ModerneBandscheiben-Op schont Gewebe

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Beim vollendoskopischen Operieren haben die Wirbelsäulenchirurgen eine gute Sicht. Sie arbeiten ausschließlich um den bedrängten Nerven herum.

Beim vollendoskopischen Operieren haben die Wirbelsäulenchirurgen eine gute Sicht. Sie arbeiten ausschließlich um den bedrängten Nerven herum.

© Fotos (2): S. Ruetten, St. Anna-Hospital Herne

BERLIN (ner). Bei Bandscheibenoperationen minimal-invasiv vorzugehen ist heutzutage selbstverständlich. Die Op mit kleinem Hautschnitt und unterm Mikroskop gilt inzwischen als Standardverfahren. Seit wenigen Jahren werden nun auch vollendoskopische Verfahren angeboten. Ein Wirbelsäulenchirurg aus Herne sagte kürzlich, konventionell operiere er eigentlich nur noch Patienten mit Cauda-equina- Syndrom. Und auch das nur aus juristischen Gründen.

Es gebe keinen signifikanten Unterschied zwischen den neurologischen Komplikationsraten bei mikroskopischer und offener Op an der Nervenwurzel, sagte Dr. Konrad Seller aus Freiburg beim Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie in Berlin. Seller verwies auf Daten von knapp 300 Dekompressionsoperationen an der Lendenwirbelsäule, die in Düsseldorf und Leipzig vorgenommen worden waren, und zwar entweder mikroskopisch oder offen.

Die Patienten hatten Bandscheibenvorfälle, Spinalkanalstenosen, Tumoren oder intraspinale Abszesse. Beim Vergleich mikroskopische versus offene Op bei Bandscheibenprolaps oder Spinalkanalstenose schnitt die offene Operation tendenziell schlechter ab: 4,6 Prozent aseptische Wundheilungsstörungen, die einen chirurgischen Eingriff erforderlich machten, versus drei Prozent nach mikroskopischem Vorgehen. Tiefe Infektionen gab es bei zwei Prozent der Patienten mit offenen Operationen, aber nur bei 0,6 Prozent nach mikrochirurgischer Op. Auch versehentliche Dura-Eröffnungen waren nach offenen Eingriffen mit 4,6 versus 1,2 Prozent deutlich häufiger.

Postoperativ ist Zunahme der Symptome sehr selten

Sämtliche Unterschiede waren zwar statistisch nicht signifikant, belegen jedoch, dass unter dem Mikroskop offenbar genauer und tatsächlich schonender operiert werden kann. Eines der wichtigsten Ergebnisse aus Patientensicht: In beiden Gruppen nahmen bei lediglich einem von 100 Operierten postoperativ die neurologischen Symptome zu, oder es traten neue neurologische Ausfälle auf. Alle Eingriffe waren von ein und demselben Operateur vorgenommen worden. Fazit: Die Ergebnisqualität beider Verfahren ist ähnlich.

Vollendoskopische Op erfolgt über Foramen intervertebrale

Komprimierte Nervenwurzeln an der Wirbelsäule werden zunehmend endoskopisch vom Druck entlastet.

Komprimierte Nervenwurzeln an der Wirbelsäule werden zunehmend endoskopisch vom Druck entlastet.

© Fotos (2): S. Ruetten, St. Anna-Hospital Herne

Mit vollendoskopischen Eingriffen lässt sich das Gewebetrauma noch weiter minimieren. Bei mikroskopischen Operationen ist noch ein zwei bis vier Zentimeter langer Hautschnitt nötig. Die Rückenmuskulatur muss von der Wirbelsäule gelöst werden, und erst dann kann der Spinalkanal eröffnet werden, um komprimierte Nerven vom Druck zu erlösen. Beim endoskopischen Vorgehen nutzen die Chirurgen anatomisch präformierte Zugänge wie das Foramen intervertebrale.

Dr. Sebastian Rütten vom St.- Anna-Hospital in Herne verwendet ein Endoskop mit einem Außendurchmesser von lediglich 6,9 mm. Darin haben Schächte für Lichtfaserkabel, Spülflüssigkeit und Werkzeuge wie die Mikrofasszangen Platz. Die 25-Grad-Optik gewährt über den Bildschirm einen scharfen, klaren und vergrößerten Blick auf die Anatomie. Operiert wird unter einem ständigen Flüssigkeitsstrom, vergleichbar mit einer Kniegelenksarthroskopie.

Einer der wesentlichen Vorteile des endoskopischen Operierens durch das Foramen intervertebrale ist, dass man direkt den ventralen Epiduralraum erreichen kann, wo Bandscheibenvorfälle oder -sequester meistens liegen. Die gute Sicht ermöglicht ein Arbeiten ausschließlich um den bedrängten Nerven herum, anderes Gewebe kann geschont werden.

Allerdings erfordert das endoskopische Operieren vom Chirurgen ein völliges Umdenken. Denn er blickt nicht mehr von hinten auf den zu operierenden Bereich, sondern er sieht auf dem Monitor die anatomischen Strukturen von ventral nach dorsal schauend. Man müsse die Anatomie schon sehr gut kennen und stets wissen, wo im dreidimensionalen Raum man sich gerade befinde, betonte Rütten in Berlin. "Das ist etwas ganz anderes, als mit der Lupe zu operieren!" Neue endoskopische Mikroinstrumente wie Stanzen oder Fräsen ermöglichen heute Eingriffe, von denen selbst Protagonisten noch vor wenigen Jahren nicht glaubten, dass dies erreichbar sein könnte. Bei 40 Prozent der Patienten mit Bandscheibenvorfällen an der Lendenwirbelsäule und mit Spinalkanalstenosen ist nach Rüttens Ansicht eine Op durch die Foramina möglich. Vorteil: Man muss keine Bänder oder Knochen resezieren, man umgeht die dorsale Muskulatur und hat direkten Zugang zum Spinalkanal.

Konventioneller Eingriff beim Cauda-equina-Syndrom

Die anderen 60 Prozent der Patienten operiert Rütten über einen interlaminären Zugang. Da bleiben kaum noch Patienten mit Indikation für konventionelle Eingriffe übrig, vom Cauda-equina-Syndrom abgesehen. Prospektive, randomisierte Studien haben nach Angaben des Wirbelsäulenchirurgen ergeben, dass mit der vollendoskopischen Op-Technik mindestens die Ergebnisse des heutigen Standardverfahrens, der mikroskopischen Op, erreicht werden können, entsprechende Operationserfahrung vorausgesetzt.

Dennoch betont Rütten: Jeder Operateur müsse auch künftig die konventionellen Operationsverfahren beherrschen, um Patienten Alternativen anbieten und Komplikationen meistern zu können.

FAZIT

Komprimierte Nervenwurzeln an der Wirbelsäule, etwa bei Bandscheibenvorfällen oder Spinalkanalstenosen, werden zunehmend endoskopisch vom Druck entlastet. Damit soll noch weniger peripheres Gewebe verletzt werden als bei mikrochirurgischem Vorgehen. Als Vorteile für die Patienten werden noch weniger postoperative Schmerzen, eine beschleunigte Heilung sowie die kürzere Aufenthaltsdauer im Krankenhaus angegeben. (ner)

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