Wenn Brummi-Fahrer am Steuer einschlafen

Veröffentlicht:

Von Angela Speth

Erst gerät der LKW ins Schlingern, dann durchbricht er die Begrenzungshecken neben der Autobahn, rumpelt über ein Feld und rollt dort schließlich aus. "Fahrer unterwegs eingeschlafen", vermerkt das Polizeiprotokoll zu diesem Unfall. Der Sekundenschlaf am Steuer ist nicht gerade selten, bestätigt jetzt eine Studie von Forschern aus Tübingen.

Durchschnittlich elfmal im vorigen Jahr - fast einmal im Monat - hat jeden der 256 befragten Brummi-Chauffeure die Müdigkeit am Lenkrad übermannt. Der Spitzenwert lag bei jährlich 300mal! 42 dienstliche Unfälle hatten die Fernfahrer in diesem Zeitraum verursacht, zwei davon gingen auf Übermüdung zurück.

Am häufigsten fielen ihnen in den Phasen des physiologischen Leistungstiefs die Augen zu: zwischen Mitternacht und Morgengrauen sowie zwischen 12 und 15 Uhr. Ein Fünftel erreichten auf einer Skala, mit der das Ausmaß der Tagesschläfrigkeit bestimmt wird, einen erhöhten Punktwert - Hinweis auf eingeschränkte Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit.

Zu diesen Ergebnissen ist Dr. Lutz-Dietrich Mueller bei einer Fragebogenaktion gekommen. Der Mitarbeiter am Institut für Arbeits- und Sozialmedizin der Uni Tübingen hatte LKW-Fahrer an Raststätten rund um Stuttgart etwa 20 Minuten lang anonym befragt.

Dabei hatte sich der Wissenschaftler auch gezielt nach Symptomen der Schlafapnoe erkundigt wie Schnarchen oder übermäßige Erschöpfung, aber ein Verdacht auf diese Beschwerden ergab sich nur bei etwa fünf Prozent der Befragten. "Daraus folgt, daß die allermeisten, die am Steuer wegdösen, offenbar gesund sind. Das hat uns vor allem überrascht", sagt Mueller.

Ursache der alarmierenden Befunde ist Schlafmangel. So nannten die Probanden als ideale Schlafdauer am Wochenende den Mittelwert von knapp acht Stunden, kamen aber unter der Woche nur auf etwa sieben Stunden. Eine detaillierte Analyse ergab: Je größer das Defizit, um so größer die Gefahr, einzunicken.

Bemerkenswert waren die Schlafhalluzinationen am Steuer, über die manche berichteten: Einer sah eine Notrufsäule am Straßenrand als Polizisten an, für einen anderen verwandelte sich ein vorausfahrender Sattelschlepper in eine gemächlich dahinrollende Pferdekutsche. "Wahrscheinlich sind das Warnsignale, die das Gehirn ausschickt, wenn’s brenzlig wird", so Mueller.

Ursache des Schlafmangels sind Störungen während der Ruhezeiten: Jeder dritte Fernfahrer erklärte, er könne in der Koje seines Lastwagens nicht so gut schlafen wie zu Hause. Hauptsächlicher Schlafkiller war Lärm: das Donnern des Verkehrs auf der nahe der Lkw-Halteplätze gelegenen Autobahn, das Aufheulen des Motors, wenn ein Kollege startet, das Dröhnen von Kühlaggregaten, wenn nebenan ein Laster parkt, der leicht verderbliches Gut transportiert.

Darüber hinaus sitzen die Brummi-Fahrer durchschnittlich in zwei Nächten pro Woche hinter dem Steuer. Im Sommer macht vielen eine weitere Widrigkeit zu schaffen: Wenn bei ausgeschaltetem Motor die Klimaanlage nicht läuft, verleiden die Temperaturen schon den bloßen Aufenthalt im Lkw: "Über Mittag heizt sich meine Führerkabine leicht bis 50, 60 Grad auf. Wie soll man da schlafen", zitiert Mueller einen Probanden.

Mit der arbeitsmedizinischen Betreuung stand es ebenfalls nicht zum Besten: Nur einem Fünftel der Befragten bietet der Arbeitgeber die Möglichkeit dazu, aber immerhin fast zwei Drittel lassen auf eigene Faust beim niedergelassenen Arzt Vorsorge-Untersuchungen machen.

Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Lesetipps
Neue Hoffnung für Patienten mit Glioblastom: In zwei Pilotstudien mit zwei unterschiedlichen CAR-T-Zelltherapien blieb die Erkrankung bei einigen Patienten über mehrere Monate hinweg stabil. (Symbolbild)

© Richman Photo / stock.adobe.com

Stabile Erkrankung über sechs Monate

Erste Erfolge mit CAR-T-Zelltherapien gegen Glioblastom

Die Empfehlungen zur Erstlinientherapie eines Pankreaskarzinoms wurden um den Wirkstoff NALIRIFOX erweitert.

© Jo Panuwat D / stock.adobe.com

Umstellung auf Living Guideline

S3-Leitlinie zu Pankreaskrebs aktualisiert