Rückenschmerzen

Weniger operieren wäre sinnvoller

Kreuzschmerzen sind ein Volksleiden - in der Republik gibt es immer mehr Rücken-Op. Dabei könnte eine multimodale Therapie oft mehr Erfolg bringen. Sie wäre auch noch günstiger, meint Dr. Bernhard Arnold aus Dachau. Das Problem ist aber die Vergütung.

Von Dr. Dagmar Kraus Veröffentlicht:

Dr. Bernhard Arnold

Aktuelle Position: Chefarzt der Abteilung für Schmerztherapie an den Amper Kliniken in Dachau.

Werdegang: 1980: Promotion; 1986: Facharzt für Anästhesie (inkl. Intensivmedizin und Notfallmedizin); Zusatzbezeichnung Spezielle Schmerztherapie, Psychotherapie; 1993 Leitung der Tagesklinik für Schmerztherapie am Klinikum Neuperlach/München als Modellprojekt des Bay. Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration.

Sprecher der adhoc Kommission "Multimodale interdisziplinäre Schmerztherapie" der Deutschen Schmerzgesellschaft

Schwerpunkt: Chronische Schmerzen

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Arnold, laut RKI leiden zehn Prozent der Deutschen unter chronischen Kreuzschmerzen. Sind das alles Anwärter für eine multimodale Therapie?

Dr. Bernhard Arnold: Nein, bei Rückenschmerzen, selbst bei anhaltenden, gibt es eine hohe Spontanheilungsrate. Vielen kann schon mit einfachen Maßnahmen geholfen werden, wie einer vorübergehenden medikamentösen Therapie oder Physiotherapie. Wichtig ist, dass die Betroffenen körperlich aktiv bleiben.

Bei welchen Patienten kommt eine multimodale Therapie in Betracht?

Arnold: Eines der Schlüsselkriterien ist die Frage, wie der Patient mit seinem Rückenproblem umgeht. Ist die Sichtweise auf die eigene Gesundheit eher negativ, kann die Stimmungslage als depressiv bezeichnet werden, bestehen Schwierigkeiten am Arbeitsplatz und ist der Arbeitsalltag von monotonen, nicht selbstbestimmten Tätigkeiten geprägt, erhöht das die Gefahr einer Chronifizierung.

Das zu beurteilen, hätten die Hausärzte mit ihrer Kenntnis der Lebensumstände der Patienten gute Voraussetzungen. Leider werden diese Yellow flags, wie diese Faktoren genannt werden, in unserem Gesundheitssystem zu wenig beachtet. Dabei haben gerade diese weichen Faktoren beim Rückenschmerz einen hohen prädiktiven Wert.

Was beinhaltet das multimodale Konzept?

Arnold: Das Prinzip basiert auf der Vorstellung, dass ein chronisches Schmerzproblem nicht allein auf körperlicher Ebene stattfindet, sondern in Wechselwirkung mit psychischen Begleiterscheinungen und sozialen Auswirkungen tritt.

Beispiel: Eine depressive Stimmungslage aufgrund dauerhafter Rückenschmerzen beeinträchtigt die Leistung am Arbeitsplatz, die negative Rückmeldung am Arbeitsplatz verstärkt die körperliche und seelische Symptomatik. Diese Wechselbeziehungen muss die Behandlung berücksichtigen.

Entsprechend arbeiten Mediziner, Physiotherapeuten und Psychologen bzw. Psychotherapeuten Hand in Hand. Sie erarbeiten gemeinsam ein Therapieziel und setzen es gemeinsam um. Unter 100 Stunden reine Therapiearbeit ist bei chronischen Rückenschmerzen nicht effektiv.

Muss die Therapie immer stationär erfolgen?

Arnold: Prinzipiell ist die Behandlung in jeder Organisationsform möglich. Nach unserer Erfahrung ist es von Vorteil, wenn die Patienten den Kontakt zu ihrem gewohnten Umfeld halten können. Das spricht für eine ambulante oder teilstationäre Behandlung.

Allerdings sind der enorme Therapieumfang und der intensive interdisziplinäre Austausch im ambulanten Bereich nur schwer umsetzbar, zumal der Begriff "multimodale Therapie" in den Vergütungskatalogen des ambulanten Sektors nicht existiert.

Die teilstationären schmerztherapeutischen Einrichtungen stehen in Bayern im Krankenhausbedarfsplan, das heißt die Krankenkassen sind verpflichtet, die Kosten zu übernehmen. In anderen Bundesländern ist das nicht so.

Hier beruht die teilstationäre Betreuung auf Einzelverträgen, wie etwa in Sachsen und Rheinland-Pfalz. Die vollstationäre Behandlung wird über die festen Sätze der DRGs abgerechnet, die alles andere als kostendeckend sind.

