Der (Fast-)Tod der Gänseblümchen

Um Heilpflanzen ranken sich viele Geschichten und Anekdoten. Manchmal entstanden so wunderliche Namen wie Stopparsch.

Von Ursula Armstrong Veröffentlicht:
Das Gänseblümchen: einst sollte es ausgerottet werden.

Das Gänseblümchen: einst sollte es ausgerottet werden.

© Fotos: UG

Vom Adonisröschen bis zur Zwiebel - Heilpflanzen sind meist schon seit Jahrhunderten in Gebrauch. Dabei wurden sie in verschiedenen Zeiten und Regionen ganz unterschiedlich eingesetzt. Und nicht nur zu Heilzwecken. Vieles dazu verraten schon ihre Namen.

Zum Beispiel der Frauenmantel (Alchemilla vulgaris), dessen Kraut bei leichtem Durchfall hilft. Der deutsche Name wird sofort klar beim Anblick der großen, mantelförmigen Blätter. Aber woher kommt die botanische Bezeichnung "Alchemilla"? Er geht auf die mittelalterlichen Alchemisten zurück, denen Frauenmantel geradezu heilig war. Das hängt mit einer besonderen Eigenschaft der Blätter zusammen, der Guttation. Die Blätter "schwitzen" überschüssiges Wasser aus. Alchemisten sammelten die Tropfen als "himmlisches Wasser" und benutzten sie bei ihrer Suche nach dem Stein der Weisen.

Seltsame Wege bei der Geburt der Pflanzennamen

Auch die Herkunft der deutschen Namen von Heilpflanzen weist mitunter seltsame Wege auf. Beim Tausendgüldenkraut (Centaurium erythraea), das früher als Augen- und Wundmittel, als Antidot und gegen Fieber genutzt wurde, macht das Wort schon stutzig: Die Blüten sind hellrosa, rot oder auch schon mal weiß, aber nie golden oder gülden. Die Blüten stehen zwar in Dolden, aber nicht zu tausenden. Was steckt also hinter dem Namen? Wahrscheinlich ein Missverständnis, meint Gerhard Madaus in seinem 1938 erschienenen "Lehrbuch der biologischen Heilmittel". Die botanische Bezeichnung Centaurium, die eigentlich an den heilkundigen Zentaur Chiron erinnert, wurde im Mittelalter falsch interpretiert, nämlich als "centum" = hundert und "aurum" = Gold. Entsprechend hieß die hübsche kleine Pflanze zunächst "Hundertgüldenkraut". Da sie aber als extrem heilkräftig und wertvoll galt, schien hundert einfach zu wenig zu sein - und so wurde sie zum Tausendgüldenkraut aufgewertet.

Wogegen die alten Arzneipflanzen angewendet wurden, zeigt sich oft in den vielfältigen Synonymen und lokalen Namen. Borretsch zum Beispiel heißt in manchen Gegenden auch Herzblume oder Herzfreud. Außerdem wird er Wohlgemut genannt, denn schon die alten Römer sagten dem Borretsch nach, er mache fröhlich. Oder Mädesüß, dessen Name nichts mit süßen Mädchen zu tun hat, sondern mit der Mahd, die durch welke Mädesüß-Blätter süßlich duftet. Die Pflanze hat auch einen weniger süßen Namen: Stopparsch.

Wie die Menschen auf die jeweilige Heilwirkung der Pflanzen kamen, ist vielfach unklar. Einiges geht auf die Signaturenlehre zurück, die Lehre von den Zeichen in der Natur, die bereits im Altertum angewandt wurde. Eine Bohne etwa ähnelt einer Niere, ergo hilft sie gegen Nierenerkrankungen. Manchmal lagen die Signaturen-Gelehrten richtig mit ihren Vermutungen. Noch heute wird Bohnenschalentee bei Nierenerkrankungen getrunken. Ein anderes Beispiel ist die Klette: Sie ist haarig, also das passende Mittel bei haarigen Problemen. Wer Haarausfall oder Schuppen hat, reibt sich die Kopfhaut auch heute noch mit Klettenwurzelöl ein.

Oft aber führte die Signaturenlehre auf die völlig falsche Fährte. Die Schlüsselblume etwa ist gelb, deshalb wurde sie als Heilmittel gegen Gelbsucht angesehen. Doch dagegen wirkt sie nicht. Vielmehr eignet sie sich zum Lösen von Schleim und zur Erleichterung des Abhustens bei Husten und Bronchitis.

Die Ringelblume, die gerne in Salben zur Wundheilung oder bei Hautentzündungen verwendet wird, wurde früher ihrer gelb-goldenen Blütenblättchen wegen zum Schminken benutzt. Aus dieser sehr alten Anwendung stamme wohl der Hinweis auf die Wirkung auf die Haut.

Um Arzneipflanzen, die meist ein wichtiges Kulturgut waren, ranken sich auch viele bizarre Geschichten und Anekdoten.

Wunderwasser für Königinnen

So war das gute alte Gänseblümchen im Mittelalter ein äußerst beliebtes Heilmittel. Doch dann wendete sich das Blatt, und Maßliebchen galten als schädlich. Das ging so weit, dass 1793 verordnet wurde, das Gänseblümchen in Deutschland auszurotten. Der Grund ist wahrscheinlich, dass es als Abtreibungsmittel verwendet wurde. Eine andere im Mittelalter - und auch heute noch - geschätzte Heilpflanze ist Rosmarin. Im 16. Jahrhundert wurde aus frischen Rosmarinblüten mit Alkohol das Wunderwasser "Aqua Reginae Hungariae" destilliert. Dieser Name geht auf eine hübsche Geschichte zurück: Als Isabella, die 1539 Königin von Ungarn wurde, über 70 war, war sie gichtisch und gelähmt. Doch ein Eremit gab ihr ein geheimes Mittel, das Rosmarinwasser. Das, so geht die Legende, soll sie wieder so jung und schön gemacht haben, dass ein König von Polen (nach anderen Quellen ein litauischer Erzherzog) die alte Dame heiraten wollte. In Wirklichkeit starb Isabella von Ungarn schon mit 40. Die rührende Liebesgeschichte ist also wohl ein früher Marketing-Trick, mit dem übrigens noch heute das "Wasser der Königin von Ungarn" zur Gesichtspflege, als Hilfe bei Gicht und zur Verjüngung angepriesen wird.

Führung

Geschichten, Anekdoten und Kurioses rund um Heilpflanzen wird unsere Mitarbeiterin Ursula Armstrong bei einem Spaziergang durch den Apothekergarten der ehemaligen Benediktinerabtei in Seligenstadt erzählen. Die Führung "Warum man Gänseblümchen ausrotten wollte" findet am 14. Juni um 15 Uhr statt. Der Eintritt kostet 6 Euro. Anmeldung per Email unter: info@schloesser.hessen oder Tel.: 0 61 82 / 2 26 40.

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