Hilfe für Chroniker, sich länger zu Hause selbst zu versorgen

Vor vier Jahren kündigte der saarländische Arzneimittelimporteur Kohlpharma an, Strukturen und Kapazitäten für die bundesweite Belieferung chronisch Kranker mit individuell verblisterten Arzneimitteln aufbauen zu wollen. Inzwischen ist das Vorhaben soweit gereift, dass mit den Kassen über Versorgungsverträge verhandelt wird. Für Apotheker könnte dieses neuartige Home-Care-Konzept auch wirtschaftlich interessant werden.

Christoph WinnatVon Christoph Winnat Veröffentlicht:

Jörg Geller Vorstandsmitglied der Kohl Medical AG

Verblisterung hat Konjunktur. Derzeit drängen immer mehr Dienstleister auf den Markt, die den Apotheken eine patientenindividuelle Arzneimittel-Umverpackung offerieren. Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, dass hier unter ein und demselben Begriff zwei verschiedene Sachverhalte diskutiert werden.

Die Mehrzahl der Anbieter von Verblisterung reagiert auf die zunehmende Auslagerung der Medikamenten-Abpackung von Alten- und Pflegeheimen. Die Heime ersparen sich die Arbeit und überlassen sie den sie beliefernden Apotheken. Diese werden für ihre Leistung häufig nicht einmal bezahlt, erbringen die geforderte Leistung aber zähneknirschend, um nicht Lieferaufträge zu verlieren. Dienstleister wie zum Beispiel die Deutsche Blistergesellschaft der Pharmagroßhandelsgruppe Pharma Privat oder der Berliner Apothekenverbund a.novum versprechen ihren Kunden, kostengünstiger auszueinzeln und neu zu verpacken als wenn sich ein Offizin-Mitarbeiter selbst die Arbeit macht.

Ambulante Chronikerversorgung

Ein ganz anderes Blister-Konzept verfolgt die zur Kohl Medical AG gehörende 7x4 Pharma: Sie will mit ihrem Wochenblister die Compliance-Probleme der ambulanten Chroniker-Versorgung in den Griff bekommen. Dabei sollen alle Beteiligten etwas davon haben: multimorbide Patienten länger die Möglichkeit, zuhause versorgt zu werden, die Krankenkassen Kostenvorteile, Ärzte eine optimierte Arzneimitteltherapie ohne Budgetdruck und die Apotheken stabile Kundenbeziehungen sowie eine neue Marktperspektive.

De jure fungiert zwar auch 7x4 nur als Lohnhersteller, der im Auftrag von Apotheken ein Fertigarzneimitttel, den Wochenblister, produziert. Tatsächlich muss das Unternehmen aber zunächst auch die Rahmenbedingungen für einen völlig neuen Versorgungsprozess selbst etablieren. Denn das 7x4-Konzept setzt bereits beim Arzt an, der nicht mehr Wirkstoffe verordnet, die andere dann aus vorhandenen Packungen auseinzeln. Vielmehr soll der Arzt gleich den konkreten Wochenbedarf eines Patienten verschreiben und dazu eine der industriellen Verblisterung konforme Medikamentenwahl treffen.

Hohe Investitionen in patentierte Technologie

Schon hier gibt es viele offene Fragen, die Jörg Geller, Vorstandsmitglied der Kohl Medical AG und Mitglied der 7x4-Geschäftsleitung, derzeit in Verhandlungen mit privaten und gesetzlichen Kostenträgern zu klären versucht: ob Ärzten die Umstellung eines Patienten auf den Wochenblister gesondert vergütet wird oder ob die Verordnung des Blisters vom Budgetdruck befreit werden kann. Auch die Apothekermarge auf den Wochenblister-Einkauf - Einzeltablettenpreis der N3-Packung plus Gebühr für Verblisterung und Logistik - ist noch nicht unter Dach und Fach. Zudem warten viele Kassen die Auswirkungen des neuen Morbi-RSA ab, bevor sie sich mit neuen Chroniker-Konzepten befassen.

