Tai Chi und Spaziergänge können Sturzrisiko senken

Untersuchungen belegen: Am Ende des Winters im März sind bis zu 90 Prozent der über 70jährigen Frauen unzureichend mit Vitamin D versorgt. Behandlungsbasis ist hier die Vitamin-D-Substitution. Vitamin D beeinflußt Knochenstoffwechsel, Muskelkraft und -funktion positiv - was wiederum Stürze und osteoporotische Frakturen verhindert. Unterstützt werden kann diese Therapie durch spezifische Trainingsformen. Bei hohem Frakturrisiko oder bei vorliegenden Wirbelfrakturen ist eine knochenspezifische Pharmakotherapie nötig.

Veröffentlicht:

Helmut W. Minne, Christian Hinz und Michael Pfeifer

Frakturen bei alten Menschen sind meist die Spätkomplikationen einer langjährigen Osteoporose. Aufgrund der erniedrigten Knochendichte und der Zerstörung der Mikroarchitektur der Knochen führen häufig schon Bagatelltraumata wie Stürze aus dem Stand oder moderate mechanische Überlastungen, etwa beim Heben, zu Frakturen.

Knochengesunde haben ein geringes Frakturrisiko durch Stürze, dieses ist jedoch bei Patienten mit Osteopenie oder Osteoporose um das Dreifache erhöht. Es steigt zudem bei denjenigen Patienten, die häufig hinfallen, exponentiell an. Wenn daher bei alten Patienten mit Osteoporose die Möglichkeiten einer Frakturprophylaxe diskutiert werden, müssen außer der Pharmakotherapie auch alle geeigneten Allgemeinmaßnahmen, die das Sturzrisiko senken, gleichberechtigt berücksichtigt werden.

Ziel der Behandlung muß es sein, einen ersten Bruch oder weitere Brüche zu verhindern. Denn die Gesamtprognose von alten Patienten verschlechtert sich nach Frakturen dramatisch. Erhöhte Sterblichkeit, aber auch dauerhafte Invalidität, Pflegebedürftigkeit und somit erhebliche Einschränkungen der Lebensqualität sind häufig die Folgen.

Seit 15. März gibt es neue Leitlinien auch zur Osteoporose-Therapie

Bislang waren für die Indikationsstellung zur Pharmakotherapie bei Osteoporose vor allem die Ergebnisse der Knochendichte-Analyse und - bei bereits eingetretener Fraktur - bildgebender Verfahren ausschlaggebend. Künftig soll dies auch vom Alter der Patienten und von bestimmten Risikofaktoren wie Immobilität oder multiple Stürze abhängig gemacht werden.

Das sehen die neuen Leitlinien zur Osteoporose-Prophylaxe, Diagnose und Therapie des DVO (Dachverband Deutschsprachiger Wissenschaftlicher Gesellschaften für Osteologie) vor, die seit 15. März in der Kurz- und Kitteltaschenfassung im Internet unter www.lutherhaus.de/dvo-leitlinien veröffentlicht sind.

Die Indikation zur medikamentösen Therapie ergibt sich aus der Anamnese, dem Ergebnis der Knochendichtemessung und der Abschätzung des Frakturrisikos. Die Wirksamkeit knochenspezifischer Pharmakotherapien nimmt mit dem Alter keineswegs ab, sondern ist altersunabhängig.

Mittel der Wahl für die Therapie von Osteoporose-Patientinnen in der Postmenopause sind die Bisphosphonate Alendronat (etwa Fosamax®), Ibandronat (Bonviva®) und Risedronat (Actonel®), der selektive Östrogenrezeptor-Modulator Raloxifen (Evista®, Optruma®), das Strontiumsalz Strontiumranelat (Protelos®) und das rekombinante humane Parathormonfragment Teriparatid (Forsteo®). Mit Ausnahme von Teriparatid zeichnen sich alle diese Substanzen durch eine mehr oder weniger stark ausgeprägte antikatabole Wirkung aus. Strontiumranelat hat außer dem antikatabolen Effekt auch eine osteoanabole Wirkung.

