Schmerztherapie

Opioide: Auch bei uns häufig gefährliche Langzeit-Analgesie

Ausufernde Langzeitverordnungen von Opioid-Analgetika gelten als Auslöser der Opioidepidemie in den USA. Aber auch in Deutschland werden hier Obergrenzen häufig nicht beachtet, zeigt eine Studie.

Von Beate Schumacher Veröffentlicht:
Tablettensucht? Opioide werden bei nicht-tumorbedingten Schmerzen oft zu hoch dosiert.

Tablettensucht? Opioide werden bei nicht-tumorbedingten Schmerzen oft zu hoch dosiert.

© Sven Weber / Fotolia

SAARBRÜCKEN. Bei der Langzeitanwendung von Opioid-Analgetika gegen nicht-tumorbedingte Schmerzen (LONTS) sollte eine tägliche Dosis von 120 mg oralem Morphinäquivalent (MEQ) nur in Ausnahmen überschritten werden, empfiehlt die S3-Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden. Alternativen und die Indiziertheit der Opioide müssen zudem vorher überprüft werden.

Basis für diese Empfehlung waren Daten aus US-Kohortenstudien, die auf eine Zunahme von Komplikationen bei höheren Tagesdosen hinweisen. Die unerwünschten Effekte sind jedoch kein US-spezifisches Problem. Wie Schmerzexperten um Professor Winfried Häuser von der Universität Saarbrücken anhand von GKV-Daten festgestellt haben, wird in Deutschland diese Tagesdosis bei jedem zehnten LONTS-Patienten überschritten. Damit verbunden ist ein erhöhtes Risiko für riskante Verordnungen und für Substanzmissbrauch (Pain 2017; online 25. September).

Die Forscher haben hierzu Daten von mehr als vier Millionen GKV-Patienten aus dem Jahr 2014 ausgewertet. Von diesen erhielten 0,8 Prozent eine LONTS (mindestens drei aufeinander folgende Quartale). Die Tagesdosis lag im Schnitt bei 48 mg MEQ. jeder zehnte Patient bekam mehr als 120 mg MEQ am Tag. In dieser Hochdosisgruppe betrug die Dosis im Mittel 211 mg MEQ/d. In der leitliniengemäß behandelten Gruppe lag sie bei durchschnittlich 30 mg MEQ/d. Eine hochdosierte Opioidtherapie wurde häufiger bei 40- bis 59-Jährigen und bei Männern verschrieben, zudem bei Patienten mit chronischen Schmerzerkrankungen, Bandscheibenschäden, Osteoporose, somatoformen Störungen und Depressionen. Schmerzen bei Patienten mit psychiatrischen Komorbiditäten sollen laut Leitlinie nicht mit Opioiden gestillt werden. Laut Häuser und Kollegen scheint es jedoch in den USA und Europa die Tendenz zu geben, ausgerechnet solchen Patienten hochdosierte Opioid langfristig zu verschreiben. Diese haben aber das höchsten Risiko für negative Folgen.

Die Hochdosistherapie war zudem häufiger mit riskanten Medikamentenverordnungen verbunden, berichten die Schmerzexperten. Im Vergleich zu leitliniengerecht behandelten LONTS-Patienten bekamen Betroffene häufiger gleichzeitig auch Tranquilizer (14,3 vs. 11,0 Prozent) oder Antidepressiva (53,1 vs. 38,2 Prozent). Die Opioidverordnungen stammten zudem häufiger von mehr als drei verschiedenen Ärzten (8,5 vs. 6,3 Prozent). Zudem gab es bei den Hochdosispatienten mehr Indizien für Missbrauch oder Abhängigkeit von den verordneten Opioiden: Sie wurden signifikant häufiger wegen psychischer oder Verhaltensauffälligkeiten oder auch Intoxikationen durch Opioide und weitere Substanzen im Krankenhaus behandelt (2,9 vs. 1,6 Prozent). Darüber hinaus war die Hochdosistherapie auch mit höheren Gesundheitsausgaben verbunden.

Fazit der Autoren: Die Analyse stützt die Leitlinien-Empfehlungen von maximal 120 mg MEQ/d bei LONTS. Bei Patienten mit chronischen Schmerzen und begleitenden psychiatrischen Erkrankungen ist besondere Vorsicht geboten.

So wird das MEQ (orales Morphinäquivalent) berechnet

120 mg Morphin oral entsprechen

  • 600 mg Tramadol oral oder
  • 600 mg Tilidin/Naloxon oder
  • 1,2 mg Fentanyl TTS
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