Systematische Untersuchung

Dem Schmerz im Labor auf der Spur

Forscher nähern sich dem Phänomen Schmerz mit einer neuen Methode: Sie haben an gesunden Probanden eine Fülle von Daten gesammelt und ein "menschliches Schmerzmodell" entwickelt. Ein überraschendes Ergebnis: Frauen reagieren auf Druck empfindlicher.

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Dreidimensionale Darstellung eines selbstorganisierten neuronalen Netzes, das Gruppen von Personen mit gleicher Schmerzempfindlichkeit als Kugeln gleicher Färbung darstellt.

Dreidimensionale Darstellung eines selbstorganisierten neuronalen Netzes, das Gruppen von Personen mit gleicher Schmerzempfindlichkeit als Kugeln gleicher Färbung darstellt.

© Universität Frankfurt am Main

FRANKFURT / MAIN. Bei einem starken Sonnenbrand tut sogar die Berührung der Bettdecke weh. Und Wärmesalbe, auf einen steifen Nacken aufgetragen, kann unter der Dusche anfangen, furchtbar zu brennen. Aber wie kann man diese subjektiven Empfindungen objektivieren, sodass man sie besser behandeln kann?

Um das herauszufinden, haben Wissenschaftler der Goethe-Universität Frankfurt ein "menschliches Schmerzmodell" entwickelt (Pain 2018; 159(1):11-24). "Indem wir gesunde Probanden verschiedenen Reizen wie Druck, Hitze oder Kälte aussetzen und anschließend die Schmerzschwelle bestimmen, können wir klinischen Schmerz unter Laborbedingungen nachbilden", wird Studienautor Professor Jörn Lötsch in einer Mitteilung der Universität zitiert.

2460 Messdaten wurden analysiert

Mit UV-Strahlen erzeugten Lötsch und seine Mitarbeiter bei 82 Probanden Mikrosonnenbrände auf etwa einem Quadratzentimeter der Haut und trugen an anderen Stellen Capsaicin-Salbe auf. Capsaicin kommt in Chili-Schoten vor und ist der Hauptwirkstoff vieler Wärmesalben. Beide Maßnahmen führen zu lokal begrenzten Schädigungen des Gewebes und senken damit die Schmerzschwelle.

Anschließend testeten die Wissenschaftler systematisch, wie viel empfindlicher die Probanden reagierten, wenn sie an diesen Stellen zusätzlich gewärmt, gekühlt, gedrückt oder gepiekt wurden. Die Studienteilnehmer sollten dabei angeben, ab welcher Temperatur oder welchem Druck sie den allmählich gesteigerten Reiz spürten und wann er unangenehm wurde.

Die so gewonnenen 2460 Messdaten analysierten und strukturierten Lötsch und seine Mitarbeiter mithilfe des maschinellen Lernens: Das selbstorganisierende Programm habe – wie erwartet – aufgedeckt, dass der Mikrosonnenbrand alle Probanden für Hitze empfindlicher machte, berichtet die Uni Frankfurt. Ebenso reagierten die Studienteilnehmer stärker auf Kältereize.

Nach Vorbehandlung mit Capsaicin war den Probanden Hitze ebenfalls unangenehmer. Bei der computergestützten Analyse gab es jedoch eine Überraschung. Es kristallisierten sich bei der Druckempfindlichkeit nach Behandlung mit Capsaicin zwei Untergruppen heraus, die sich durch ihr Geschlecht unterschieden: Frauen reagierten auf Druck empfindlicher als Männer.

Chance für chronisch Kranke?

"Die Studie war ein Methoden-Test. Wir wollten wissen, ob man komplexe Informationen über den Schmerz mit maschinellem Lernen anschaulich und greifbar machen kann", erklärt Lötsch. Das Ergebnis ist eine dreidimensionale Darstellung.

Mithilfe des neuen Ansatzes wollen die Frankfurter Wissenschaftler nun auch klinische Daten chronisch kranker Patienten untersuchen. Lötsch und seine Mitarbeiter hoffen, so eine Therapiemöglichkeit für Menschen zu finden, bei denen die Schmerztherapie keine zufriedenstellende Wirkung erreicht hat.

Kombi aus Biomedizin und Informatik

"Dieser innovative fachübergreifende Ansatz in seiner Kombination aus experimenteller biomedizinischer und informatischer Forschung wird in Zukunft eine immer größere Rolle spielen bei der datenbasierten Entwicklung neuer Arzneimittel zur Behandlung von Schmerzen", so die Erwartungen des Studienautors Professor Gerd Geißlinger. (eb)

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