Risikofaktoren für Frakturen bei älteren Menschen

Entstehung der Osteoporose

  • Genetische Faktoren
  • Das Altern schlechthin
  • Glukokortikoid-Therapie
  • Chronisch entzündliche Krankheiten
  • Hormonelle Störungen
  • Knochendestruktion verursachende Malignome (z.B. hämatologische Systemkrankheiten, Mastozytose, etc.)

Sturzrisiken

  • Sehstörung. Nutzung falscher Brillen
  • Nutzung von Schlafmitteln (Somnolenz bei nächtlichem Toilettengang)
  • Vitamin-D-Mangel
  • Präexistente Schäden des Bewegungsapparates
  • Kreislaufinstabilität
  • Zustand nach neurologischen Schäden (z.B. Apoplex)
  • Allgemeiner Trainingsmangel
  • Stolperfallen in der Wohnung (z.B. Teppichkanten, Telefonschnur oder Lampenkabel)

Vitamin-D-Mangel und Kreislaufinstabilität sind zwei von mehreren Faktoren, die bei alten Menschen Stürze fördern.

Teriparatid ist dagegen als rein osteoanabol wirkende Substanz in die Osteoporose-Therapie eingeführt worden. Die Zulassung ist für Patienten mit Osteoporose beschränkt, bei denen es bereits zu Frakturen gekommen ist. Die Therapiedauer ist auf 18 Monate befristet. Ein Wechsel von der antikatabolen Therapie zum Parathormon ist in Erwägung zu ziehen, wenn sich die Annahme begründen läßt, daß sich unter laufender Behandlung Osteoporose und Frakturrate progredient entwickeln.

Für alle oben genannten Wirkstoffe ist in Studien belegt worden, daß sie das Risiko für Wirbelfrakturen signifikant senken. So konnte die Häufigkeit von Wirbelbrüchen im Vergleich zu Placebo in der Größenordnung von 30 bis 60 Prozent vermindert werden.

Mit Risedronat, Alendronat, Strontiumranelat und Teriparatid konnte in Studien zudem das Risiko von extravertebralen Frakturen gesenkt werden. Eine Reduktion des Risikos für extravertebrale Frakturen hat sich für Raloxifen in einer Subgruppen-Analyse für Patientinnen zeigen lassen, bei denen besonders schwere Osteoporoseformen vorlagen. Gleiches ist auch für Ibandronat der Fall.

Die Therapie mit Etidronat, fluoridhaltigen Medikamenten, Calcitonin, Vitamin-D-Metaboliten oder Nandrolondecanoat hat angesichts der guten Datenlage für die oben genannten Substanzen an Bedeutung verloren. Sie sind Therapie-Alternativen, wenn Substanzen der ersten Wahl nicht vertragen werden oder die Patienten diese nicht möchten.

Zur Behandlung von Männern mit Osteoporose hat nur Alendronat in der Dosierung von einmal täglich 10 mg (Fosamax® 10 mg) die Zulassung.

Für die Behandlung von Patientinnen mit Steroidosteoporose zugelassen sind die Bisphosphonate Alendronat, Etidronat (etwa Didronel®) und Risedronat.

Mangelhafte Versorgung mit Vitamin D bei alten Menschen

Behandlungsbasis bei alten Patienten ist die Vitamin-D-Substitution. Denn in Deutschland sind aufgrund einer eigenen Untersuchung, die wir im Raum Hameln / Bad Pyrmont gemacht haben, am Ende des Winters im Februar / März bis zu 90 Prozent der über 70jährigen Frauen unzureichend mit Vitamin D versorgt.

Deshalb sind in dieser Altersgruppe prätherapeutische Laboruntersuchungen zur Feststellung eines potentiellen Vitamin-D-Mangels überflüssig. Die Vitamin-D-Substitution (400 bis 800 IE pro Tag) bei alten Menschen sollte ebenso selbstverständlich sein wie die Vitamin-D-Prophylaxe bei Säuglingen!

