Pathogene Proteine

Blinddarmentfernung schützt offenbar vor Parkinson

Es kann auch Vorteile haben, den Wurmfortsatz rechtzeitig loszuwerden: Das Parkinsonrisiko ist nach einem solchen Eingriff geringer. Doch es gibt einen Unterschied zwischen Stadt- und Landbewohnern.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
3D-Illustration von Neuronen mit Lewy-Körperchen (rot), in denen sich Alpha-Synuclein-Proteine ansammeln.

3D-Illustration von Neuronen mit Lewy-Körperchen (rot), in denen sich Alpha-Synuclein-Proteine ansammeln.

© Lars Neumann / Getty Images / iStock

GRAND RAPIDS/USA. Wenn US-Hirnforscher und schwedische Epidemiologen deutliche Hinweise finden, dass eine Appendektomie Parkinson vorbeugen kann, ist das sicher noch kein Grund, einen gesunden Wurmfortsatz zu entfernen.

Zum einen ist die Wahrscheinlichkeit, an Parkinson zu erkranken, auch mit der Appendix vermiformis nicht allzu hoch, zum anderen ist der Schutzeffekt einer Appendektomie nicht übermäßig groß.

Die Untersuchungen von Forschern um Dr. Bryan Killinger vom Neurodegenerationsforschungszentrum in Grand Rapids, USA, liefern jedoch neue Hinweise zur Bedeutung des Darms bei der Parkinsonentstehung (doi: 10.1126/scitranslmed.aar5280).

Der Ursprung von Parkinson

Schon länger ist bekannt, dass Morbus Parkinson nicht nur eine motorische Erkrankung ist, bei der Nervenzellen in der Substantia nigra absterben, betroffen sind auch viele andere Hirnregionen. So entwickeln Parkinsonkranke schon Jahre vor den motorischen Symptomen häufig Verstopfung, Depressionen, Geruchs- oder REM-Schlaf-Verhaltensstörungen.

Dabei scheint sich fehlerhaft gefaltetes Alpha-Synuclein wie bei einer Prionerkrankung langsam im Gehirn auszubreiten.

Der Ursprung der fehlgefalteten Proteine könnte dabei im peripheren Nervensystem liegen: In Darm- und Hautproben lässt sich pathogenes Alpha-Synuclein oft schon 20 Jahre vor den klinischen Symptomen nachweisen. Viele Forscher gehen inzwischen davon aus, dass solche Proteine langsam entlang der Nervenverbindungen ins ZNS wandern und schließlich das Gehirn erobern.

Die Wissenschaftler um Killinger haben nun geschaut, ob der Wurmfortsatz dabei von Bedeutung ist. Immerhin ist die Appendektomie eine häufig angewandte Prozedur, und so lässt sich anhand großer Registerdatenbanken gut ermitteln, ob Menschen ohne Wurmfortsatz ein verändertes Parkinsonrisiko tragen.

Patientenregister analysiert

Zunächst analysierte das Team um Killinger Angaben zu Appendektomien und Parkinsondiagnosen bei knapp 1,7 Millionen Personen aus dem nationalen schwedischen Patientenregister. Für diese lagen Einträge von bis zu 52 Jahren vor. Rund 550.000 Schweden hatten sich den Wurmfortsatz entfernen lassen, jedem stellten die Forscher im Schnitt zwei Bewohner mit verbliebener Appendix gegenüber, wobei Geschlecht, Geburtsjahr und Wohnort identisch waren.

Insgesamt 2252 der registrierten Personen waren im Laufe der Jahre an Parkinson erkrankt. Berücksichtigten die Forscher nur Personen mit Parkinsondiagnosen, die mindestens 20 Jahre nach einer Appendektomie auftraten, so betrug die Inzidenz 160 Erkrankungen auf 100.000 Personenjahre, unter Personen mit Wurmfortsatz 198 auf 100.000 Personenjahre.

Entsprechend war die Parkinsoninzidenz bei Personen mit Appendektomie um 19,3% geringer. Auch die Prävalenz lag niedriger: So trugen 1,17 Promille der Personen mit Appendix und 1,40 Promille ohne eine Parkinsondiagnose. Passend dazu trat die Krankheit bei Personen mit Appendix im Schnitt 1,6 Jahre früher auf als bei solchen ohne.

