Migräne

Der Kopfschmerz, der mit der Kälte kam

Eine besondere genetische Anpassung an niedrige Temperaturen erlaubte unseren Vorfahren, Europa und Nordasien zu besiedeln. Das könnte allerdings auch die Ursache für die Migräneanfälligkeit von Europäern sein.

Von Alice Lanzke Veröffentlicht:
Als unsere Vorfahren in kalte Regionen ausgewandert sind, hat wurde so wohl die Grundlage für Migräneanfälligkeit angelegt.

Als unsere Vorfahren in kalte Regionen ausgewandert sind, hat wurde so wohl die Grundlage für Migräneanfälligkeit angelegt.

© fonto / Fotolia

LEIPZIG / CAMBRIDGE / HELSINKI. Stress, Hormonschwankungen oder bestimmte Lebensmittel: Die Auslöser für eine Migräneattacke sind bekanntermaßen vielfältig und noch nicht umfänglich wissenschaftlich geklärt. Eine Studie am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig (MPI-EVA) könnte nun jedoch wichtige Hinweise für eine Ursache der Migräne liefern.

So berichten Wissenschaftler um Dr. Felix-Michael Key, dass eine genetische Variante, die vor Jahrtausenden eine wichtige Rolle bei der Anpassung an kälteres Klima spielt, in Zusammenhang mit der Entstehung von Migräne stehen könnte (PLoS Gen 2018; 14(5): e1007298).

Mit anderen Worten: Als unsere Vorfahren den warmen afrikanischen Kontinent verließen und sich auch in kälteren Gefilden niederließen, half ihnen ein bestimmtes Gen, sich an die neuen Wetterbedingungen anzupassen – und führte gleichzeitig dazu, anfälliger für Migräne zu sein.

Genvariante "rs10166942" Schuld

Hinweise für diese Theorie lieferte die Tatsache, dass in Europa und Amerika Migräne stärker verbreitet ist als in Afrika oder Asien. "Die Kolonisierung könnte durch genetische Anpassungen begleitet worden sein, die den frühen Menschen halfen, mit den niedrigeren Temperaturen umzugehen", erläutert Mitautorin Dr. Aida Andres vom University College London.

Zur Überprüfung dieser Vermutung nahmen die Wissenschaftler das Gen TRPM8 in den Fokus, das die genetische Information für einen Kälterezeptor enthält, der Menschen erlaubt, mit kühlerem Wetter besser umzugehen. Sie entdeckten, dass die Variante "rs10166942" jenes Gens in den vergangenen 25.000 Jahren bei Bevölkerungsgruppen im Norden immer häufiger wurde.

Dazu passt auch die Tatsache, dass Angaben der Forscher zufolge nur fünf Prozent der Menschen mit nigerianischen Vorfahren über die Variante rs10166942 verfügen, aber 88 Prozent der Menschen mit finnischer Abstammung.

Insgesamt nehme der Anteil der Menschen mit rs10166942 in höheren Breitengraden und mit kälterem Klima zu. Und eben jene Genvariante wurde in früheren Studien bereits mit Migräne-Kopfschmerzen in Verbindung gebracht.

Die Wissenschaftler des MPI-EVA vermuten daher, dass die Anpassung an kalte Temperaturen früher menschlicher Populationen bis zu einem gewissen Grad beeinflusst, wie häufig Migräne heute in den jeweiligen Regionen vorkommt.

Häufung in einigen Familie

Migräne kommt allerdings nicht nur in bestimmten Breitengraden häufiger vor, sondern auch in einigen Familien: Auch für diese Tatsache haben Wissenschaftler nun mögliche Antworten in den Genen gefunden.

So hat eine weitere aktuelle Studie von Forschern um Dr. Aarno Palotie von der Universität Helsinki und dem US-amerikanischen Broad-Institut in Cambridge ergeben, warum manche Familien anfällig für Migräneattacken sind und wie die Gene beeinflussen könnten, welche Art der Migräne sie bekommen (Neuron 2018; online 14. April).

Polygene Varianten erhöhen Risiko

Die Forscher untersuchten, ob die Weitergabe von Migräne an die Nachkommen den Mendelschen Erbregeln folgt, deren Ausprägung also von jeweils nur einem Gen bestimmt wird, oder ob mehrere Gene an der Ausbildung beteiligt sind (Polygenie). Dafür analysierten sie die medizinischen und genetischen Daten von 1589 Familien, bestehend aus 8319 Einzelpersonen, bei denen bekannt war, dass sie unter Migräneattacken litten.

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die polygenen Varianten das Risiko, an Migräne zu erkranken, erheblich erhöhten. Umgekehrt spielten einzelne Gene, also die Ausprägung nach Mendel, eine geringere Rolle als von Palotie und seinen Kollegen erwartet.

Die Stärke der polygenen Varianten sei überraschend gewesen, betont Palotie in einer Mitteilung des Verlags Cell Press. Dem Forscher zufolge sind weitere Genomsequenzierungen und größere Studien nötig, um mehr Genvarianten zu finden, die an der Entstehung von Migräne beteiligt sind. Das sei vor allem für die Entwicklung neuer Medikamente wichtig.

Angaben der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zufolge leiden in Deutschland etwa 8-10 Prozent der Männer und 10-25 Prozent der Frauen an Migräne. (dpa, Mitarbeit: bae)

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