Leitartikel zur Schmerztherapie

Von der Schwierigkeit, es Experten recht zu machen

Lange sang der Chor der Schmerzexperten das Lied vom zaghaften deutschen Arzt, der leidenden Patienten segensreiche Opioide vorenthalte. Nun singt der Chor mit neuem Text: vom sorglosen Arzt, der zu viele problematische Opioide verschreibt.

Dr. Robert BublakVon Dr. Robert Bublak Veröffentlicht:
Ein Berg BtM: Jetzt sind verordnende Ärzte als "Dealer" ins Visier von Kritikern geraten.

Ein Berg BtM: Jetzt sind verordnende Ärzte als "Dealer" ins Visier von Kritikern geraten.

© Klaus Rose

Es gibt Zeiten, da macht der Arztberuf wenig Freude. Die vierte Kalenderwoche des jungen Jahres war so eine Phase. Am Dienstag jener Woche wurde der Krankenhaus-Report der AOK vorgestellt. Praktisch sämtliche Zeitungen berichteten in ihren Mittwochsausgaben über die Kalkulation von AOK-Experten, derzufolge der Klinikbetrieb in Deutschland fünfmal effektiver darin ist, unbeabsichtigt Leute zu töten, als der Straßenverkehr.

Am selben Tag degradierte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" Ärzte zu "legalen Dealern" (so ein Schmerzexperte), die indiskutabel oft zum BtM-Rezeptblock griffen, selbst wenn ihre Schmerzpatienten gar keinen Krebs haben.

Dazu passte, dass Werner Bartens - Experte für alles Mögliche vom Ärztehass bis zum Kinderglück - den Medizinern zwei Tage vorher in der "Süddeutschen Zeitung" bescheinigt hatte, zwar unfähig zu sein, Kranke gesund zu machen, dafür umso besser darin, Gesunde in Kranke zu verwandeln.

Die vierte Woche war gerade einmal drei Tage alt, da hatten unfähige Ärzte durch ihre Tölpeleien bereits Tausende Tote in den Kliniken auf dem Kerbholz, vielleicht noch mehr Gesunde in die Krankheit und wer weiß wie viele Schmerzkranke in die Sucht getrieben. Doch die Woche war noch nicht vorbei.

Am Sonntag wartete die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" mit einem Beitrag auf, der es vermochte, in sechs Worten drei Anklagen zu ärztlichen Fehlern zu formulieren: "Zu häufig, zu viel, zu lange", lautete die Überschrift. Im Mittelpunkt des Textes stand erneut die Schmerzbehandlung mit Opioiden.

Auch in dem FAS-Artikel ist davon die Rede, dass in Deutschland inzwischen viel zu schnell Betäubungsmittel-Rezepte ausgestellt werden, zudem noch überwiegend und immer häufiger für chronische Leiden, die nicht unter die Rubrik "Tumor" fallen.

Anstieg bei langwirkenden WHO-3-Opioiden

Als Beleg dafür wird neben den Aussagen diverser Schmerzexperten unter anderem eine Studie herangezogen, die im Januar 2013 im "Deutschen Ärzteblatt" erschienen ist und an der Professor Rainer Sabatowski vom Schmerzzentrum der Universitätsklinik Dresden beteiligt war (Dtsch Arztebl Int 2013; 110: 45).

Tatsächlich wurde in der Untersuchung ein Anstieg der Opioidverschreibungen in Deutschland um 37 Prozent zwischen 2000 und 2010 konstatiert: Im Jahr 2000 waren 3,31 Prozent der Versicherten mindestens einmal mit Opioiden behandelt worden, 2010 waren es 4,53 Prozent - was einer absoluten Differenz von 1,22 Prozentpunkten entspricht.

76,7 Prozent aller Opioidverordnungen entfielen auf Patienten, die an chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen (CNTS) litten. Im Jahr 2000 waren es freilich 80,6 Prozent gewesen. Verdoppelt hat sich indessen der Anteil der langwirkenden WHO-3-Opioide an den verordneten Tagesdosen bei CNTS (2000: 16 Prozent; 2010: 33 Prozent).

Sabatowski und Kollegen wenden sich nicht grundsätzlich dagegen, CNTS-Patienten Opioide zu verschreiben. Immerhin existiert sogar eine Leitlinie der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes zur "Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen", in die auch Arbeiten Sabatowskis eingeflossen sind.

Der Schmerzexperte und seine Mitautoren ziehen einen anderen Schluss: "Opioide werden überwiegend bei Nichttumorschmerz verordnet. Deshalb kann aus der Zunahme der Opioidverordnungen nicht auf eine bessere Versorgung der Tumorpatienten geschlossen werden."

Die geäußerte Kritik hilft wenig weiter

Ob Opioide gegebenenfalls gegen CNTS verabreicht werden dürfen, ist nicht strittig. Durchaus kritisch zu sehen ist hingegen, wie sie eingesetzt und welche Zubereitungen verwendet werden.

Sabatowski und Kollegen deuten auf wunde Punkte: Intensivierung der Opioidtherapie bei CNTS-Patienten, zunehmende Langzeittherapie bei ungenügenden Daten und ein hoher Anteil hochpotenter nichtretardierter Opioide.

Zu häufig, zu viel, zu lange: Es ist erst ein paar Jahre her, dass den Medizinern in Deutschland von Experten in der Schmerztherapie das genaue Gegenteil um die Ohren gehauen wurde.

Mängel in der Opioidtherapie von Patienten mit chronischen Schmerzen sind zwar zweifellos vorhanden. Um sie abzustellen, hilft es aber wenig, die ehedem für opiophob gescholtenen Ärzte nunmehr pauschal der Opiophilie zu verdächtigen.

Bald könnte es sonst wieder heißen: zu kurz, zu wenig zu selten. Das würde die Zeiten nicht besser machen, nicht für die Ärzte, vor allem aber nicht für deren Schmerzpatienten.

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