Bei Rückenmarksverletzungen

Das erste halbe Jahr ist entscheidend

In den ersten sechs Monaten nach einer Rückenmarksverletzung erholen sich die Patienten am stärksten. Anhand früher, charakteristischer Nervenzellveränderungen lässt sich daher die Prognose Betroffener gut vorhersagen.

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Erholung nach Rückenmarksverletzung: Mit Bildgebung lässt sich die Prognose vorhersagen.

Erholung nach Rückenmarksverletzung: Mit Bildgebung lässt sich die Prognose vorhersagen.

© Marc Bolliger

ZÜRICH. Rückenmarksverletzungen führen zu einem Abbau von Nervengewebe in Rückenmark und Gehirn. Diese neurodegenerativen Veränderungen lassen sich mit bildgebenden Verfahren detailliert analysieren, berichtet die Universität Zürich in einer Mitteilung.

Je nach Ausmaß und Entwicklung des Nervenverlusts nach sechs Monaten konnten Forscher der Universität erstmals zuverlässig vorhersagen, wie gut sich ein Patient zwei Jahre nach der Verletzung erholen wird.

Rückenmark und Gehirn betroffen

Verletzungen am Rückenmark führen in kurzer Zeit zu einem fortschreitenden Verlust von Nervengewebe. Dieser betrifft nicht nur die verletzte Stelle, sondern mit der Zeit auch weitere Teile des Rückenmarks und sogar das Gehirn. Die Magnetresonanztomografie ermöglicht detaillierte Einblicke in diese neurodegenerativen Veränderungen.

Ein internationales Forscherteam um Privatdozent Dr. Patrick Freund vom Spinal Cord Injury Center der Universität Zürich und des Universitätsspitals Balgrist hat zum ersten Mal untersucht, wie der Abbau von Nervenzellen sowie Veränderungen der neuronalen Mikrostruktur während den ersten zwei Jahren nach der Rückenmarkverletzung verlaufen (Neurology 2018; online 7. März). Je geringer der anfängliche Nervenabbau, desto besser ist die längerfristige Erholung.

In ihrer Studie untersuchten die Wissenschaftler 15 Patienten mit einer akuten traumatischen Rückenmarksverletzung zusammen mit 18 gesunden Studienteilnehmern nach 2, 6, 12 und 24 Monaten.

In Gehirn und Rückenmark bestimmten sie jeweils das anatomische Ausmaß der Neurodegeneration, den Verlust an Myelin sowie die degenerations- und entzündungsbedingte Ansammlung von Eisen im Nervengewebe.

Dabei zeigte sich, dass die Erholung der Patienten nach zwei Jahren in direktem Zusammenhang steht mit dem Ausmaß der neurodegenerativen Veränderungen sechs Monate nach der Verletzung. "Je geringer der gesamthafte Verlust an Nervengewebe am Anfang war, desto besser sind längerfristig die klinischen Fortschritte der Betroffenen", wird Freund in der Mitteilung zitiert.

Messung früher Veränderungen

Überraschend war für die Forscher, dass die neurodegenerativen Veränderungen im Gehirn und Rückenmark auch zwei Jahre nach einem Trauma fortschreiten. Im Gegensatz dazu erholen sich Patienten in den ersten sechs Monaten am stärksten, danach flacht diese Entwicklung ab. Dies deutet darauf hin, dass früh nach der Verletzung neurodegenerative und kompensierende Veränderungen in Konkurrenz stehen.

Mit der Zeit überwiegt dabei aber die Neurodegeneration. Anhand der frühen, charakteristischen Nervenzellveränderungen lässt sich präzise vorhersagen, wie sich ein Patient mit Rückenmarksverletzung langfristig erholen wird. Die hochauflösende Bildgebung ermöglicht zudem, die durch die Rückenmarksverletzung verursachte Neurodegeneration von therapiebedingten positiven Veränderungen zu unterscheiden.

Der Neuroimaging-Experte Freund ergänzt: "Wir haben nun ein Werkzeug, um Effekte von Behandlungs- und Rehabilitationsmaßnahmen im Vergleich zu den rein verletzungsbedingten Veränderungen erstmals verlässlich ermitteln zu können. Klinische Studien lassen sich damit zukünftig effizienter und kostengünstiger durchführen."

Studien zum Training geplant

Die in der Studie beteiligten Patienten werden nach fünf Jahren nochmals mit der gleichen Methode untersucht.

Die Wissenschaftler wollen feststellen, ob die neurodegenerativen Veränderungen dann zu einem Stillstand gekommen sind oder weiter voranschreiten. Freund und sein Team plant zudem Trainingsstudien, die aufzeigen sollen, ob ein intensives Training von Arm- und Beinfunktionen den Patienten hilft, ihren Verlust an Nervengewebe zu bremsen oder aufzuhalten. (eb/eis)

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