Hintergrund

EHEC-Bilanz: Therapieerfolge und Ernüchterung

Wochenlang haben Ärzte gegen EHEC und HUS gekämpft - einen Masterplan gab es nicht. Mit Notfalltherapien mussten sie oft Grenzen überschreiten. Jetzt kommt die Zeit der Ergebnisse - erste liegen bereits vor.

Denis NößlerVon Denis Nößler Veröffentlicht:
Hoffnungsschimmer Eculizumab: Zu den Ergebnissen der Therapie gibt es noch keine eindeutigen Ergebnisse.

Hoffnungsschimmer Eculizumab: Zu den Ergebnissen der Therapie gibt es noch keine eindeutigen Ergebnisse.

© dpa

BERLIN. "Egal, was wir getan haben - es ist ein gutes Ergebnis." Mit knappen Worten zieht der Nephrologe Professor Rolf Stahl vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) eine überraschend positive Bilanz der EHEC- und HUS-Epidemie.

Die enterohämorrhagischen Escherichia coli und das hämolytisch-urämische Syndrom hatten Deutschlands Ärzte von Mitte Mai bis Anfang Juli fest im Griff.

In Deutschland infizierten sich 3842 Menschen, die meisten bekamen wässrige bis blutige Durchfälle. 855 von ihnen entwickelten ein HUS, rund die Hälfte von ihnen mit neurologischen Ausfällen bis hin zur Beatmungspflicht, 53 Patienten starben.

Für Deutschlands Nephrologen stand die 3. Jahrestagung ihrer Fachgesellschaft DGfN deswegen auch im Zeichen einer ersten Bilanz der Epidemie.

Schließlich standen die Klinikärzte im vorwiegend betroffenen Norden der Republik schon kurz nach dem Ausbruch der Epidemie vor der Frage der optimalen Therapie.

Gegen das sehr seltene HUS - jährlich erkranken in Deutschland gerade rund 60 Menschen - ist die Plasmapherese der Goldstandard.

Antikörper sorgte für Hoffnung

Doch bei der jetzigen EHEC-Epidemie kamen die Ärzte damit schnell an ihre Grenzen, zumal viele Patienten schwere Verlaufsformen entwickelten. Ein Hoffnungsschimmer war der Antikörper Eculizumab (Soliris®).

Er bindet an ein Protein des Komplementsystems, die C5-Konvertase. C5 aktiviert die terminale Kaskade. Forscher hatten über Therapieerfolge bei Patienten mit EHEC-HUS berichtet.

Bereits seit einigen Jahren wird vermutet, dass das von EHEC produzierte Shiga Toxin 2 (Stx2) die terminale Komplementkaskade aktiviert.

Das Team um den UKE-Nephrologen Stahl griff zur Rescue-Therapie, 137 Patienten behandelten sie mit dem Antikörper.

Bei den meisten schlug die Therapie schnell an, berichtet Stahl: Das Serum-Kreatinin und die Lactatdehydrogenase (LDH) sanken, die Thrombozytenzahl stieg.

Auch bei möglichen Nebenwirkungen gab er Entwarnung: Nur eine Patientin habe eine allergische Reaktion entwickelt. Die Zahlen will er mit Vorsicht verstanden wissen, eine erste Analyse soll im Oktober vorliegen. Derzeit wertet das UKE die Daten gemeinsam mit dem Hersteller Alexion für eine umfassende Studie aus.

Register mit fast 600 Teilnehmern

Noch aussagekräftigere Daten erhoffen sich die Nephrologen allerdings aus dem HUS-Register, das sie kurz nach Beginn der Epidemie selbst aufgelegt haben. Dort erfasst sind insgesamt 589 Patienten aus 79 Kliniken und Praxen.

Laut Privatdozent Jan Kielstein von der Medizinischen Hochschule Hannover werden die Daten von 418 Patienten in die Endauswertung einfließen - denn "Größe und Gewicht werden offenbar an deutschen Kliniken nicht mehr erfasst", sagte er mit Wink an seine Klinikkollegen.

Kielstein dankte seinen Kollegen zugleich aber für die "überragende Beteiligung". Bislang habe es kein Register gegeben, "das in so kurzer Zeit so viele Patienten erfasst hat".

Nach einer ersten Auswertung von Kielstein waren die Patienten im Median 45 Jahre alt. Mit 42 Jahren im Median kommt das Robert Koch-Institut (RKI) in seinem Abschlussbericht zu einem ähnlichen Ergebnis.

Laut RKI waren 68 Prozent aller HUS-Patienten Frauen, im HUS-Register ist der Unterschied der Geschlechter ähnlich deutlich: Dort sind rund 71 Prozent aller erfassten Patienten Frauen.

Fast alle Patienten erhielten eine Plasmapherese

Rund 93 Prozent aller Registerpatienten hatten eine Plasmapherese erhalten und rund 36 Prozent den Antikörper Eculizumab. Knapp 60 Prozent wurden während der Therapie dialysiert, oft wegen Hypervolämie.

Rund 36 Prozent der Patienten erhielten Bluttransfusionen, gut 24 Prozent waren beatmungspflichtig. Die Dauer der Klinikaufenthalte lag im Median bei 22 Tagen, die Mortalität bei 4,4 Prozent.

Ohne konkrete Ergebnisse zu nennen, zeigte Kielstein eine erste Grafik, in der die Plasmapherese mit Eculizumab verglichen wurde. Danach ergab sich bei der Dauer des Klinikaufenthalts der behandelten Patienten kein deutlicher Unterschied. Allerdings: Die abschließenden Daten liegen noch nicht vor.

Antibiotika keine First-Line-Option

Eine klare Ansage zu Antibiotika bei EHEC kam von dem Infektiologen Professor Winfried Kern von der Uniklinik Freiburg: "Keine FirstLine-Therapie!"

Der Ansatz der Keimzahlreduktion sei "nett, aber so einfach ist es nicht". Etliche Studien zu dem Thema entlarvte Kern während des Symposiums anhand nur wenig signifikanter Odds ratios.

Antibiotika wurden in der Fachliteratur bislang als potenzielle Beschleuniger der Ausschüttung von Shiga Toxin beschrieben. Laut Kern bescheinigen die Studiendaten vor allem Rifaximin und Makroliden ein geringes Freisetzungsrisiko.

Besonders Azithromycin wurde während der Eculizumab-Therapie zur Meningokokken-Prophylaxe eingesetzt. Auch Fluorchinolone wiesen wenig Nachteile auf.

Aus Rostock berichteten Teilnehmer von Erfolgen mit Ciprofloxacin. Gegen dieses Antibiotikum, Fosfomycin, Azithromycin, manche Carbapeneme und Glykosidantibiotika ist der ESBL-Bildner EHEC O104:H4 sensitiv.

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