jedoch nicht als signifikant. Der MMST-Wert fiel mit der Gentherapie in zwei Jahren um 6,2 Punkte, mit der Scheintherapie um 4,2 Punkte, auch dieser Unterschied erreichte nicht das Signifikanzniveau.

Ein ähnliches Bild bot sich beim klinischen Gesamteindruck sowie einer Skala für Alltagsaktivitäten: Patienten mit Gentherapie schnitten tendenziell, aber nicht signifikant schlechter ab als solche mit der Scheinbehandlung. Auffallend ist jedoch, dass sich die Kurven bei all diesen Parametern nach etwa einem Jahr sichtbar zu Ungunsten der Gentherapie auseinander entwickelten.

Ähnlich enttäuschende Resultate förderte das Glukose-PET zutage: In der Zielregion für den Vektortransfer wurde bei Gentherapiepatienten kein erhöhter Hirnstoffwechsel beobachtet, ganz im Gegenteil, der Glukoseumsatz war sogar etwas geringer als in der Placebogruppe. Schließlich fand auch die strukturelle MRT keine signifikanten Differenzen: Das Hippocampusvolumen schrumpfte zwar in der Gentherapiegruppe numerisch etwas weniger, dafür nahm das Ventrikelvolumen stärker zu. Letztlich kann auch die Bildgebung keinen Nutzen der Gentherapie belegen.

Gut verträglich

Immerhin ein Trost bleibt den Forschern: Die Therapie wurde recht gut vertragen; Komplikationen und verfahrensbezogene Nebenwirkungen waren unter der Gentherapie nicht häufiger zu beobachten als mit der Scheinbehandlung. Vier Patienten mit Scheintherapie und zwei mit Gentherapie starben im Nachbeobachtungszeitraum, in keinem Fall galt ein Zusammenhang mit der Therapie als wahrscheinlich.

Woran die Studie letztendlich scheiterte, ist völlig ungewiss. Möglicherweise hatten die Forscher das Zielgebiet nicht richtig getroffen, oder NGF im Nucleus basalis nützt nicht so viel wie zunächst angenommen. Auch könnte der Schaden bei Alzheimerkranken schon viel zu groß sein, um über NGF noch etwas auszurichten. Umgekehrt hat die stereotaktische Prozedur vielleicht dazu geführt, dass sich die Gentherapiepatienten etwas stärker verschlechterten als die mit Scheinbehandlung. Ansatz noch nicht gescheitert

In einem Editorial stellt der Neurologe Dr. Lawrence Honig aus New York den gesamten Ansatz infrage. Selbst wenn es gelungen wäre, über eine Gentherapie cholinerge Zellen im Nucleus basalis länger überleben zu lassen, hätte dies wohl kaum die Neurodegeneration im restlichen Gehirn beeinflusst und vielleicht nur eine symptomatische Wirkung wie bei Cholinesterasehemmern entfaltet.

Immerhin wird an dem Prinzip weiter geforscht. Forscher aus Schweden hatten vor zwei Jahren eine Arbeit veröffentlicht, in der sie Alzheimerkranken kleine Kapseln mit NGF in den Einzugsbereich des Nucleus basalis verpflanzt hatten. Drei von sechs Patienten blieben über ein Jahr hinweg kognitiv stabil. Doch auch hier wäre nun eine größere Studie mit einer Kontrollgruppe nötig, um Zufall oder einen Placeboeffekt auszuschließen.

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