HINTERGRUND

Raucher zwischen Trotz und dem Willen zur Abstinenz

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Helmut Schmidt raucht weiter.

Helmut Schmidt raucht weiter.

© Foto: dpa

Raucher werden zur Zeit in der Öffentlichkeit argwöhnisch beobachtet. Das mussten kürzlich sogar Altkanzler Helmut Schmidt und seine Frau Loki erfahren. Eine hessische Nichtraucher-Initiative hatte sie wegen angeblicher Körperverletzung und Verstoßes gegen das Nichtrauchergesetz angezeigt. Der 89-jährige Sympathieträger und seine 88-jährige Frau hatten in einem Hamburger Theater beim Neujahrspunsch geraucht und sich damit den Zorn der Aktivisten aus Wiesbaden, die gar nicht selbst vor Ort waren, zugezogen.

"Viele Raucher sagen sich: Jetzt erst recht!"

Das Verfahren gegen die Schmidts wurde inzwischen eingestellt. Der momentan vorherrschende gesellschaftliche Druck erzeugt jedoch bei nicht wenigen Rauchern eine Trotzreaktion, sagt Dr. Pál L. Bölcskei vom Institut für Raucherberatung und Tabakentwöhnung (IRT) in München. Der Pneumologe bezeichnet die Anzeige der Nichtraucher-Aktivisten als "Unfug" und "kontraproduktiv". Viele Raucher sagten sich nämlich: "Jetzt erst recht! Ich lasse mich nicht terrorisieren!" Auch die hochbetagten Schmidts denken gar nicht daran, sich das Rauchen abzugewöhnen. "Sogar die Ärzte raten uns davon ab. Die Umstellung würde zu viel Stress für den Körper bedeuten, wird Loki Schmidt in der "Hamburger Morgenpost" zitiert.

Sehr alte Menschen oder gar terminal Kranke müsse man nicht gerade mit einer Raucherentwöhnung belästigen, sagt Bölcskei dazu. Andererseits kämen noch heute rauchende schwangere Frauen in das Münchner Institut und berichteten, ihr Arzt habe von der Entwöhnung abgeraten, weil angeblich das Ungeborene Entzugserscheinungen entwickeln würde. So etwas, meint der Pneumologe, wäre dann schon eher ein Grund für eine Anzeige.

Leider werde in der öffentlichen Diskussion zu wenig darauf hingewiesen, dass das Rauchverbot auch der Gesundheit von Rauchern zugute komme, bedauert Bölcskei. Seit in Deutschland immer mehr Plätze und Einrichtungen zu rauchfreien Zonen werden, wollen auch immer mehr Menschen aus der Nikotinsucht aussteigen. Der Pneumologe registriert einen Ansturm auf Raucher-Entwöhnungskurse. Bislang melden sich allerdings vorwiegend Leute bei ihm, die sowieso schon lange mit dem Gedanken gespielt haben, aufzuhören.

Geschulte Ärzte mit Kursen zur Entwöhnung sind gefragt

Die gegenwärtige Situation ist eine Chance für Ärzte, Gesundheitsgefahren durch Rauchen in der Praxis aktiv anzusprechen und gegebenenfalls selbst Entwöhnungskurse anzubieten. In ein- bis zweitägigen Fortbildungen können Kollegen sich als Kursleiter dafür schulen lassen. Die Unterstützung von Ärzten erhöht die Chancen auf Abstinenz. Auf sich allein gestellt schaffen es nämlich nur zwei bis vier Prozent der Raucher, dauerhaft ihrem Laster zu entsagen, mit Unterstützung bis zu 40 Prozent.

Weil drei von vier Rauchern mindestens einmal im Jahr bei ihrem Arzt vorstellig werden, sei dies eine gute Gelegenheit, das Thema Entwöhnung anzusprechen, meint der Münchner Spezialist, der Mitglied des Wissenschaftlichen Aktionskreises Tabakentwöhnung (WAT) ist. "Je enger der Zusammenhang zwischen dem Grund des Arztbesuches und den Rauchgewohnheiten ist, zum Beispiel bei Atemwegsinfektionen oder chronischer Bronchitis, desto größer ist die Chance, dass die Patienten positiv reagieren", so seine Erfahrung.

Es sei allerdings wichtig, nicht belehrend zu wirken, sondern möglichst neutral das Thema anzusprechen, etwa: "Haben Sie je daran gedacht, mit dem Rauchen aufzuhören?" In Kursen können Kollegen lernen und üben, wie sie solche Gespräche führen sollten. Zudem erfährt man, wie der Grad der Abhängigkeit ermittelt wird und welche therapeutischen Konsequenzen das hat.

Hinzu kommen Hintergrundinformationen, etwa zur Pharmakologie des Nikotins. "Je besser der Arzt Bescheid weiß, desto weniger Zeit benötigt er für die Beratung", ist Böl-cskeis Erfahrung. Denn bei guter Gesprächsführung halte man sich nicht mit fruchtlosen Diskussionen auf.

Schon ein zertifiziertes Achtstunden-Seminar berechtigt zur Einzeltherapie, für die Berechtigung zur Gruppentherapie braucht es ein Zweitages-Seminar. Entwöhnungskurse von zertifizierten Ärzten sind für Patienten insofern interessant, als die prinzipiell als IGeL-Angebote abzurechnenden Leistungen bei Vorliegen der Zertifizierung teilweise oder ganz von vielen gesetzlichen Krankenkassen den Entwöhnungswilligen zurück erstattet werden. Anerkannte Raucherentwöhnungskurse sind jene, die im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ausgearbeitet worden sind, die Therapiekonzepte des Arbeitskreises Raucherentwöhnung in Tübingen (Professor Anil Batra) sowie die Konzepte des Münchner IRT.

Infos zur Raucherentwöhnung: www.wat-ev.de, www.bzga.de und www.rauchfreiwerden.de

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