Schmerzexperten warnen

Cannabis ist kein Allheilmittel bei Schmerzen

Lediglich bei einem Bruchteil der Erkrankungen mit chronischen Schmerzen ist bislang erwiesen, dass cannabisbasierte Arzneimittel tatsächlich helfen – so die Kritik von Experten im Vorfeld des Deutschen Schmerzkongresses.

Veröffentlicht:
Die Nachfrage nach medizinischem Hanf ist hoch. Doch welche Patienten tatsächlich von cannbishaltigen Arzneien profitieren, ist nach Expertenmeinung unklar.

Die Nachfrage nach medizinischem Hanf ist hoch. Doch welche Patienten tatsächlich von cannbishaltigen Arzneien profitieren, ist nach Expertenmeinung unklar.

© M.Dörr & M.Frommherz / stock.adobe.com

MANNHEIM. Seit März 2017 stehen Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen durch eine Gesetzesänderung nun auch cannabisbasierte Arzneimittel zur Schmerzlinderung zur Verfügung. Die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. und die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V. (DMKG) weisen in einer Pressemitteilung allerdings darauf hin, dass die Wirksamkeit von cannabisbasierten Arzneimittel nur bei einem Bruchteil der Erkrankungen mit chronischen Schmerzen erwiesen ist. Von einer Eigentherapie mit Cannabisblüten raten die Experten ausdrücklich ab, da die Dosierungen ungenau seien und es zu unerwünschten, gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen kommen könne.

"Es besteht keine ausreichende Evidenz, dass cannabisbasierte Arzneimittel in der Therapie bei Tumorschmerzen, rheumatischen und gastrointestinalen Schmerzen oder bei Appetitlosigkeit bei Krebs und AIDS wirksam sind", erklärt Professor Winfried Häuser, Kongresspräsident und Ärztlicher Leiter des Schwerpunktes Psychosomatik am Klinikum Saarbrücken in der Mitteilung. Häuser wertete zusammen mit Kollegen aus insgesamt 750 identifizierten Studien elf systematische Übersichten zu diesem Thema aus, die zwischen Januar 2009 bis Januar 2017 erschienen sind.

Evidenz nur bei neuropathischen Schmerzen

Die Forscher kommen in der aktuell im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichten Arbeit zu dem Ergebnis, dass keine ausreichende Evidenz für cannabisbasierte Arzneimittel (Dronabinol, Nabilon, Medizinalhanf, THC/CBD-Spray) bei Tumorschmerzen, rheumatischen und gastrointestinalen Schmerzen besteht. Auch positive Effekte bei Appetitlosigkeit, unter der Krebspatienten und Menschen mit AIDS häufig leiden, sind nach der wissenschaftlichen Auswertung nicht erwiesen. Eine ausreichende Quantität der Evidenz bestehe nur beim neuropathischen Schmerz, so Häuser.

Die intensive Medienberichterstattung über Cannabis bei Schmerzen habe dazu geführt, dass zum Teil auch Kopfschmerzpatienten eine Verordnung vehement einforderten, berichtet Privatdozentin Dr. Stefanie Förderreuther, Präsidentin der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) e. V.. Doch auch in diesem Bereich sei die Studienlage noch zu dürftig, als dass eine reguläre Behandlung mit Cannabinoiden empfohlen werden könne.

Wirkeffekte je nach Krankheitsbild unklar

Die Experten weisen darauf hin, dass die weibliche Hanfpflanze Cannabis sativa etwa 500 verschiedene Komponenten enthalte, davon circa 100 Cannabinoide. Die medizinische Wirksamkeit bei Schmerzlinderung und Entzündungen sei zwar von zwei Cannabinoiden, nämlich Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD), in Einzelfällen und durch einige klinische Studien erwiesen. Doch die Wirkeffekte auf den menschlichen Körper seien noch weitgehend unerforscht.

"Es müssen zunächst für jedes Krankheitsbild methodisch gut gemachte randomisierte plazebokontrollierte Studien vorliegen, die den gewünschten Effekt einer Schmerzlinderung belegen und die Art, Schwere und Häufigkeit von Nebenwirkungen wie zum Beispiel Verwirrtheit oder Psychosen erfassen", betont daher Förderreuther in der Mitteilung. Häuser ergänzt: "Es ist darüber hinaus sehr wichtig, verschiedene Formen von cannabishaltiger Medizin zu unterscheiden."

Es gibt 14 Sorten Cannabisblüten

Derzeit seien 14 Sorten Cannabisblüten auf Rezept erhältlich. Die Konzentration des in dem Medizinalhanf enthaltenen Tetrahydrocannabinols (THC) liege dabei zwischen 1 und 22 Prozent, die des Cannabidiols (CBD) zwischen 0,05 und 9 Prozent. Erschwerend komme hinzu, dass uns Dosierungsangaben für einzelne Indikationen fehlen.

Die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. begrüßt dennoch die Gesetzesänderung des Bundestags. Sie hebe nun die bisherige Barriere bei der Kostenerstattung von cannabishaltigen Rezeptur- und Fertigarzneimitteln auf. "Wichtig ist allerdings, dass Cannabinoide nicht als isoliertes Therapieverfahren, sondern in Kombination mit physiotherapeutischen und schmerzpsychotherapeutischen Verfahren genutzt werden", fordern Häuser und Förderreuther. Jede Form einer Eigentherapie lehnen die Experten wegen unüberschaubaren Nebenwirkungen durch drohende Dosis-Schwankungen ab. (run)

Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Ambulantisierung

90 zusätzliche OPS-Codes für Hybrid-DRG vereinbart

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System

Lesetipps
Der Patient wird auf eine C287Y-Mutation im HFE-Gen untersucht. Das Ergebnis, eine homozygote Mutation, bestätigt die Verdachtsdiagnose: Der Patient leidet an einer Hämochromatose.

© hh5800 / Getty Images / iStock

Häufige Erbkrankheit übersehen

Bei dieser „rheumatoiden Arthritis“ mussten DMARD versagen