Hessische Ärzte wollen Schüler vor Alkoholismus bewahren

FRANKFURT/MAIN. Alexander Göllner nippte mit 12 das erste Mal am Sekt. Das macht gute Laune, wusste er von den Feiern, die seine Eltern am Wochenende veranstalteten. Bis dahin hatte er keine Probleme: in der Schule nicht, und auch daheim lief alles prima. Außerdem trank er ja nur am Wochenende.

Von Pete Smith Veröffentlicht:

Mit 14 kam Haschisch dazu, später auch Tabletten. Die Wochenenden wurden auf vier Tage ausgedehnt. Mit 16 wechselte er vom Gymnasium auf die Realschule und gewöhnte sich an, schon nach der Schule zu saufen. In der 10. Klasse kam es zu Ausfällen während des Unterrichts, trotzdem schaffte er den Abschluss. Während der Ausbildung trank er anfangs weniger, weil er weniger Zeit dafür hatte, aber jetzt besaß er Geld, das er schon bald für alle möglichen Drogen ausgab. Nach zwei Jahren brach er seine Lehre ab. Er trank und trank. Erlitt Vergiftungen, landete in der Klinik und auf der Straße. Erst der "finale" Absturz brachte die Wende ...

Von seinen Erfahrungen berichtete der heute 27-Jährige bei der Auftaktveranstaltung der Aktion "Hackedicht - Besser geht’s Dir ohne!" in der Julius-Leber-Schule in Frankfurt. Die Präventionsinitiative ist von der Landesärztekammer Hessen (LÄKH) ins Leben gerufen worden und startet nach den Sommerferien an hessischen Schulen. Die LÄKH vermittelt auf Anfrage von Schulen Ärzte (Hausärzte, Pädiater, Kinder- und Jugendpsychiater und Therapeuten), die im Unterricht, auf Informationsveranstaltungen und Elternabenden über die Gefahren von Alkohol aufklären und Schülern, die bereits Alkoholprobleme haben, Hilfen anbieten.

Präventionsprojekt stößt auf großes Interesse

Innerhalb weniger Wochen haben schon über 70 Ärzte ihre Teilnahme an der Aktion zugesagt. Die Schulen werden von den hessischen Schulämtern über das Vermittlungsangebot der Landesärztekammer informiert. Die Aktion, so LÄKH-Präsidentin Dr. Ursula Stüwe, soll bei entsprechendem Interesse der Schulen langfristig laufen. Im September sei zudem eine Fortbildung für Ärzte geplant, wie diese Jugendliche am besten auf mögliche Alkoholprobleme ansprechen können. Zielgruppe der Aktion "Hackedicht" sind Jugendliche ab 11 Jahren.

21 Prozent der 12- bis 15-Jährigen und 80 Prozent der 16- bis 19-Jährigen haben Erfahrungen mit einem Alkoholrausch, wie Professor Fritz Poustka, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uni Frankfurt ausführte. Besonders gefährdet seien junge Leute, die zu Hause wenig Unterstützung erführen.

Eltern sollten Trinkverhalten verstärkt kontrollieren

In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert wurden, um 50 Prozent gestiegen. Poustka plädierte für eine höhere Alkoholsteuer und verlangte zudem von Eltern, den Alkoholkonsum ihrer Kinder verstärkt zu kontrollieren.

Dem Hausarzt komme in der Alkoholprävention eine entscheidende Rolle zu, sagte Dr. Horst Löckermann, niedergelassener Allgemeinarzt und Präventionsbeauftragter der LÄK Hessen. "Durch die langfristige Begleitung von Patienten besteht die Chance, eine Abhängigkeitsentwicklung frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu intervenieren." Alarmsignale in der Praxis seien Begleiterkrankungen des riskanten Alkoholkonsums wie etwa Magenschleimhautentzündungen, Erbrechen, Kopfschmerzen und morgendliche Müdigkeit. "Auch sollte der Hausarzt hellhörig werden, wenn Jugendliche mehrmals in kurzen Zeitabständen um eine Krankmeldung für die Schule bitten", so Löckermann. "In diesen Fällen besteht die Möglichkeit, die Lebensumstände einschließlich des Suchtverhaltens einfühlsam zu hinterfragen."

