Ultra-Kurz-Intervention

Elf Minuten Achtsamkeits-basierte Therapie bremsen Bierdurst

Hoffnung für Risikotrinker: Bereits eine sehr kurze achtsamkeits-basierte Intervention kann den Alkoholkonsum deutlich senken – besser als reine Entspannungsübungen.

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Wer seltener zur Flasche greifen möchte, dem könnten Achtsamkeitsübungen helfen.

Wer seltener zur Flasche greifen möchte, dem könnten Achtsamkeitsübungen helfen.

© Uwe Anspach / dpa

Von Thomas Müller

LONDON Ist jemand erst einmal richtig alkoholabhängig, laufen Entwöhnungsversuche oft ins Leere. Gelänge es, Personen mit riskantem Konsum besser zu erreichen, ließe sich eine Sucht wohl häufig verhindern. Da nicht gerade wenige Menschen einen riskanten Alkoholkonsum pflegen, sollten solche Strategien nicht nur effizient, sondern auch ressourcenschonend sein. In einer kleinen randomisiert-kontrollierten Studie zeigte sich, dass bereits eine elf Minuten dauernde Anleitung zur Achtsamkeits-basierten Therapie den Alkoholkonsum zumindest kurzfristig um ein Drittel senken kann.

"Bierdruck" gemessen

Für die Studie haben Psychopharmakologen um Dr. Sunjeev K. Kamboj vom University College in London 68 Alkoholfreunde zu einer ausführlichen Untersuchung eingeladen. Die Teilnehmer mussten die Kriterien für einen riskanten Alkoholkonsum erfüllen, also mehr als 170 g Alkohol oder 8 Flaschen Bier pro Woche als Mann oder mehr als 110 g / 5 Flaschen Bier in der Woche als Frau trinken. Zudem sollte eine Präferenz für Bier vorliegen. Zugleich durften die Teilnehmer aber nicht alkoholabhängig sein oder psychische Störungen aufweisen. Dies war zuvor anhand von Fragebögen ausgeschlossen worden.

Sämtliche Probanden unterzogen sich zunächst einigen psychophysiologischer Tests, um das Ausmaß des Cravings zu bestimmen. Unter anderem wurde ihnen Wasser und Bier (alkoholfrei) serviert. Die Teilnehmer sollten sich zunächst vorstellen, davon etwas zu trinken, dann die Getränke tatsächlich konsumieren. Dabei wurden jeweils Blutdruck, Herzfrequenzvariabilität und weitere EKG-Parameter bestimmt. Die Idee dahinter: Je ausgeprägter das Craving, umso stärker der Puls- und Blutdruckanstieg auf einen vorgestellten oder tatsächlichen Biergeschmacksreiz.

Im Anschluss an die Untersuchung wurden die Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip auf zwei Gruppen verteilt: Die eine erhielt eine elfminütige Anleitung zur Achtsamkeits-basierten Therapie, die andere eine ebenso lange Instruktion zu spezifischen Entspannungsübungen. Den Teilnehmern in der Entspannungsgruppe wurde gesagt, dass die Übungen ein gutes Mittel seien, um den "Alkoholdruck" zu senken, indem körperliche und geistige Spannungen auch ohne Alkohol abgebaut würden. Sie sollten lange und tief Einatmen und die Anspannung quasi ausatmen.

In der Gruppe mit Achtsamkeits-basierter Therapie wurden die Beteiligten instruiert, genau auf ihre Körpersymptome und das Verlangen nach Alkohol zu achten, ohne dieses zu bewerten. Auch ihnen wurden Atemübungen nahegelegt, allerdings um die Aufmerksamkeit auf den Körper zu lenken. Indem ihnen das Verlangen nach Alkohol bewusst wurde, sollten sie in die Lage gebracht werden, nicht mehr reflexartig darauf zu reagieren. Durch die Entkoppelung von Reiz und Reaktion, so die Vorstellung, erhalten die Betroffenen wieder mehr Kontrolle über ihren Körper zurück.

Zu Beginn der Kurzintervention, die lediglich als Audioaufnahme über Kopfhörer erfolgte, erfuhren die Teilnehmer Sinn und Zweck der jeweiligen Maßnahme, anschließend erhielten sie einige Minuten Übungsanleitungen. Die Übungen sollten sie zu Hause täglich mindestens 15 Minuten praktizieren, dazu bekamen sie die Audio-Anleitung und weiteres Übungsmaterial.

Vier Bier weniger pro Woche

Nach einer Woche wurden die Beteiligten erneut untersucht. Dabei war das Craving in beiden Gruppen geringer und bei den Teilnehmern mit Entspannungsübungen tendenziell noch etwas stärker reduziert als in der Gruppe mit Achtsamkeits-basierter Intervention. Anders sah es jedoch beim berichteten Alkoholkonsum aus: In der Gruppe mit Entspannungsübungen lag dieser zu Beginn bei 192 g/Woche, nach einer Woche war er um 24 g gesunken. Die Teilnehmer mit Achtsamkeits-basierter Therapie hatten vor der Intervention 221 g Alkohol pro Woche konsumiert, in den sieben Tagen nach Beginn der Maßnahme war die Alkoholmenge um 74 g oder gut ein Drittel zurückgegangen. Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen war statistisch signifikant.

In beiden Gruppen hatten die Teilnehmer ähnlich häufig geübt, auch wurden die beiden Strategien als ähnlich glaubwürdig und zielführend beurteilt. Das Team um Kamboj schließt daraus, dass selbst eine sehr kurze Achtsamkeits-basierte Intervention den Alkoholkonsum merklich reduzieren kann, und das offensichtlich besser als reine Entspannungsübungen. Ob und wie lange der Effekt persistiert, muss nun aber in größeren und wesentlich längeren Studien geprüft werden.

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