Ein Thema - Zwei Meinungen

Arznei-Check ohne die Apotheken

Multimorbide Patienten können in Hamburg ihre Arzneimitteleinnahme vom Hausarzt überprüfen lassen. Möglich macht das eine Vereinbarung der AOK und KV Hamburg - allerdings ohne Beteiligung der Apotheken.

Von Stefan Holler Veröffentlicht:
Arzneimittel-Check: In Hamburg können Patienten ihre Medikamenteneinnahme vom Hausarzt prüfen lassen.

Arzneimittel-Check: In Hamburg können Patienten ihre Medikamenteneinnahme vom Hausarzt prüfen lassen.

© 2011 photos.com

Die AOK Rheinland/Hamburg und die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg haben sich im Hausarztvertrag auf einen ergänzenden Baustein geeinigt: Patienten, die eine Vielzahl von Arzneimitteln einnehmen müssen, haben die Möglichkeit, ihre Medikamentenliste von ihrem Hausarzt intensiv durchforsten zu lassen.

Das Angebot zielt darauf ab, sowohl unerwünschte Nebenwirkungen abzustellen als auch die Medikamentenliste zu entschlacken.

Voraussetzung: Patienten nehmen am Hausarztvertrag der AOK teil

Vorausgesetzt wird für den Arzneimittel-Check, dass die Patienten am Hausarztvertrag der AOK teilnehmen. In der Praxis sieht das so aus: Die Krankenkasse meldet die Patienten dem betreuenden Hausarzt, der zunächst vom Patienten eine Einverständniserklärung zur Medikations-überprüfung einholen muss.

Anschließend erhält der Patient eine Liste, auf der neben den vom Hausarzt verordneten Präparaten auch Verschreibungen anderer Ärzte in den vergangenen vier Quartalen aufgeführt sind. Diese Liste kann der Patient gegebenenfalls noch mit selbst gekauften Präparaten ergänzen.

Hausarzt bespricht Verordnungen und überarbeitet Liste der Präparate

Anschließend bespricht der Hausarzt mit den übrigen betreuenden Ärzten die Verordnungen und überarbeitet die Liste. Am Ende soll der Patient besser aufeinander abgestimmte - und dadurch möglicherweise weniger - Medikamente einnehmen.

Für die Durchführung des Arzneimittelchecks ist ein ärztliches Honorar von 80 Euro vorgesehen. Wendet der Arzt mehr als vier Stunden auf und stimmt er sich mit den beteiligten fachärztlichen Kollegen ab, steigt das Honorar auf 160 Euro. Den Vertragspartnern gehe es beim Arzneimittel-Check allerdings "nicht primär um wirtschaftliche Aspekte", betont die KV Hamburg.

Überraschend ist, dass die Apotheken nicht in die Überprüfung der Arzneimittel mit einbezogen wurden. Die Vereinbarung sei dennoch nicht gegen die Apotheken gerichtet oder zweifle deren Kompetenz an, versichert AOK-Sprecher André Maßmann gegenüber ApothekerPlus. Im Mittelpunkt stehe, das Vertrauensverhältnis zwischen Hausarzt und Patienten zu stärken.

Zentrale Datenbasis, um Apotheker stärker einzubeziehen

Die Enttäuschung bei den Hamburger Apothekern ist kein Geheimnis, auch wenn der Vertrag nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird. Um die Medikationshistorie vollständig abbilden zu können, wäre eine zentrale Datenbasis notwendig.

Diese zu finden sei jedoch schwierig, meint Jörn Graue, Vorsitzender des Hamburger Apothekervereins. Klaus Schäfer vom Hamburger Hausärzteverband ist dagegen, "sensible Patientendaten im Gesundheitswesen zu streuen, um etwa Apotheken stärker in die Beratung einzubeziehen".

Wie der Hamburger Apotheker und der Arzt den Arzneimittel-Check bewerten, lesen Sie im Fokus.

