Neue Studien

Migräneprophylaxe mit Antikörper?

Zwei Studien mit einem neuen Antikörper gegen das Calcitonin-Genverwandte Peptid deuten auf eine gute Migräneprophylaxe bei einem Teil der Patienten: Ein Drittel der Betroffenen konnte die Zahl der Migränetage drastisch senken.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:

FRAZER. Bei der Entwicklung neuer Migräneprophylaktika konzentrieren sich Pharmaunternehmen derzeit vor allem auf monoklonale Antikörper gegen das Calcitonin-Gen-verwandte Peptid (CGRP). Der Neurotransmitter wird in größeren Mengen im afferenten trigemino-vaskulären System freigesetzt und gilt als ein wichtiger Mediator für Migräneschmerzen.

Mit LY2951742 (Lilly) und ALD403 (Alder) wurden in den vergangenen eineinhalb Jahren erste positive Phase-II-Daten zu diesem Wirkprinzip vorgestellt.

Nun legt Teva mit einem weiteren Antikörper nach: In einer Phase-IIb-Studie wurde der Antikörper TEV-48125 bei 297 Patienten mit hochfrequenter episodischer Migräne (8-14 Kopfschmerztage pro Monat) geprüft, in einer weiteren IIb-Studie bei 264 Patienten mit chronischer Migräne (15 und mehr Kopfschmerztage pro Monat).

Jeden Monat subkutane Injektion

Die beiden Studien bestätigen im Wesentlichen, dass mit humanisierten Anti-CGRP-Antikörpern die Migräne bei einem Teil der Patienten ihren Schrecken verliert, ohne dass vermehrt Nebenwirkungen auftreten.

In der Studie mit episodischer Migräne bekamen die Teilnehmer drei Monate lang jeden Monat eine subkutane Injektion mit 225 mg oder 675 mg des Antikörpers oder aber mit Placebo (Lancet Neurol 2015; 14: 1081-1090).

Die niedrigere Dosis sollte nach pharmakokinetischen Berechnungen ausreichen, um die CGRP-Aktivität komplett zu blockieren, die höhere Dosis wurde zur Kontrolle dieser Hypothese und zur besseren Erfassung unerwünschter Wirkungen gewählt - eine bessere Wirksamkeit der hohen Dosis wurde also nicht erwartet.

Die Studienärzte um Dr. Marcelo Bigal vom Teva-Forschungszentrum in Frazer schlossen Patienten aus, die Opioide oder Barbiturate benötigten, sowie Patienten, die zuvor schon auf zwei Versuche mit anderen Prophylaktika nicht angesprochen hatten.

Zu Beginn der Studie litten die Patienten an rund zehn Tagen im Monat an Migräneattacken. Im letzten Monat der Studie lag die Zahl der Migränetage in den beiden Antikörpergruppen noch bei rund vier, mit Placebo waren es noch sechseinhalb. Im Detail reduzierte sich die Zahl der Migränetage mit 225 mg des Antikörpers um 6,3 und mit 675 mg um 6,1 Tage, mit Placebo waren es lediglich 3,5 Tage.

Im Vergleich zu Placebo hatten die Patienten mit dem Antikörper jeweils 2,8 und 2,6 Migränetage weniger - diese Unterschiede waren hochsignifikant (p < 0,0001).

Jeder Zweite spricht an

Noch deutlicher waren die Unterschiede bei der Zahl der Responder: Eine mindestens 50-prozentige Reduktion der Migränetage erreichten 28 Prozent mit Placebo, 53 Prozent mit der niedrigen sowie 59 Prozent mit der höheren Dosierung.

Im Umkehrschluss heißt das jedoch, dass fast die Hälfte der Patienten auf den Antikörper nicht ansprach. Wurde geschaut, wie viele eine 75-prozentige Reduktion der Schmerztage schafften, dann waren das nur 11 Prozent mit Placebo, aber immerhin ein Drittel in den beiden Antikörpergruppen. Bei einem gewissen Teil der Patienten scheint die Therapie also sehr gut zu wirken.

Ein ähnliches Bild ergab sich in der Studie zur chronischen Migräne (Lancet Neurol 2015; 14: 1091-1100). Hier erhielten die Patienten in der einen Gruppe im ersten Monat eine Injektion mit 675 mg, in den beiden folgenden Monaten nur noch 225 mg.

Die zweite Gruppe bekam stets 900 mg pro Monat, die dritte Placebo. Primärer Endpunkt war hier die Zahl der Migränestunden pro Monat.

Zu Beginn der Studie wurden die Patienten im Schnitt zwischen 160 und 170 Stunden im Monat von Migräneattacken geplagt. Dieser Wert sank um knapp 60 Stunden mit der niedrigen und um rund 68 Stunden mit der höheren Dosierung. Dagegen hatten Patienten mit Placebo im dritten Therapiemonat nur 37 Migränestunden weniger als anfangs.

Mit Placebo ging die Zahl der Migränestunden um 22 Prozent mit dem Antikörper um 38 und 43 Prozent zurück. Die Unterschiede zu Placebo waren ebenfalls signifikant, aber nicht ganz so deutlich wie in der ersten Studie (p = 0,039 und 0,006).

Bis zu 75 Prozent weniger Kopfschmerztage

Die Zahl der Tage mit moderaten bis starken Kopfschmerzen ging in den Antikörpergruppen um etwa sechs, unter Placebo um vier zurück - ausgehend von 13 bis 14 Tagen vor Therapiebeginn. Auch die Zahl der 50-Prozent-Responder war mit dem Antikörper deutlich größer: 53 und 55 Prozent versus 31 Prozent mit Placebo.

75 Prozent weniger Kopfschmerztage schafften 29 und 32 Prozent mit dem Antikörper, aber nur 16 Prozent mit Placebo.

Therapie-assoziierte Nebenwirkungen gab es in der Studie zur episodischen Migräne in allen Gruppen bei etwa einem Viertel der Patienten, in der Studie zu chronischer Migräne waren diese bei 17 Prozent unter Placebo und etwa 30 Prozent mit dem Antikörper zu beobachten. Am häufigsten traten Schmerzen und Juckreiz an der Injektionsstelle auf.

Ernsthafte unerwünschte Wirkungen mit Bezug zur Therapie wurden in keiner der Gruppen beobachtet.Auffallend in beiden Studien ist die sehr unterschiedliche Wirksamkeit des Antikörpers bei den einzelnen Patienten: Bei den einen kommt die Migräne fast zum Erliegen, andere verspüren kaum einen nennenswerten Effekt.

In einem Editorial zu den Studien vermutet Dr. Julio Pascual von der Universität in Santander, Spanien, dass CGRP nicht bei allen Migränepatienten ähnlich bedeutsam ist. Bei einem Teil seien wohl andere Neurotransmitter wie Glutamat oder vasoaktives intestinales Peptid (VIP) relevanter. Diese Patienten benötigten eine andere Therapie.

Möglicherweise könnten Biomarker wie CGRP- und VIP-Serumspiegel künftig diejenigen Patienten herausfiltern, die von der Behandlung am ehesten profitieren.

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