Unterschied zwischen Land und Stadt

Da ein Leben auf dem Lande mit einem erhöhten Parkinsonrisiko verbunden ist – unter Verdacht steht etwa eine erhöhte Pestizidbelastung –, differenzierten die Forscher nach Stadt und Land. Tatsächlich war der Schutzeffekt einer Appendektomie bei Landbewohnern größer – hier ging die Entfernung des Wurmfortsatzes mit einer 25-prozentigen Reduktion der Parkinsoninzidenz einher.

Für Stadtbewohner ergab sich eine 20-prozentige Reduktion, diese war jedoch nicht signifikant. Letztlich hatten nur 101 Personen mit Parkinson mindestens 20 Jahre zuvor ihren Wurmfortsatz entfernen lassen, und davon lebten 38 in Städten. Die Datenbasis war bei dieser Betrachtung also deutlich geschrumpft.

Als nächstes versuchte das Team um Killinger die Resultate anhand einer Parkinsondatenbank mit 849 Erkrankten zu bestätigen. Sie fanden darunter 54 Personen mit einer Appendektomie mindestens 30 Jahre vor der Diagnose. Diese waren im Schnitt 3,6 Jahre später erkrankt als Patienten mit Wurmfortsatz.

Verglichen die Forscher Patienten ohne Wurmfortsatz mit solchen, die außerhalb des Darms operiert worden waren, blieb die zeitliche Differenz bestehen – die Verzögerung ließ sich also nicht mit der Op an sich, sondern nur mit dem operierten Organ erklären.

Bei Patienten mit familiärer Parkinsonerkrankung konnten sie jedoch keine Verzögerung des Erkrankungsbeginns nach einer Appendektomie feststellen – das wiederum spricht für einen Zusammenhang mit Umweltfaktoren.

Pathogene Proteine schon im Wurmfortsatz von jungen Menschen

Schließlich analysierten die Forscher Proben von 48 Appendices, die Patienten ohne Parkinson entnommen worden waren. Sie fanden darin bei 46 Patienten Alpha-Synuclein-Aggregate, die stark solchen ähnelten, wie sie im Gehirn von Parkinsonkranken etwa in den Lewykörperchen zu finden sind. Unter anderem wurden diverse verkürzte Alpha-Synuclein-Proteine entdeckt, die als besonders pathogen gelten.

Alpha-Synuclein-Aggregate traten sowohl bei Patienten unter 20 Jahren als auch bei älteren auf, ebenso bei gesunden und entzündeten Wurmfortsätzen. Sie ließen sich perinukleär, nukleär sowie gelegentlich in den Dendriten von Nervenzellen nachweisen, und zwar in der Mukosa, dem Plexus submucosus sowie dem Plexus myentericus.

Appendixproben von Parkinsonkranken nahmen die Forscher ebenfalls unter die Lupe – diese hatten im Schnitt viereinhalbmal so viele verkürzte Alpha-Synuclein-Proteine wie Proben von Patienten ohne Parkinson.

„Appendix ein Reservoir für pathogenes Alpha-Synuclein“

Mithilfe eines speziellen Assays prüften die Wissenschaftler auch die Pathogenität der Aggregate. Danach war das Alpha-Synuclein aus dem Wurmfortsatz von Personen mit und ohne Parkinson in der Lage, normales lösliches Alpha-Synuclein zu verklumpen.

„Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Appendix ein Reservoir für pathogenes Alpha-Synuclein darstellt. Dieses könnte zur Entwicklung einer Parkinsonerkrankung beitragen“, schlussfolgern Killinger und Mitarbeiter.

Pathogene Proteine aus dem Appendix könnte sich entlang des gastroenterischen Nervensystems über den Vagusnerv ins Gehirn ausbreiten, indem sie normales Alpha-Synuclein in einer Art Kettenreaktion in die pathogene Form überführen. Die Forscher verweisen auf Untersuchungen, nach denen auch eine Vagotomie vor Parkinson zu schützen scheint.

Der Wurmfortsatz ist möglicherweise aber nur eine von mehreren Lagerstätten im Darm für pathogenes Alpha-Synuclein. Wo die Aggregate noch auftreten, müssten weitere Untersuchungen zeigen.

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