Personalisierung im Fokus

Welchem Schmerzpatienten hilft welche Therapie?

Auch bei Schmerzen wird verstärkt auf maßgeschneiderte Lösungen gesetzt. Das gilt für die Pharmakotherapie, wo man Responder identifiziert und für psychotherapeutische Interventionen, die auf das jeweilige Syndrom ausgerichtet werden.

Von Dr. Christine Starostzik Veröffentlicht:
Bei manchen Schmerzpatienten reagieren die Nervenfasern überempfindlich auf Reize.

Bei manchen Schmerzpatienten reagieren die Nervenfasern überempfindlich auf Reize.

© psdesign1 / fotolia.com

MÜNCHEN. Mag man es nun als personalisierte, als individualisierte oder als stratifizierte Medizin bezeichnen - das Ziel, für jeden einzelnen Patienten die für ihn maßgeschneiderte Behandlung zu finden, gilt natürlich auch für die Therapie bei Schmerzen.

Welche Optionen bieten hier die unterschiedlichen psychotherapeutischen Interventionen, und was tut sich in puncto maßgeschneiderter Pharmakotherapie?

Von psychologischen Therapien können sowohl Kinder und Jugendliche als auch Erwachsene mit chronischen Schmerzen profitieren, wobei dies - global gesehen - allerdings nur für die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) gelte, schränkte Privatdozent Dr. Claas Lahmann von der TU München bei der Neurowoche 2014 ein.

Außerdem seien die direkt schmerzbezogenen Effekte lediglich kurzfristig. Tatsächlich hat die KVT unter den psychotherapeutischen Therapieoptionen die beste Evidenz, vor allem, wenn sie in einen integrativen Ansatz eingebettet ist.

Andere Verfahren haben eine gute Evidenz bei speziellen Schmerzpatienten: Bei Reizdarmsyndrom etwa zeichnen sich Erfolge mit einer darmbezogenen Hypnotherapie ab.

Zudem gibt es Studien, die für die psychodynamische Psychotherapie bei somatoformen Schmerzstörungen ähnliche Effektstärken belegen wie für die Verhaltenstherapie, und bei Fibromyalgie lassen sich mit multimodaler Schmerztherapie, die eine KVT einschließt, relativ gute Erfolge erzielen.

Bei Patienten mit Komorbiditäten, die den Langzeitverlauf von Schmerzerkrankungen beeinflussen, wie Angststörungen, depressive Störungen und Trauma-Folgestörungen, haben sich störungsorientierte Psychotherapien bewährt.

Der Langzeitverlauf ist wenig untersucht

Nur in wenigen Studien sind bislang neurobiologische Verbesserungen im Langzeitverlauf von chronischem Schmerz geprüft worden. Es gibt allerdings Arbeiten zum Fibromyalgiesyndrom, nach denen ungünstige Veränderungen durch KVT reversibel sind.

Ähnliches gilt für die Hypnosetherapie bei Fibromyalgie und Rückenschmerz. Bei der psychodynamischen Psychotherapie der somatoformen Schmerzstörung zeichnet sich derzeit etwas ab, die Interpretation gestalte sich jedoch noch schwierig, meinte Lahmann.

Daneben ist eine banale, aber wichtige Weisheit im klinischen Alltag noch immer gültig: "Was früher geholfen hat, hilft auch jetzt." Lahmann hält die Erfahrung des Therapeuten mit Schmerzpatienten allerdings für wichtiger als die Art der Therapie selbst.

Große Probleme bereitet in vielen Gegenden Deutschlands nach wie vor die Verfügbarkeit von Therapeuten. In Brandenburg etwa wartet ein Patient durchschnittlich 20 Wochen auf ein psychotherapeutisches Erstgespräch.

