Multiple Sklerose

Neue europäische Leitlinie zu krankheitsmodifizierender Therapie bei MS

Eine Behandlung mit Interferonen und Glatirameracetat bei klinisch isoliertem Syndrom, und die Therapie mit Ocrelizumab bei primär-progredienter MS – das sind wesentliche Neuerungen der europäischen MS-Therapie-Leitlinie.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Im Rollstuhl als Folge der MS. Moderne Therapiestrategien sollen dies verhindern.

Im Rollstuhl als Folge der MS. Moderne Therapiestrategien sollen dies verhindern.

© cirquedesprit/stock.adobe.com

Während sich die US-Amerikaner noch bedeckt halten, können die Europäer bereits liefern: Auf dem MS-Weltkongress in Paris haben die europäischen Fachgesellschaften ECTRIMS und EAN eine neu überarbeitete Leitlinie zur Therapie von MS-Patienten vorgestellt. Diese berücksichtigt auch die neuesten MS-Mittel.

Schwerpunkt der Leitlinie ist die krankheitsmodifizierende Therapie. Die Behandlung im Schub sowie symptomatische Therapien werden nicht berücksichtigt, erläuterte Professor Xavier Montalban vom MS-Zentrum in Barcelona. Stattdessen geht es um den Beginn einer MS-Therapie, um Stopp- und Wechselstrategien, Therapiemonitoring und die Behandlung in der Schwangerschaft. Dazu wurden auf dem Kongress 20 Empfehlungen vorgestellt. Diese unterlaufen vor Publikation noch einen Review-Prozess.

Einige dieser Empfehlungen:

  • Behandlungszentren: Das gesamte Spektrum der MS-Therapeutika sollte nur in Zentren mit einer angemessenen Infrastruktur zum Einsatz kommen. Die Zentren sollten in der Lage sein, die Therapie gut zu kontrollieren, Nebenwirkungen zu erkennen und rasch anzugehen (Konsensus-Statement). Diese Empfehlung zielt offenkundig auf die neuen hochwirksamen Medikamente und ihre Nebenwirkungen.
  • CIS-Patienten: Neu ist der Rat, bereits CIS (Clinically isolated Syndrome)-Patienten zu behandeln, und zwar dann, wenn sie eine verdächtige MRT- Läsion haben. Ihnen sollten Ärzte Interferone oder Glatirameracetat anbieten (starke Empfehlung).
  • Therapiebeginn: Patienten mit aktiver MS – also solche mit neuen Schüben oder MRT-Läsionen – sollten möglichst früh krankheitsmodifizierende Therapeutika erhalten (starke Empfehlung).
  • Sekundär-progrediente MS: Bei aktivem Verlauf können Ärzte Interferon beta-1a (s.c), Interferon beta-1 b oder Mitoxantron erwägen. Sie sollten mit ihren Patienten dann aber intensiv über die eher geringe Wirksamkeit von Interferonen sowie über Sicherheitsaspekte diskutieren (schwache Empfehlung).
  • Primär-progrediente MS: Hier ist Ocrelizumab eine Option (schwache Empfehlung). Diese Empfehlung hängt noch von der EU-Zulassung ab.
  • Bewertung des Therapieverlaufs: Ärzte sollten dazu auch MRT-Aufnahmen heranziehen. Gefordert werden ein Basis-MRT in den ersten sechs Monaten nach Therapiestart sowie ein Kontrollscan nach einem Jahr. Entscheidend sind dabei vor allem neue oder sich vergrößernde T2-Läsionen; Gadolinium-anreichernde Läsionen können unterstützend ermittelt werden (Konsensus-Statement).
  • PML-Detektion: Um eine progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) früh zu erkennen, schlagen die Fachgesellschaften auch bei Patienten mit geringem Risiko mindestens einmal jährlich eine MRT-Aufnahme vor, und alle drei bis sechs Monate bei Patienten mit hohem PML-Risiko – etwa JCV (John-Cunningham-Virus)-positive Patienten mit über 18 Monaten Natalizumab. Wechseln Hochrisikopatienten auf eine andere Arznei, wird ebenfalls ein Hirnscan per MRT empfohlen (Konsensus-Statement).
  • Eskalation: Zeigen Patienten unter Interferonen oder Glatirameracetat Hinweise auf eine Krankheitsaktivität, sollten sie zu einer wirksameren Therapie wechseln (starke Empfehlung).
  • Therapiestopp: Wird eine Therapie mit hochwirksamer Arznei aus Gründen von Sicherheit oder mangelnder Wirksamkeit abgebrochen, sollten Ärzte die Therapie mit einer anderen hochwirksamen Arznei erwägen. Je höher die Krankheitsaktivität ist, umso dringender ist mit der neuen Therapie zu beginnen. Beim Therapiewechsel oder -stopp müssen Ärzte die Halbwertszeit der vorhergehenden Behandlung ebenso im Blick haben wie eine wiederaufflammende MS-Aktivität oder einen Rebound, vor allem nach Natalizumab-Therapie.
  • Schwangerschaft: Frauen vor der Menopause sollten darauf hingewiesen werden, dass mit Ausnahme von Glatirameracetat kein MS-Mittel für Schwangere zugelassen ist. Planen MS-Kranke eine Schwangerschaft und besteht ein hohes Risiko für Schübe nach dem Absetzen, sind Interferone oder Glatirameracetat bis zur Bestätigung einer Schwangerschaft zu erwägen. Bei besonders aktiver MS kann die Therapie damit auch während der Schwangerschaft erfolgen. Frauen mit persistierend hoher MS-Aktivität sollten eine Schwangerschaft möglichst verschieben.

Wollen sie trotzdem schwanger werden oder sind sie es bereits, können sie eine Natalizumab-Behandlung während der Schwangerschaft erwägen. Auch die Behandlung mit Alemtuzumab ist eine Option. Sie muss jedoch mindestens vier Monate vor einer geplanten Schwangerschaft abgeschlossen sein (schwache Empfehlungen).

Eine ähnliche Leitlinie wird derzeit auch von der American Academy of Neurology (AAN) entwickelt. Details dazu wollte Dr. Alex Rae-Grant von der Cleveland Clinic in seinem Leitlinienvortrag jedoch nicht nennen.

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