Der Arzt

"Der Arzt verfügt über das Wissen zur Krankheitshistorie."

Klaus Schäfer, Facharzt für Allgemeinmedizin, Vizepräsident der Ärztekammer Hamburg

Klaus Schäfer, Facharzt für Allgemeinmedizin, Vizepräsident der Ärztekammer Hamburg

© privat

Hausarztverträge sollen die Versorgung verbessern und die Hausarztpraxen für die flächendeckende Versorgung stärken. Im Idealfall werden qualitative Sicherungen der ambulanten medizinischen Versorgung als auch direkte Vorteile für teilnehmende Patienten am Hausarztvertrag vereinbart, zum Beispiel spezielle Sprechstunden.

Der zwischen der AOK und der KV abgeschlossene Hausarztvertrag bietet einen Teil dieser Leistungen. Er vermag aber die Hausarztpraxis über eine besondere Vergütung der hausärztlichen Kernleistungen nicht in dem Maße zu stärken, wie dies in einem Vollversorgungsvertrag zur Hausarztzentrierten Versorgung gelingen würde.

Der Vertrag mit der KV Hamburg baut die Vergütung auf der Basis des Regelleistungsvolumens auf, das sich wiederholt als brüchiges Fundament erwiesen hat. Wir haben gerade in diesem Jahr in Hamburg eine massive Absenkung der RLV hinnehmen müssen.

Dass die Apotheker durch diesen Vertrag beim Arzneimittel-Check nicht direkt berücksichtigt werden, halten wir Hausärzte für gerechtfertigt. Es gibt eine bewährte Kommunikation zwischen Arzt und Apotheker über die richtige Arzneimittelauswahl bei einer bestimmten Diagnose, auf die wir großen Wert legen.

Allerdings verfügt der Apotheker nicht über das Wissen zur Krankheitsgeschichte, familiärer Prädisposition oder über die gesamte Medikation eines Patienten. Dieses Wissen liegt derzeit überwiegend beim Arzt.

Der Apotheker

"Die Auflistung aller Arzneien kann nicht erwartet werden."

Dr. Jörn Graue, Holthof-Apotheke, Vorsitzender Hamburger Apothekerverein

Dr. Jörn Graue, Holthof-Apotheke, Vorsitzender Hamburger Apothekerverein

© privat

Ich befürworte grundsätzlich jede Maßnahme, die auf die Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit zielt. Gleichwohl bin ich davon überzeugt, dass nur bei einem sinnvollen Zusammenwirken von Arzt und Apotheker - gern auch mit Unterstützung der Krankenkassen - nachhaltige Erfolge für die Patienten erreicht werden können.

Denn wenn sich dadurch die Arzneimitteltherapie des Patienten verbessert, profitieren auch alle anderen Partner der Arzneimittelversorgung. Insofern ist es bedauerlich, dass die Apotheken in den Verhandlungen zwischen der KV Hamburg und der AOK Rheinland/Hamburg nicht einbezogen wurden.

Grundsätzlich muss der Patient ja zunächst einwilligen, dass die ihn betreuenden Ärzte Zugriff auf seine Medikationshistorie haben. Das ist zwar in der Vereinbarung zum Arzneimittel-Check so vorgesehen.

Doch der entscheidende Punkt ist, dass der Patient nicht nur willens sondern auch in der Lage sein muss, sämtliche eingenommene Arzneimittel - einschließlich der Präparate zur Selbstmedikation - vollständig aufzulisten. Das kann man zum Beispiel bei Senioren, die eventuell noch zusätzlich Anzeichen von Demenz aufweisen, nicht unbedingt erwarten.

Ein Arzneimittelcheck könnte meiner Ansicht nach nur funktionieren, wenn es einen zentralen Datenpool gäbe, die die Arzneimittelhistorie der Patienten abbildet. Hier sehe ich bezüglich des Datenschutzes aber noch viele ungeklärte Fragen.

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