HINTERGRUND

Weil es zu wenige Rheumatologen gibt, wird die Krankheit oft spät erkannt - das schadet nicht nur den Patienten

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:

Die Versorgung rheumakranker Menschen in der Bundesrepublik ist nicht bedarfsgerecht. Es fehlen Rheumatologen, es fehlen Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, die Tätigkeit als Rheumatologe ist in manchen Regionen finanziell unattraktiv, ja unwirtschaftlich. Pech für die betroffenen Patienten? Ja, aber auch Pech für die Gesellschaft!

Das jedenfalls rechnen Gesundheitsökonomen wie Dr. Gisela Kobelt vom Forschungs- und Beratungsunternehmen European Health Economics SAS im französischen Speracedes vor. Die Krankheit habe "dramatische Effekte", so Kobelt bei einer Veranstaltung in Frankfurt am Main mit Verweis auf "eine Unmenge an Studien".

Mit "dramatisch" meinte sie nicht nur die Lebensqualität der derzeit 2,8 Millionen Rheumapatienten in Deutschland, sondern vor allem die Auswirkungen auf Wirtschaft, Produktivität, Gesundheitswesen und Krankheitskosten. So steigen nach ihren Angaben die indirekten Krankheitskosten mit den Krankheitsjahren stärker an als die direkten Kosten. In einer schwedischen Studie waren das nach fünf Erkrankungsjahren umgerechnet etwa 22 800 Euro pro Jahr und Patient.

Rheumapatienten werden früh zu Invaliden

Das liegt vor allem daran, dass Rheumapatienten wegen der zunehmenden körperlichen Behinderung sehr früh aus dem Arbeitsleben ausscheiden und frühzeitig Renten beziehen. In Deutschland gibt bereits nach zweieinhalbjähriger Krankheitsdauer jeder vierte Patient mit Rheumatoider Arthritis (RA) die Arbeit auf, nach sieben Krankheitsjahren erhält mehr als jeder dritte RA-Patient eine Berufsunfähigkeitsrente.

Wenn es im Gesundheitswesen um die Verteilung beschränkter Mittel geht, darf man also nicht allein auf die direkten Kosten starren, die die Behandlung chronisch kranker Patienten verursacht. Jedoch sei Schweden das einzige Land in Europa, wo bei Kosten-Nutzen-Bewertungen von Therapien die gesamtwirtschaftliche Perspektive betrachtet werde, sagte Kobelt. Würde man dies auch in Deutschland machen, käme man nach Auffassung von Professor Angela Zink vom Deutschen Rheumaforschungszentrum in Berlin zu dem Schluss, dass man 150 bis 300 zusätzliche Rheumatologen im Bundesgebiet benötigt.

Denn dann sei die fachgerechte Frühtherapie von Rheumapatienten innerhalb von drei bis spätestens sechs Monaten nach Symptombeginn möglich und schwere Gelenkzerstörungen wären oft zu verhindern. Derzeit müssen Rheumapatienten jedoch im Mittel länger als ein Jahr warten, bevor sie einen Rheumatologen zu Gesicht bekommen - auch weil die rheumatische Erkrankung als solche oft noch zu spät erkannt wird.

Es fehlt an Behandlungsmöglichkeiten - und dies vor dem Hintergrund, dass das Behandlungsziel heute nicht die Linderung der Krankheit allein, sondern die dauerhafte Remission ist. Für Hausärzte bedeutet dies, dass der Therapiebeginn spätestens innerhalb von drei Monaten nach dem Auftreten der ersten Symptome beginnen sollte.

In vielen Regionen Deutschlands ist die Tätigkeit als Rheumatologe schlicht unwirtschaftlich. "Wenn ich ein Leistungsvolumen von 2000 Punkten pro Patient anfordere, erhalte ich nur 750 Punkte zu einem schlechten Punktwert honoriert", klagte zum Beispiel der Rheumatologe Dr. Lothar Meier aus dem hessischen Hofheim. Das könnten sich Spezialisten nicht leisten und ließen sich deshalb auch nicht nieder. Veraltete Vergütungsstrukturen führten dazu, dass es zum Beispiel in Nordhessen nur vier Rheumatologen gebe. Dass es auch anders geht, zeigten die Beispiele Bayern und Baden-Württemberg.

Bei der Podiumsdiskussion in Frankfurt ging es auch um die Behandlung mit hochpreisigen Biologika, die sehr zurückhaltend verordnet würden. Hatten nach Kobelts Daten in 2004 etwa 47 000 Patienten mit Rheumatoider Arthritis einen Anspruch auf TNF-Blocker, haben nur etwa 10 000 von ihnen diese tatsächlich erhalten. Die Regress-Androhung führe zu einem vorauseilenden Gehorsam, hieß es.

Dabei vermindere gerade die Kombination von Biologika und DMARDs (disease modifying antirheumatic drugs) über die Jahre signifikant die Gelenkzerstörungen, betonte Professor Erika Gromnica-Ihle aus Berlin. Abgesehen vom medizinischen Nutzen und der erhöhten Lebensqualität der Patienten bedeutet dies aus gesellschaftlicher Sicht: Diese Menschen bleiben länger arbeitsfähig und beanspruchen weniger Ressourcen, etwa der Pflege.

Nutzen einer guten Versorgung ist erst langfristig spürbar

Wie man allerdings eingesparte indirekte Kosten für das Gesundheitssystem nutzen kann, blieb in Frankfurt unklar. Denn der Nutzen einer medizinisch optimalen Behandlung wirkt sich erst in zehn bis zwanzig Jahren aus, sagt Kobelt. Daraus ergibt sich ein Dilemma: Was heute in der Rheumatherapie möglich sei, "davon haben wir früher nur geträumt", sagte der Frankfurter Rheumatologe Professor Harald Burkhardt. Doch wie kann man diese Möglichkeiten nutzen? Weder ist absehbar, dass frisches Geld ins Gesundheitssystem fließen wird, noch werden auf Knopfdruck 300 neue Rheumatologen zur Verfügung stehen.

Verbesserungen sind deshalb nur langfristig zu erreichen - durch Kooperationen zwischen Haus- und Fachärzten, zwischen den 30 regionalen Rheumazentren in Deutschland und niedergelassenen Kollegen. Junge Ärzte müssen für das Fach interessiert werden. Ob der Euro-EBM ab 2009 die Rheumatologie wirtschaftlich attraktiver für niedergelassene Ärzte macht, bleibt abzuwarten.



FAZIT

In Deutschland wird Rheuma nach Meinung von Experten oft viel zu spät erkannt. Das sei vor allem darauf zurückzuführen, dass es zu wenig Rheumatologen gibt. Daran wird sich so schnell auch nichts ändern, denn in vielen Regionen Deutschlands ist es schlicht unwirtschaftlich, als Rheumatologe zu praktizieren. Ob der Euro-EBM ab 2009 die Rheumatologie wirtschaftlich attraktiver machen wird, ist fraglich. Weil Rheumapatienten häufig früh aus dem Arbeitsleben ausscheiden, hat die schlechte Versorgung auch Konsequenzen für die Gesellschaft.

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