Seltene Erkrankungen

Mit ELVIS Immundefekten auf der Spur

Nach wie vor dauert es manchmal Jahre, bis bei Patienten mit gehäuften Infektionen ein Immundefekt erkannt wird. Kollegen aus Freiburg plädieren deshalb für eine frühe Bestimmung der Immunglobulinwerte.

Dr. Marlinde LehmannVon Dr. Marlinde Lehmann Veröffentlicht:
Nicht etwa "The King": ELVIS steht in einer Studie für Erreger, Lokalisation, Verlauf, Intensität und Summe.

Nicht etwa "The King": ELVIS steht in einer Studie für Erreger, Lokalisation, Verlauf, Intensität und Summe.

© Maridav / stock.adobe.com

NEU-ISENBURG. Nach Schätzungen gibt es in Deutschland rund 100.000 Menschen mit einem angeborenen Immundefekt. Nur bei einem Bruchteil davon – Experten sprechen von etwa 4000 – ist bisher eine Diagnose gestellt.

"Angeborene Immundefekte zählen zu den seltenen Erkrankungen und werden, wie viele andere seltene Erkrankungen auch, in der Diagnostik leider noch immer nicht ausreichend berücksichtigt", sagt Gabriele Gründl, Vorsitzende der Patientenorganisation Deutsche Selbsthilfe Angeborene Immundefekte e.V. (dsai).

Patienten mit angeborenem Immundefekt bilden zu wenig oder überhaupt keine Antikörper. Sie leiden deshalb unter immer wiederkehrenden Infekten, die das normale Maß deutlich übersteigen.

Was ist "normal"?

Was nicht mehr als "normales Maß" gilt, wird für Erwachsene in sechs Punkten zusammengefasst:

  • Vier oder mehr Infektionen innerhalb eines Jahres, bei denen eine Antibiotika-Therapie nötig wird
  • Rezidivierende Infektionen oder eine Infektion mit dem Bedarf einer verlängerten Antibiotikatherapie
  • Zwei oder mehr schwere bakterielle Infektionen
  • Zwei oder mehr radiologisch nachgewiesene Pneumonien innerhalb von drei Jahren
  • Infektion mit ungewöhnlicher Lokalisation oder mit ungewöhnlichem Erreger
  • Primärer Immundefekt in der Familie.

Da die physiologische Infektionsanfälligkeit altersabhängig ist, wird sie für Kinder und Erwachsene unterschiedlich definiert: Für Kinder sind es nicht sechs, sondern zwölf Auffälligkeiten, die als Hinweise für angeborene Immundefekte gelten. Sie sind zum Beispiel von der dsai in einem "Leitfaden für Ärzte zur Erstdiagnostik" zusammengestellt worden.

Unterwegs mit ELVIS und GARFIELD

ELVIS

Das Akronym ELVIS beschreibt die erhöhte Anfälligkeit für Infektionen, nämlich Auffälligkeiten bei

- Erreger,

- Lokalisation,

- Verlauf,

- Intensität,

- Summe (Anzahl von Episoden)

Kurz und knapp: Um Immundefekten auf die Spur zu kommen, sollten Ärzte ELVIS und GARFIELD im Hinterkopf haben.

Das Akronym ELVIS beschreibt die erhöhte Anfälligkeit für Infektionen, nämlich Auffälligkeiten bei Erreger (zum Beispiel Pneumonie durch Pneumocystis jirovecii), Lokalisation (zum Beispiel Toxoplasmose des ZNS), Verlauf, Intensität, sowie Summe (Anzahl von Episoden).

Das Akronym GARFIELD beschreibt Manifestationen der immunologischen Fehlsteuerung, die auch ohne Infektanfälligkeit auf einen angeborenen Immundefekt hinweisen können: Granulome, Autoimmunität, Rezidivierendes FIeber, ungewöhnliche Ekzeme, Lymphoproliferation, chronische Darmentzündung.

Als zusätzliche Warnzeichen gelten eine auffällige Familienanamnese, auffällige Laborwerte (Lymphopenie/Neutropenie, Hypogammaglobulinämie) und Gedeihstörung oder Gewichtsverlust. Bei erhöhter Anfälligkeit für Infektionen sollten aber auch sekundäre Immundefekte durch andere chronische Erkrankungen, durch Medikamente oder etwa durch eine HIV-Infektion in Betracht gezogen werden.

"Während der Verdacht auf einen Immundefekt bei opportunistischen Infektionen auf der Hand liegt, dauert es weiterhin über vier Jahre bei (vorwiegend erwachsenen) Patienten mit Antikörpermangel, die vor allem über die Summe der stattgehabten Infektionen auffallen, bevor die entsprechende Diagnose gestellt wird", berichten Dr. Ulrich Salzer und Professor Klaus Warnatz, beide vom Universitätsklinikum Freiburg (Dtsch Med Wochenschr 2017; 142: 829-832). Dieses Intervall müsse durch frühzeitigere Bestimmung der Immunglobulinwerte verkürzt werden.

Stufenweise Diagnose

Die Diagnostik primärer Immundefekte (PID) erfolgt in Stufen, deren erste das Differenzialblutbild und die quantitativen Immunglobulinspiegel enthält. Sie sollte bei klinischem Verdacht großzügig angewandt werden, so Salzer und Warnatz. Je nach klinischer Präsentation erfolgten die weiteren Schritte in Zusammenarbeit mit einem in der PID-Diagnostik erfahrenen Arzt.

Die Entdeckung monogenetischer Ursachen der Immundefizienz habe im Zusammenhang mit der Technik des Next-Generation-Sequencing zugenommen. So seien neue Krankheitsbilder definiert und das klinische Spektrum bereits bekannter monogenetischer Defekte erweitert worden.

Den "Leitfaden für Ärzte zur Erstdiagnostik angeborener Immundefekte" gibt es kostenlos bei der dsai: www.dsai.de/Publikationen/Broschüren

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