Doch daran, dass 7x4 Pharma früher oder später mit Krankenkassen einig wird, dürfte nicht zu zweifeln sein. Die Mittel, die Kohlpharma für den Aufbau seiner weltweit patentgeschützten Blister-Technologie eingesetzt hat, sind viel zu hoch, um deren Umsetzung an Kleinigkeiten scheitern zu lassen. Geller: "Wir haben mehr als 100 Millionen Euro investiert. Wir sind davon überzeugt, dass der Blister die ambulante Chronikerversorgung entscheidend verbessert. Aber am Ende des Tages müssen wir die Dinge so auf den Weg bringen, wie es nötig ist. Da haben wir auch die erforderliche Geduld."

Wichtigstes Argument für die Kassen sind natürlich die Kosten. Weil systembedingt der Nutzen eines längeren Aufenthaltes in den eigenen vier Wänden nicht beim selben Kostenträger zu Buche schlägt wie die Arzneimittelausgaben, müssen der GKV gegenüber andere Effekte der Verblisterung hervorgehoben werden. Etwa der geringere Arzneimittel-Verwurf, die - wo möglich - hundertprozentige generische Substitution oder Einsparungen von Klinikkosten, die sich für compliante Patienten ebenfalls belegen lassen.

Als Partner auf Seiten der Leistungserbringer hat 7x4 Pharma den Deutschen Hausärzteverband und den Bundesverband Deutscher Apotheker (BVDA) gewonnen. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) mochte sich für das 7x4-Konzept bislang nicht erwärmen. Seine Kritik: Die Medikation sei auf 400 Wirkstoffe in fester oraler Form beschränkt, der Compliance-Vorteil nicht zweifelsfrei erwiesen, das Geld für die Verblisterung eine unnötige Mehrausgabe.

Nachvollziehen kann Geller diese Argumente nicht. "400 Wirkstoffe reichen, um alle relevanten Volkskrankheiten angemessen zu therapieren. In unserem Pilotprojekt kamen wir sogar mit 250 Wirkstoffen aus." Zudem seien im Blister weder Akut- noch Bedarfspräparate enthalten, sondern lediglich die regelmäßige Medikation eines Chronikers. Geller betont aber auch die wirtschaftlichen Chancen für die Apotheke. "Der Patient, der einen Blister bekommt, kommt wöchentlich in die Offizin. Das erhöht die Kundenbindung. Darüber hinaus erschließt die Verblisterung der Apotheke neue Erträge im ansonsten errodierenden GKV-Geschäft. Der Apotheker kann sich als Medikationsmanager profilieren - ungeachtet seiner Betriebsgröße."

Auch Befürchtungen von Pharmaherstellern, die 7x4-Blister würden mit Import-Produkten der Schwesterfirma Kohlpharma bestückt, widerspricht Geller. Diese Befürchtung sei ebenso unbegründet wie die, der Blister stelle eine Hürde für Innovationen dar. Die Produktauswahl richte sich nach Leitlinien und Konsensgesprächen. "Wir können ja kein Sortiment anbieten, das von den Ärzten als irrelevant erachtet wird." Zumal wenn es darum gehe, den Nutzen von Innovationen gegenüber den Kostenträgern hervorzuheben, sei Compliance für die Industrie ein wichtiges Thema. Deshalb gebe es "auch immer mehr Originalhersteller, die mit uns zusammenarbeiten", versichert Geller.

Wenn sich die laufenden Verhandlungen nicht in die Länge ziehen, könnte 7x4 diesen Sommer oder Herbst mit der Wochenblisterfertigung starten.

STICHWORT

Einnahme-Erinnerung mit Sprachausgabe

Zusätzlich zu einer ausgefeilten Beschriftung seines Wochenblisters hat 7x4 Pharma auch ein so genanntes Sprachausgabegerät entwickelt, das den Patienten daran erinnert, wann er welches Medikament aus welchem Blisterfach einnehmen sollte.

Das handliche und einfach zu bedienende Gerät wird vom Apotheker programmiert. Dabei handelt es sich nicht um Standardeinstellungen, die sich täglich wiederholen, sondern um eine individuelle, auf den Tag genaue Programmierung, die für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten vorgenommen werden kann.

Technische Unterstützung gibt es bei der Chronikerversorgung mit dem 7x4-Wochenblister auch für die teilnehmenden Ärzte: Sie erhalten eine Software, die sie darin unterstützen soll, eine bestehende Medikation auf das 400 Präparate umfassende Blister-Sortiment umzustellen.

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