Multimodale Therapiekonzepte

Bei Rückenschmerz mit einer Stimme sprechen

Dass Rückenschmerzpatienten multimodale Therapiekonzepte brauchen, ist Konsens. In der stationären Praxis gibt es deutliche Qualitätsunterschiede und im ambulanten Sektor Defizite. Doch die könnten behoben werden.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Patientenschulung zu Rückenschmerz am Modell: In vielen Leitlinien wird eine spezielle Schmerzedukation empfohlen.

Patientenschulung zu Rückenschmerz am Modell: In vielen Leitlinien wird eine spezielle Schmerzedukation empfohlen.

© Christin Klose / dpa / picture alliance

Rückenschmerzen gelten in Industriestaaten als Volkserkrankung Nummer eins. Unter Schmerzmedizinern herrscht Einigkeit darüber, dass Patienten mit Kreuzschmerzen einer multimodalen Behandlung bedürfen, die die analgetische Therapie, eine körperliche Aktivierung und psychotherapeutische Verfahren beinhaltet sowie die individuellen Lebensumstände berücksichtigt.

So hat eine kürzlich veröffentlichte österreichische Studie bestätigt, dass eine aktive, multimodale, interdisziplinäre Schmerztherapie bei Erwerbsfähigen mit chronischen Rückenschmerzen einer physiotherapeutisch-physikalischen Standardtherapie überlegen ist. Denn es werden vergleichsweise mehr schmerzauslösende und schmerzerhaltende Faktoren günstig beeinflusst (Schmerz 2019; 33(4):337-346).

Gemengelage von Ursachen

Patienten, deren subakute und chronische, nicht-spezifische Rückenschmerzen sich nicht nach mehreren Wochen bessern, sollen laut Nationaler Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz an einem multimodalen Behandlungsprogramm teilnehmen. Im kurativen Bereich wird darunter „die gleichzeitige, inhaltlich, zeitlich und in der Vorgehensweise aufeinander abgestimmte umfassende Behandlung“ verstanden. Die multimodale Therapie in der Rehabilitation zielt besonders auf erkrankte Berufstätige, um deren Erwerbsfähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen.

„Eine psychische Belastung steht nicht selten am Anfang chronischer Rückenschmerzen und kann die führende Ursache sein“, erläutert Dr. Thomas Cegla, Leiter der Schmerzklinik am Helios Universitätsklinikum Wuppertal und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. (DGS). „Es kann aber auch sein, dass Fehlhaltungen am Arbeitsplatz, ein Zuviel oder ein Zuwenig an Bewegung ausschlaggebend sind.“ Diese Gemengelage gelte es zu sortieren und „Yellow flags“ zu identifizieren, die eine Chronifizierungsgefahr anzeigen, sowie „Red flags“, die auf das Vorhandensein eines Gewebeschadens mit dringendem Behandlungsbedarf hinweisen.

„Ökonomische Fehlanreize“

Im stationären Bereich, in vielen Bundesländern auch in Tageskliniken, besteht die Möglichkeit, Fallpauschalen-finanziert eine multimodale Schmerztherapie zu anzubieten. Im ambulanten Bereich funktioniert das allenfalls punktuell. „Voraussetzung sind Strukturen, die die Spezialisten zusammenbringt: psychotherapeutisch tätige Psychologen, Physiotherapeuten und Schmerztherapeuten“, so Cegla.

Er warnt vor ökonomischen Fehlanreizen, die, so die Erfahrung, bereits zu deutlichen und womöglich nicht gerechtfertigten Leistungszunahmen geführt haben. „Da gibt es große Qualitätsunterschiede zwischen den Kliniken.“ Viele Rückenschmerzpatienten sind operativ vorbehandelt, ohne dass dies die Situation maßgeblich verbessert hätte. „Solche Operationen sind meist nicht eingebettet in ein multimodales Setting“, kritisiert Cegla.

Viele Patienten werden danach mit ihren weiterhin bestehenden Beschwerden allein gelassen, wenn sich der erhoffte Effekt einer Operation nicht eingestellt hat. Cegla: „Nichts ist fataler, als den ersten Schritt im stationären Bereich zu tun und die Schritte zwei und drei fehlen, weil sich dies in der ambulanten Anschlussbehandlung nicht abbilden lässt.“ Soll heißen: Multimodale Therapiekonzepte müssen schnittstellenübergreifend funktionieren. Nur so lassen sich nachhaltige Wirkungen erzielen. Alle Beteiligten verfolgen dabei eine Philosophie und sprechen gegenüber den Patienten mit einer Stimme, gerade was die notwendige Aktivierung der Patienten und die Selbstwirksamkeit angeht.

Patientenwünsche berücksichtigen

Dabei gilt es, die Patientenwünsche und -bedürfnisse zu berücksichtigen. Denn die werden bei einem jungen Menschen, der erstmals schwere Rückenschmerzen wegen eines Bandscheibenvorfalls hat, anders aussehen als bei einer mittelalten Patientin mit hohen Arbeitsplatzbelastungen und mangelnder Bewegung oder bei einem alten Menschen mit internistischen Begleiterkrankungen. „Es braucht einen abgestimmten Behandlungsplan über einen bestimmten Zeitraum“, fasst Cegla zusammen.

Dabei bilde sich der psychotherapeutische Behandlungsbedarf in der derzeitigen Versorgung von Rückenschmerzpatienten in keiner Weise ab – ein erhebliches Problem angesichts der Chronifizierungsgefahr von Rückenschmerzen. „Uns stehen formal Therapiemöglichkeiten zur Verfügung, die wir aber nicht nutzen können, weil die Ressourcen dafür fehlen“, sagt der Anästhesist und Schmerzmediziner. Dem gegenüber stehen hohe Erwartungshaltungen und eine erhebliche Frustrationsrate bei Patienten, wenn mehrere Therapieversuche erfolglos geblieben sind.

Mit dem Disease Management-Programm (DMP) „Chronischer Rückenschmerz“, für das Kassenärztliche Vereinigungen, Ärztenetze oder Krankenhäuser seit Oktober 2019 Verträge mit den gesetzlichen Krankenkassen abschließen können, besteht die Chance, diese Situation zu verbessern. „Um diese Chance zu nutzen, brauchen wir jetzt einen Lernprozess auf allen Seiten“, fordert Cegla. Dann ließe sich etwas erreichen, das Rückenschmerz-Patienten ebenso nutzt wie es sich volkswirtschaftlich rechnen werde.

Wird präsentiert von der „Ärzte Zeitung“ in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS)

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