Bei der Basistherapie mit Kalzium (1200 bis 1500 mg pro Tag) und Vitamin D haben sich in den letzten Jahren neue Kenntnisse zur Wirksamkeit ergeben. Eine ausreichende Zufuhr von Vitamin D und die angemessene Versorgung mit Kalzium beeinflussen den Knochenstoffwechsel positiv. Sie verhindern den bei Vitamin-D-Defizit entstehenden sekundären Hyperparathyreoidismus, der die Osteoporose-Entwicklung begünstigt. Außerdem stärkt Vitamin D auch Muskelkraft und -funktion. Das wiederum senkt das Sturzrisiko um etwa 50 Prozent.

Die Reduktion des Sturzrisikos trägt dazu bei, das Risiko für Frakturen zu vermindern. Dieser schon vor mehr als zehn Jahren beschriebene positive Effekt auf die Frakturrate ist in einer fast 10 000 Teilnehmer umfassenden Versorgungsstudie in Dänemark bestätigt worden (J Bone Miner Res 19, 2004, 370): Durch die Senkung des Sturzrisikos mit Kalzium (1000 mg / Tag) und Vitamin D (400 mg / Tag) bei den über 66 Jahre alten Frauen der dänischen Stadt Randers gelang es, das Risiko extravertebraler Frakturen infolge von Stürzen um mehr als 20 Prozent zu mindern.

Sturzrisiko läßt sich durch spezifische Übungen senken

Auch mit spezifischen Trainingsformen läßt sich das Risiko für Stürze bei alten Patienten senken. Der Nutzen körperlichen Trainings auf das Sturzrisiko ist durch Studien belegt. Geeignete Trainigsformen gerade für über 70jährige sind außer einem konventionellen Sturz-Präventionstraining auch Tai Chi oder regelmäßige Spaziergänge. Die Wirksamkeit des Tai Chi beruht offensichtlich auf dem Einüben kontrollierter Bewegungsabläufe.

Außerdem geeignet sind Balance-Übungen auf einem luftgefüllten sogenannten Wackelkissen im Stehen oder Gehen mit luftgefüllten Schwimmärmchen an den Knöcheln im Wasser. Weitere Übungen zur Verbesserung von Koordination, Balance und Standsicherheit können auch auf dem "Posturomed", einem Trainingsgerät mit dosierbar instabiler Standfläche, erfolgen.

Eine Reihe von Studien haben verdeutlicht, daß die Nutzung von Hüftprotektoren zur Senkung des Risikos für proximale Femurfrakturen um etwa 40 bis 50 Prozent beitragen kann. Denn im Vergleich zu den Gefahren beim Sturz nach vorne ist das Risiko einer proximalen Femurfraktur beim Sturz auf die Seite zehnmal so hoch.

Problematisch ist jedoch, daß die Bereitschaft älterer Menschen, solche Protektoren zu nutzen, gering ist. Es bedarf meist eingehender und geduldiger Aufklärung, um die Patienten davon zu überzeugen, daß sie ihre persönliche Sicherheit durch die Nutzung von Hüftprotektoren steigern können. Hilfreich ist gelegentlich der Verweis darauf, daß inzwischen mechanische Schutzvorrichtungen weit verbreitet sind, zum Beispiel in Form von Sturzhelmen auch bei Radfahrern oder Gelenkprotektoren bei Inline-Skatern und Motorradfahrern.

Prof. Dr. Helmut W. Minne, Dr. Christian Hinz, Dr. Michael Pfeifer, Klinik Der Fürstenhof und Bad Pyrmonter Institut für klinische Osteologie Gustav Pommer e.V., Am Hylligen Born 7, 31812 Bad Pyrmont, Tel.: 05281 / 151402, Fax: 151100, E-Mail: helmut@minne.de

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