Fibromyalgie ist noch immer eine Erkrankung mit viel Unbekanntem

MÜNCHEN (kid). Fibromyalgie ist eine noch weitgehend unerforschte Erkrankung, die Kollegen oft vor diagnostische Probleme stellt. Dennoch gibt es Kriterien, die die Diagnostik erleichtern können. Diese und einige Forschungsansätze zur Ätiologie der Krankheit hat Professor Dieter Pongratz von der LMU München in München vorgestellt.

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Wie Pongratz bei der interdisziplinären Tagung "Somatoforme Schmerzstörungen und Fibromyalgie" gesagt hat, ist die Diagnose Fibromyalgie mitunter schwierig, denn es gibt noch keine allgemein akzeptierten diagnostischen Kriterien. Das American College of Rheumatology hat 1990 Kriterien formuliert, in deren Mittelpunkt 18 definierte Schmerzpunkte (Tender Points, TP) stehen; mindestens elf davon müssen bei der Palpation druckschmerzhaft sein.

Die TP sind keine anatomischen Strukturen. Die meisten von ihnen sind am Muskel-Sehnen-Übergang lokalisiert, und zwar in Bereichen mit vielen Schmerzrezeptoren, etwa am Trochanter major oder den Ansätzen der subokzipitalen Muskeln. Die Palpation der TP ist für Fibromyalgie-Patienten sehr schmerzhaft. Es gibt jedoch im Gegensatz zum myofascialen Schmerzsyndrom - bei dem regional verspannte Muskelbündel getastet werden können - keinen abnormen Tastbefund.

Die Ätiologie der Fibromyalgie ist weitgehend unklar. Erste molekularbiologische Befunde wiesen auf genetische Besonderheiten bestimmter Allele von Serotoninvorstufen-Genen hin, so Pongratz. Bei Fibromyalgie-Patienten wurden erniedrigte Serotoninspiegel im Blut gemessen. Der Neurotransmitter Serotonin hemmt etwa im Rückenmark die Schmerz-weiterleitung. Die Manifestation einer Fibromyalgie wird durch häufige Schmerzreize aus der Körperperipherie gefördert.

Im Tiermodell zur Chronifizierung muskuloskelettaler Schmerzen konnte belegt werden, daß nach wiederholten Schmerzreizen die entsprechenden Neuronen auch spontan aktiv werden und sich im weiteren Verlauf die entsprechenden Schmerz-verarbeitenden Bereiche der Großhirnrinde vergrößern. Diese Erkenntnisse korrelieren mit ersten klinischen Untersuchungen bei Fibromyalgie-Patienten.

Markante Laborbefunde wie die Erhöhung des Substanz P-Wertes im Liquor cerebrospinalis sowie die Erniedrigung von Serotonin- und Tryptophan-Werten in Serum und Liquor bei Betroffenen seien derzeit nur wissenschaftlich, aber noch nicht klinisch relevant, sagte Pongratz.

Neuroendokrinologische Untersuchungen ergaben, daß bei der chronischen Streßreaktion, die eine Fibromyalgie begleitet, hypothalamische CRH-produzierende Neuronen aktiviert werden. CRH (Corticotropin Releasing Hormon) bewirkt nicht nur die Ausschüttung von Zytokinen, es führt in größeren Mengen auch zu Ängstlichkeit und Depression. Dies könne möglicherweise die häufig bei Fibromyalgie auftretenden psychischen Auffälligkeiten erklären.

Die gegenwärtig wahrscheinlichste Interpretation aller Einzelbefunde bei Fibromyalgie-Patienten bestehe darin, daß aus chronischen Muskelschmerzen über spinale und supraspinale Mechanismen ein generalisiertes Muskelschmerzsyndrom entsteht und sich verselbständigt, sagte Pongratz .



STICHWORT

ACR-Kriterien für Fibromyalgie

Den Klassifikationskriterien des American College of Rheumatology (ACR) zufolge bestehen bei Fibromyalgie ausgedehnte generalisierte Schmerzen, die mindestens drei Monate bestanden haben. An mindestens elf von 18 Schmerzpunkten (Tenderpoints) treten Druckschmerzen auf. Generalisierte Schmerzen sind dadurch gekennzeichnet, daß sie in beiden Körperhälften lokalisiert sind, im Ober- und Unterkörper und im Bereich des Achsenskeletts (HWS, BWS oder tief sitzende Kreuzschmerzen).

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