Wichtig bei der Wahl der geeigneten Methode ist nicht zuletzt die Bereitschaft des Patienten, sich zu verändern und mitzuarbeiten. Dabei kommt es darauf an, in welcher Phase sich der Patient gerade befindet. In einem präkontemplativen Stadium etwa können nach Angaben von Lahmann einsichtsorientierte Methoden wie die psychodynamische Psychotherapie hilfreich sein.

"Psy-Phobiker" problematisch

Die KVT dagegen wirkt besser bei Patienten in der Handlungsphase. Feststellen lässt sich die Veränderungsbereitschaft des Patienten mit dem "Pain Stages of change Questionnaire".

Problematisch gestaltet sich laut Lahmann der Umgang mit "Psy-Phobikern". "Aus Studien wissen wir, je ablehnender ein Patient auf den Vorschlag reagiert, sich mit dem psychologischen Bereich seines Schmerzes zu beschäftigen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass genau in diesem Feld etwas zu finden ist."

Auch bei der Wahl der Pharmakotherapie bei Schmerzen wird immer mehr auf maßgeschneiderte Lösungen gesetzt. "Wir haben heute Hinweise darauf, dass wir anhand bestimmter sensorischer Qualitäten eine Vorhersage treffen können, ob ein Patient auf eine Therapie anspricht oder nicht", sagt Professor Ralf Baron vom Uniklinikum Schleswig-Holstein in Kiel.

Es hat sich gezeigt, dass es für alle medikamentösen Ansätze immer eine größere Gruppe Schmerzpatienten gibt, die gut auf einen Wirkstoff anspricht und eine größere Gruppe, bei der das gleiche Medikament nicht wirkt. "Das heißt, unser Job wird in Zukunft sein, die Responder zu identifizieren und ihnen die richtige Medikation anzubieten."

Zwei Hauptprofile bei den Nervenfasern

Dies könnte gelingen, indem der sensorische Phänotyp des Patienten ermittelt wird. Möglich ist dies mit dem somatosensorischen QST(quantitativ sensorische Testung)-Profil.

Hier werden 13 Parameter wie Berührung, Druck, Hitze, Kälte erfasst. In einer Studie ließen sich auf diese Weise zwei Hauptprofile unter den Schmerzpatienten identifizieren: Bei den einen waren die Nervenfasern offensichtlich noch vorhanden; es zeigte sich aber eine Überempfindlichkeit, insbesondere gegen Hitze und Berührung.

Bei den anderen wiesen die Befunde auf einen Funktionsverlust, also eine Degeneration der Fasern und fehlende Natrium-Kanäle hin. Sensorische Reize konnten nicht mehr übertragen werden.

Dennoch litten die Patienten unter heftigen Schmerzen wie Polyneuropathie. Während Pregabalin bei Patienten mit positivem QST-Tests wirksam war, war der Effekt bei Funktionsverlust deutlich schlechter.

Dass Natrium-Kanalblocker tatsächlich weitaus besser bei Patienten mit irritablen Nozizeptoren wirken als bei solchen mit einem Schmerzprofil, das auf degenerierte Fasern schließen lässt, wurde in einer weiteren Studie mit Oxcarbazepin bestätigt.

Da QST-Tests aufwändig sind, werden einfachere Lösungen gesucht, etwa der Einsatz von Patientenfragebögen zu Symptomen und Schmerzqualität wie painDETECT™ oder NPSI (Neuropathic Pain Symptom Inventory).

Offenbar mit Erfolg: Aus den Antworten im NPSI ließen sich Patientengruppen mit überaktiven oder degenerierten Nervenfasern charakterisieren und einer entsprechenden Ansprechbarkeit gegenüber Pregabalin zuordnen.

"Ich denke, wir können dieses Element in Zukunft nutzen, um Subgruppen, die auf die spezielle Substanz ansprechen, anhand solcher Fragebögen zu identifizieren", sagt Baron. "Wir sollten diesen Weg weitergehen, denn wir brauchen die Individualisierung in der Schmerzmedizin.

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