Von Kosten in welcher Höhe sprechen wir denn?

Arnold: Ein Patient in teilstationärer Behandlung kostet bei etwa 25 Behandlungstagen in Bayern um die 7500 Euro, zuzüglich zwei Tage vorherigem Assessment, eventuell vorbereitender Behandlung, um Therapiehindernisse auszuräumen, und zuzüglich einer Booster-Behandlung nach einem halben Jahr sowie nach zwei Jahren. Der Gesamtbetrag liegt bei 10.000 bis 12.000 Euro.

Dennoch bestätigten Krankenkassen wie die Barmer GEK der multimodalen Schmerztherapie eine hervorragende ökonomische Effektivität. Wie lässt sich das erklären?

Arnold: Aufgrund der Wirksamkeit der multimodalen Therapie lassen sich die umfangreichen Folgekosten einer chronischen Schmerzerkrankung einsparen. Der Patient geht seltener zum Arzt, braucht weniger Medikamente.

Außerdem kehren zwischen 60 und 80 Prozent der Patienten, die aufgrund ihrer Beschwerden arbeitsunfähig waren, nach einer multimodalen Therapie wieder an den Arbeitsplatz zurück. Bezogen auf den langen Krankheitsverlauf zahlen sich also die hohen Anfangskosten aus.

Die Versteifung dreier Wirbelsäulensegmente etwa kostet ebenfalls um die 12.000 Euro. Nur ihre Wirksamkeit bei unspezifischen Kreuzschmerzen ist nicht belegt, und bei vielen Patienten ist nach dem Eingriff der Kostenaufwand genauso hoch wie vorher.

Demnach müssten viele Rückenschmerz-Geplagte multimodal behandelt werden. Wie hoch ist der Anteil aktuell?

Arnold: Im Jahr 2011 sind bundesweit knapp über 50.000 Rückenschmerz-Patienten multimodal behandelt worden. Verglichen mit den Zahlen zur stationären Injektionsbehandlung an der Wirbelsäule, im Jahr 2011 waren das 450.000, ist der Anteil nach wie vor sehr gering.

Dabei ist im Gegensatz zur multimodalen Schmerztherapie die Injektionstherapie bislang einen Wirksamkeitsnachweis schuldig geblieben.

Warum kommen immer noch so wenige Patienten in den Genuss dieser Therapieform, während der Anteil der Operationen und der Injektionstherapien steigt?

Arnold: Schuld an diesem Missverhältnis sind wirtschaftliche Aspekte: Zwei Tage stationärer Aufenthalt zur Injektionstherapie werden mit 1600 bis 2000 Euro honoriert. Für zehn Tage multimodale Therapie zahlen die Kassen 4000 Euro. Da braucht es schon viel "medizinisches Gewissen", um von der Wirtschaftlichkeit abzurücken.

Gibt es ein erstes Umdenken bei den Krankenkassen?

Arnold: Es gibt Selektivverträge, die diesen multidisziplinären Therapiegedanken im ambulanten Sektor umzusetzen versuchen. Dabei orientieren sich die Krankenkassen stark an der Nationalen Versorgungsleitlinie "Kreuzschmerz".

Der Berufsverband der Deutschen Schmerztherapeuten hat einen solchen Selektivertrag mit der KKH. Dabei wird zum einen der Aufwand entsprechend vergütet und zum anderen durch Bonuszahlungen das Erreichen bestimmter Zielparameter honoriert, wie weniger Operationen, weniger Medikamenteneinnahme, weniger Arbeitsfehlzeiten, weniger Hilfsmittel. Eine erste objektive Auswertung wird für Ende diesen Jahres erwartet.

Was müsste Ihrer Ansicht nach getan werden, damit endlich mehr Patienten eine Therapie erhalten, die ihnen auch hilft?

Arnold: Wir bräuchten dringend eine Veränderung im Vergütungssystem. Die multimodale Schmerztherapie muss angemessen honoriert werden. Im vollstationären Bereich brauchen wir höhere Festsätze. Es braucht mehr Unterstützung für die Einrichtung teilstationärer Abteilungen.

Die wirtschaftlichen Fehlanreize müssen abgeschafft werden, damit nicht weiter Unsummen in die operative und interventionelle Fehlversorgung vergeudet werden. Die Indikationsstellung zur interventionellen Behandlung ist stärker zu kontrollieren, etwa über Zweitmeinungsmodelle oder Indikationsprüfungen durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen.

Ein gutes Beispiel dafür ist der diesjährige Beschluss Nummer 290 des Bewertungsausschusses. Demnach muss jeder Patient, der sich ambulant einer wirbelsäulennahe Injektionsbehandlung unterziehen soll, zunächst bei einem Schmerztherapeuten vorstellig werden, der die Sinnhaftigkeit dieser Intervention überprüft.

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