Studie

Ältere nach Hüft-Op voll belasten!

Die Empfehlung, nach einer Hüftfraktur-Op das Bein nur eingeschränkt zu belasten, hat Münchner Chirurgen zufolge bei geriatrischen Patienten wenig Sinn – ganz im Gegenteil, so das Fazit der Studienautoren.

Von Dr. Elke Oberhofer Veröffentlicht:
Unterwegs mit Gehhilfen nach Hüft-Op: Unfallchirurgen wünschen sich für betroffene ältere Patienten eine Versorgung, die eine schmerzadaptierte Vollbelastung möglich macht.

Unterwegs mit Gehhilfen nach Hüft-Op: Unfallchirurgen wünschen sich für betroffene ältere Patienten eine Versorgung, die eine schmerzadaptierte Vollbelastung möglich macht.

© pix4U / fotolia.com

MÜNCHEN. Nach der operativen Versorgung einer Hüftfraktur wird dem Patienten häufig geraten, die Gliedmaße auf der betreffenden Seite zunächst nur teilweise zu belasten. Dies steht in Einklang etwa mit den Empfehlungen der American Academy of Orthopaedic Surgeons.

Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit die meist betagten Patienten überhaupt in der Lage sind, dieser Empfehlung Folge zu leisten – abgesehen von den möglichen Risiken der damit verbundenen Bewegungseinschränkung.

Um herauszufinden, wie Frakturpatienten im klinischen Alltag mit der Teilbelastung zurechtkommen, unterzog ein Team um Privatdozent Dr. Christian Kammerlander, Sektionsleiter Alterstraumatologie am Klinikum der LMU München – Großhadern, zwei Gruppen von Teilnehmern einer Belastungsanalyse mithilfe einer patentierten Kraftmess-Sohle (J Bone Joint Surg Am 2018; 100: 936–41).

Sensoren in den Schuhen

Die mit einem Sensor ausgestattete Sohle wird in den Schuh eingelegt und kann via Bluetooth Messdaten an einen Computer oder ein Smartphone übertragen.

Bei der ersten Gruppe handelte es sich um 16 Patienten (11 Frauen, 5 Männer) im Alter von mindestens 75 Jahren (mittleres Alter 84), die nach einer Trochanterfraktur – diese stellt neben der Oberschenkelhalsfraktur eine der häufigsten Frakturarten an der Hüfte dar – eine Marknagelfixation erhalten hatten. Die kognitiven Fähigkeiten in dieser Gruppe waren zuvor überprüft worden; Patienten mit entsprechenden Einschränkungen hatte man von der Teilnahme ausgeschlossen.

Die Teilnehmer der zweiten Gruppe waren zwischen 18 und 40 Jahre alt; sie waren wegen einer Knöchelfraktur operiert worden.

Maximal erlaubte Belastung: 20 kg

Postoperativ erhielten alle Teilnehmer eine physiotherapeutische Anleitung zur Teilbelastung. Mithilfe einer Waage übten sie, das betroffene Bein mit nicht mehr als 20 kg zu belasten. Dazu konnten entweder Krücken oder Gehhilfen eingesetzt werden. Die Teilbelastung wurde über die jeweilige Dauer des Klinikaufenthalts aufrechterhalten.

Unmittelbar vor der Klinikentlassung führten Kammerlander und Kollegen bei allen Teilnehmern eine Ganganalyse mit der Kraftmess-Sohle durch. Hierzu sollten die Patienten eine 40-m-Gehstrecke unter Teilbelastung zurücklegen. Während in der Gruppe mit den jüngeren Teilnehmern etwas mehr als die Hälfte diese Aufgabe bewältigte, schaffte es in der geriatrischen Gruppe kein einziger Patient.

Knapp 70 Prozent der älteren Patienten überschritten das geforderte Belastungsmaximum auf dem betroffenen Bein um mehr als das Doppelte (> 40 kg); dagegen waren es bei den jüngeren nur 11 Prozent, die so deutlich über dem Zielwert lagen. Immerhin 22 Prozent der unter 40-Jährigen hatten das Maximum von 20 kg nur knapp (um weniger als 4 kg) verfehlt.

"Schmerzadaptierte Vollbelastung"

Die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) wies bereits in ihren Leitlinien von 2015 darauf hin, dass "ältere Patienten häufig nicht teilentlasten können" und daher "jede operative Maßnahme nach Möglichkeit so erfolgen sollte, dass eine sofortige Belastung möglich ist". Ziel sei die schmerzadaptierte Vollbelastung.

Wie Kammerlander und sein Team betonen, kommt es bei Senioren ganz besonders auf eine "intensive Mobilisierung unmittelbar im Anschluss an die Hüft-Op" an, da Bewegungseinschränkungen in dieser Altersgruppe mit einer Reihe von Komplikationen verbunden seien: von Druckgeschwüren und Harnwegsinfektionen über Beinvenenthrombosen bis hin zur Pneumonie.

Studien hätten gezeigt, dass mit länger dauernder Bettruhe nicht nur die Fähigkeit, Alltagsaktivitäten zu bewältigen, zurückgeht, sondern auch die Sterberate steigt. Es gebe außerdem Hinweise dafür, dass schon eine reduzierte Schrittzahl pro Tag dazu führe, dass die Muskelkraft abnimmt.

Dies sei vor allem auch im (häufigen) Fall einer osteoporotisch bedingten Hüftfraktur relevant: Studien legen nahe, so Kammerlander und Kollegen, dass hier die postoperative Entlastung des betroffenen Beins mit einer Verschlechterung der Knochenqualität assoziiert sei.

Frühe Belastung sollte Standard werden!

Das Argument, durch die frühzeitige Belastung werde die Knochenheilung gefährdet, halten die Experten für wenig hilfreich: Es gebe heute speziell auf Senioren angepasste Therapieprotokolle wie den Einsatz von Endoprothesen auch bei nicht dislozierten Oberschenkelhalsfrakturen oder die zusätzliche Verwendung von Knochenzement, wodurch auch älteren Patienten die postoperative Vollbelastung ermöglicht werde.

Das Fazit der Studienautoren: "Die uneingeschränkte Erlaubnis zur unmittelbaren Vollbelastung sollte Teil des Standardprotokolls zur postoperativen Versorgung geriatrischer Patienten mit Hüftfraktur sein."

Mehr zum Thema

Häufige Erbkrankheit übersehen

Bei dieser „rheumatoiden Arthritis“ mussten DMARD versagen

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Ambulantisierung

90 zusätzliche OPS-Codes für Hybrid-DRG vereinbart

Lesetipps
Führen den BVKJ: Tilo Radau (l.), Hauptgeschäftsführer, und Präsident Michael Hubmann im Berliner Büro des Verbands.

© Marco Urban für die Ärzte Zeitung

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“