Dr. Mark S. Drexler, niedergelassener Internist sowie Drogen- und Suchtbeauftragter für Berufsangehörige der LÄKH, gab seinem Kollegen Löckermann auf der Veranstaltung in Frankfurt recht. Ärzte würden von allen Altersschichten als Vertrauenspersonen akzeptiert und seien für Jugendliche daher die idealen Gesprächspartner. Außerdem unterliegen Ärzte der Schweigepflicht. Seiner Erfahrung nach gefährden vor allem die gesellschaftlichen Trinkgewohnheiten junge Menschen. So sprächen Schüler nicht selten ihre Vertrauenslehrer auch auf den Alkoholmissbrauch ihrer eigenen Eltern an.

Die Risiken von Alkohol werden meist unterschätzt

Nach Angaben von Dr. Wilfried Köhler vom Bürgerhospital Frankfurt sterben in Deutschland jährlich etwa 42 000 Menschen an den direkten Folgen des Alkoholkonsums. Doch davon wissen die meisten jener Kinder und Jugendlichen, die ihre ersten Alkoholerfahrungen bereits mit zehn, elf Jahren machen, nichts oder nicht genug. Koma- oder Flatrate-Saufen liegen im Trend. Erst Anfang des Jahres sorgte das Schicksal eines Berliner Jugendlichen für Schlagzeilen, der sich buchstäblich zu Tode gesoffen hat. Solche Nachrichten lassen viele Jugendliche kalt. Der allgemeine Tenor: "Sowas passiert mir nicht."

Auch Alexander Göllner wollte über viele Jahre nicht wahr haben, dass er Alkoholiker war. Erst als er völlig abstürzte, zwischen Leben und Tod schwebte, entschloss er sich, endlich zu handeln. Unterstützung fand er schließlich bei der Suchthilfe Fleckenbühl in Frankfurt am Main. Seit zwei Jahren ist er trocken. Wenn er sich vorstellt, sagt er trotzdem noch: "Alexander, 27, Alkoholiker."



Flyer und CD unterstützen die Initiative

Im Rahmen der Aktion "Hackedicht - Besser geht’s Dir ohne" hat die Landesärztekammer Hessen einen Flyer für Jugendliche sowie Informationsmaterialien für den Unterricht herausgegeben.

Auf dem Flyer erfahren Jugendliche, wie Alkohol wirkt, was im Körper geschieht, welche Nebenwirkungen bekannt sind und welche langfristigen Folgen der regelmäßige Alkoholkonsum hat.

Bier, Wein oder Alkopops, so die Botschaft, sind alles andere als cool. Alkohol macht fett, pickelig und teigig, beeinträchtigt das Liebesleben, steigert die Aggressionen, senkt die Konzentration, führt zu Kontrollverlust, Schwindel, Erbrechen, Kopfschmerzen und Frust. Manchen bringt Alkohol ins Krankenhaus, andere sogar ins Grab.

Auf einer CD finden Lehrer und Ärzte Materialien für den Unterricht, so etwa Kurzinterventionen bei Patienten mit Alkoholproblemen, Tipps zum verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol, Rezepte für alkoholfreie Cocktails, Selbsttests zum Alkoholkonsum und anderes.

Informationen zu den Materialien und zur Aktion selbst erteilt die Pressereferentin der Landesärztekammer Hessen, Katja Möhrle, Tel. 069 / 97 672 -188, Fax 069 / 97 672 - 224, E-Mail katja.moehrle@laekh.de Weitere Informationen finden Sie auch im Internet unter der Adresse: www.laekh.de

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