PIP-Brustimplantate doch nicht giftig?

Brüste, die Ärger machen: Die minderwertigen PIP-Implantate haben für einen handfesten Skandal gesorgt und tausende Frauen verängstigt. Jetzt kommt die britische Gesundheitsbehörde NHS allerdings zu dem Schluss, dass die Implantate gar nicht so gefährlich sind - außer vielleicht für Säuglinge.

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Ausgequetscht: PIP-Gel.

Ausgequetscht: PIP-Gel.

© Bruno Bebert / epa / dpa

LEEDS (nös). Die minderwertigen Brustimplantate der Firma Poly Implant Prothèse (PIP) sind womöglich weniger gefährlich als bislang angenommen. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls der britische Gesundheitsdienst NHS in seinem finalen Expertenbericht.

Zwar hätten die Silikonkissen ein doppelt so hohes Rupturrisiko wie vergleichbare Implantate, doch das Silikongel sei weder toxisch noch karzinogen, resümiert Professor Sir Bruce Keogh, medizinischer Direktor des NHS.

In den vergangenen Monaten hatte seine PIP-Expertengruppe Daten von über 240.000 Brustimplantaten und 5600 Explantationen ausgewertet. Zusätzlich haben sie das PIP-Gel und die Gele anderer medizinischer Implantate toxikologisch untersucht.

Zur Erinnerung: Die PIP-Implantate waren Ende vergangenen Jahres in Verruf geraten, nachdem bekannt wurde, dass der Unternehmensgründer Jean-Claude Mas jahrelang minderwertiges Industriesilikon verwendet haben soll.

Schätzungen zufolge könnten bis zu 75 Prozent aller PIP-Implantate davon betroffen sein. Weltweit tragen bis zu 500.000 Frauen Implantate des Herstellers, mehrere zehntausend sollen minderwertige Silikonkissen erhalten haben.

Streit um die Kosten

Auch Implantate anderer Hersteller hatten zeitweise Silikongel von PIP bezogen. Die Behörden konnten deswegen nicht ausschließen, dass auch dort das Industriesilikon zum Einsatz kam.

In der Folge warnten die Zulassungsbehörden europaweit vor den Implantaten und riefen zu einer beispiellosen "Rückrufaktion" auf. Frauen sollten gemeinsam mit ihren Ärzten überlegen, ob eine Explantation in Frage komme.

Über die Kostenfrage war im Anschluss zumindest in der Bundesrepublik ein heftiger Streit entbrannt. Die gesetzlichen Krankenkassen verwiesen darauf, dass sie Versicherte an den Folgekosten von medizinisch nicht indizierten Eingriffen beteiligen müssen.

In anderen Ländern, etwa Großbritannien oder Frankreich, hatten die Regierungen beschlossen, zumindest die Kosten bei einer Explantation zu übernehmen.

Doch mit dem finalen NHS-Gutachten stellt sich die Frage, ob die Entfernung der Implantate überhaupt nötig ist. Denn in der Gesamtschau sehen die Experten keine großen gesundheitlichen Risiken.

Gefahr aus der Muttermilch?

Knapp heißt es: "Das Gel (...) ist nicht reizend und stellt keine Gefahr für die menschliche Gesundheit dar." Allerdings stellte sich bei den Analysen heraus, dass die Zusammensetzung des PIP-Silikons von der medizinischer Silikone abweicht.

Auffällig waren die Siloxane, silikonähnliche Verbindungen, deren Molekülgewicht aber deutlich geringer ist als das herkömmlicher Silikone. Besonders erhöht waren die Werte für die Siloxane D4, D5 und D6.

Für die NHS-Experten sind die erhöhten Werte aber kein Grund zur Besorgnis, denn diesen Stoffen sind die meisten Menschen ohnehin täglich ausgesetzt - Siloxane kommen in Hautpflegeprodukten, Haarkosmetik oder Deodorants vor.

Dementsprechend wurde ihre gesundheitliche Auswirkung auch schon früher untersucht. Das NHS verweist auf eine Bewertung des britischen Bewertungskomitees von 2004, wonach von Siloxanen keine gesundheitlichen Risiken ausgehen.

Allerdings könnten die vergleichsweise kleinen Moleküle nach einer Ruptur des Implantates in die Muttermilch gelangen. Ob das tatsächlich der Fall ist, will die britische Zulassungsbehörde MHRA in einer separaten Untersuchung feststellen.

Doppelt so hohes Rupturrisiko

Das Team um Keogh fand in den PIP-Gelen allerdings auch Cäsium. Die Konzentration war mit 0,3 ppm jedoch so gering, dass die Experten es als "biologisch nicht relevant" eingestuft hatten.

Doch selbst wenn das Gel nicht toxisch ist, bleibt das Risiko einer Ruptur. Das ist immerhin zweimal höher als bei vergleichbaren anderen Brustimplantaten.

Vor allem ab dem zehnten Jahr nach der Implantation steigt das Risiko deutlich an: In den ersten Jahren beträgt die Rupturrate 6 bis 12 Prozent, nach zehn Jahren steigt sie deutlich auf 15 bis 30 Prozent. Zum Vergleich: Bei anderen Implantaten liegt das Risiko auch nach zehn Jahren noch bei 10 bis 14 Prozent.

Also doch eine Gefahr für Frauen? Nicht in jedem Fall, meinen die NHS-Experten. Denn zwar könne ausgetretenes Gel in manchen Fällen lokale Reaktionen wie Schmerzen oder geschwollene Lymphknoten hervorrufen, Nachweise für generelle Gesundheitsgefahren gebe es aber nicht.

Insgesamt hat das NHS denn auch keine Belege dafür gefunden, dass PIP-Implantate häufiger mit Komplikationen assoziiert sind wie Kapselfibrosen, Hämatomen oder gar Krebs.

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