Nierentransplantation

Organmangel macht neue Zuteilungskriterien nötig

Bei Eurotransplant sind Änderungen des Allokationssystems für Nierentransplantationen in Arbeit. Damit soll sich die Organqualität besonders für junge Menschen verbessern. Bei Kindern und Jugendlichen könnte das allerdings die Wartezeiten verlängern.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Eine Spenderniere für eine Nierentransplantation im Transplantationszentrum des Universitätsklinikums der Bonner Universität.

Eine Spenderniere für eine Nierentransplantation im Transplantationszentrum des Universitätsklinikums der Bonner Universität.

© Frank Luerweg / Universität Bonn / JOKER / picture alliance

Jedes Organ wird in Deutschland nach einem spezifischen Allokationsalgorithmus an die Empfänger vermittelt. Das für Nierentransplantationen bislang verwendete "Euro-Transplant Kidney Allocation System" (ETKAS) wird nun wahrscheinlich abgelöst werden, hat Professor Burkhard Tönshoff vom Universitätsklinikum Heidelberg bei der Jahrestagung der Gesellschaft für Pädiatrische Nephrologie in Hannover berichtet.

Die Richtlinien zur Allokation waren bereits 2010 verändert worden. Seit dem Jahr können auch Jugendliche im Alter über 16 Jahre mit noch vorhandenem Wachstumspotenzial einen pädiatrischen Punktebonus erhalten und sind so gegenüber Erwachsenen im Vorrang.

Darüber hinaus sollte damals durch Erhöhung der pädiatrischen Zusatzpunkte die Wartezeit verkürzt werden. Dies sei gelungen, sagte Tönshoff: Sie liege derzeit, je nach ABO-Status, bei 1,3 bis 1,8 Jahren.

Allerdings sind die Spenderzahlen in Deutschland seit Jahren deutlich rückläufig, auch wegen des 2012 aufgedeckten Organspendeskandals.

Dieses Defizit kann nicht mit Organen aus anderen Eurotransplant-Ländern ausgeglichen werden. Damit nimmt die Wartezeit zu und dadurch nimmt im ETKAS-Score die relative Bedeutung des HLA-Matchings ab.

"Drohende Organverluste sind eine Zeitbombe"

Infolgedessen werden zunehmend Nieren mit schlechtem HLA-Matching transplantiert. Dies lässt sich nur teilweise mit der Immunsuppression kompensieren: 60 Prozent der Organverluste bei Erwachsenen und Kindern sind Antikörper-vermittelt.

Bei Kindern weisen fünf Jahre nach Transplantation 50 Prozent der Empfänger Donor-spezifische Antikörper auf. "Das ist eine Zeitbombe", warnte Tönshoff. Daher müsse das Allokationssystem nun erneut verändert werden. Entsprechende Vorschläge werden derzeit in den zuständigen Gremien diskutiert.

Dabei sollen zwischen HLA-Klasse-I- und HLA-Klasse-II-Antigenen unterschieden, der Organtransport und die Organqualität berücksichtigt werden. Zusätzlich wird ein Altersmatching eingeführt.

Ziel ist es, dass besonders junge Empfänger mit hoher Wahrscheinlichkeit einer Re-Transplantation Organe mit möglichst guter HLA-Kompatibilität erhalten. Denn ältere Transplantatempfänger sterben meist mit einem funktionierenden Organ, während junge Patienten im Verlauf häufig erneut eine Transplantation benötigen.

Nach Angaben von Tönshoff sollen Spender nach Alter und Risikofaktoren kategorisiert werden. Die Allokation wird nicht mehr nach einem Punkte-Score vorgenommen werden, sondern anhand definierter Allokationsstufen. Die Wartezeit wird dabei nur noch sekundär eine Rolle spielen, wobei pädiatrische Patienten weiterhin mit einem Multiplikationsfaktor gegenüber Erwachsenen bevorzugt werden.

Simulationsrechnungen haben ergeben, dass sich auf diese Weise die HLA-Übereinstimmung zwischen Spender und Empfänger deutlich verbessern lässt. Dies würde sich günstig auf das Transplantatüberleben auswirken.

Bei Erwachsenen verlängert sich nach den Berechnungen mit dem neuen Allokationssystem die durchschnittliche Wartezeit nicht. Kinder würden im Mittel ein Jahr länger als bislang warten müssen.

Abwägung von Urämiezeit und HLA-Matching

Es gelte, so Tönshoff, im Algorithmus eine verlängerte Urämiezeit gegen ein verbessertes HLA-Matching abzuwägen. Möglicherweise ließe sich mit einem noch höheren Multiplikationsfaktor, als bisher kalkuliert, die Wartezeit weiter verkürzen. Das scheint allerdings umstritten zu sein. Wie genau die neuen Allokationskriterien künftig umgesetzt werden, ist im Moment noch offen.

Das Nierentransplantat-Überleben hat sich in den vergangenen zehn Jahren deutlich verbessert, sagte Professor Paul Grimm von der Stanford University in Palo Alto im US-Staat Kalifornien bei der Tagung.

Die Raten nach Lebend- und nach postmortaler Spende haben sich einander angenähert: Etwa 80 Prozent der Nierentransplantate funktionierten noch sieben Jahre nach Transplantation, erklärte Grimm. Und über 95 Prozent der Patienten leben noch sieben Jahre nach der Transplantation.

"Dennoch hat die Lebendspende sehr viele Vorteile", betonte der Kindernephrologe. So ist das Transplantatüberleben im Durchschnitt nach wie vor besser, vor allem wenn man die Merkmalsübereinstimmung zwischen Spender und Empfänger einbezieht.

"Selbst die am besten gematchte postmortale Spenderniere erreicht nicht die Überlebensrate der am schlechtesten gematchten Lebend-Spenderniere."

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