EHEC-Therapie steht Kopf

Kein Antibiotikum, dafür aber Plasmaaustausch! Dieser Rat im Kampf gegen EHEC gehört offenbar auf den Prüfstand. Denn Forscher haben jetzt Daten aus der EHEC-Epidemie ausgewertet - mit ganz überraschenden Ergebnissen.

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Frischplasma für die Plasmapherese: doch noch der Goldstandard gegen EHEC?

Frischplasma für die Plasmapherese: doch noch der Goldstandard gegen EHEC?

© Marcus Brandt / dpa

HANNOVER (nös). Lernen aus der Krise: Im Moment machen es die Nephrologen vor. Ein Jahr nach der tragischen EHEC-Epidemie arbeiten sie die Fälle auf und versuchen Lehren für künftige Ausbrüchen zu ziehen.

Jetzt hat das deutsche HUS-Register seine lang erwartete Auswertung vorgelegt - mit teils völlig überraschenden Ergebnissen (BMJ 2012; online 19. Juli).

Immerhin: Das Register hatte die Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) ziemlich am Anfang der Epidemie aufgelegt. Bislang ist es größte Register bundesweit und sicherlich eines der größten weltweit.

Zur Rekapitulation: Im Mai 2011 erwischte Deutschland eine Infektionswelle mit enterohämorrhagischen Escherichia coli, kurz EHEC, wie der Schlag.

Insgesamt 3842 Menschen erkrankten, 855 entwickelten eine hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS). Auffällig war vor allem der vergleichsweise hohe Altersdurchschnitt der Erkrankten (üblicherweise erkranken Kinder) und die hohe HUS-Rate.

An das DGfN-Register haben die deutschen Kliniken immerhin rund 70 Prozent aller HUS-Patienten gemeldet.

Für die Auswertung kamen zunächst 395 Patienten infrage, doch 97 von ihnen mussten ausgeschlossen werden, weil sie in einer parallelen Studie eingeschlossen waren. Schließlich blieben 298 HUS-Patienten aus 23 Kliniken.

Im Alterdurschnitt (45,5 Jahre), beim Geschlecht (71 Prozent Frauen) und der Mortalität (4 Prozent) ist die Studienpopulation vergleichbar mit dem Durchschnitt der Epidemie.

Empfehlung in Frage gestellt

Das Ziel der immerhin 62 beteiligten Registerautoren: Eine Antwort auf die Frage finden, welche Therapie bei einem EHEC-induzierten HUS die beste Strategie ist.

Denn bislang gibt es weder Leitlinien noch evidenzbasierte Empfehlungen. Schlicht die Plasmapherese ist, als "Saftpresse der Nephrologen" (Professor Jan Kielstein, Hannover), das bevorzugte Therapieinstrument.

Doch die Studienautoren ziehen ein ernüchternde Bilanz: "Kein eindeutiger Nutzen für die Plasmapherese", lautet ihr Fazit.

Bei immerhin 251 Patienten kam die Therapie mit gefrorenem Frischplasma zum Einsatz. Im Vergleich mit 47 Patienten ohne diese Behandlung hatten sich aber weder das LDH, noch Hämoglobin oder Serumkreatinin verbessert.

Die bestehende Therapieempfehlung müsste daher in Frage gestellt werden, so die Autoren.

Mögliche Begründungen dafür: Das von EHEC ausgeschüttete Shiga-Toxin wurde bislang nicht im Blutkreislauf nachgewiesen. Außerdem könnte die thrombotische Mikroangiopathie bereits vor der klinisch nachweisbaren Manifestation der Erkrankung weit fortgeschritten sein.

Einen Bias geben die Autoren jedoch zu bedenken: Denn die Plasmapherese wurde in den allermeisten Fällen bei schwer erkrankten Patienten gestartet. Bei leichten Verläufen kam sie hingegen nicht zum Einsatz, die Patienten wurden supportiv behandelt.

So könnte der Outcome der Plasmapherese allein schon durch die Verlaufsform limitiert sein.

Erfolge mit der Antibiose

Aber es gibt noch eine weitere Überraschung: Bislang sind bei EHEC-Infektionen Antibiotika kontraindiziert. Die Hypothese fußt auf der Jarisch-Herxheimer-Reaktion.

Danach wird durch die Antibiose eine übermäßige Toxin-Freisetzung durch das Absterben der Bakterien ausgelöst. Innerhalb des Registers hielten sich 22 von 23 Kliniken an diese Regel und haben keine Antibiotika gegeben.

Eine Klinik allerdings griff zur aggressiven Therapie und gab bei 52 Patienten Meropenem und Ciprofloxacin, manchmal zusätzlich sogar Rifaximin. Die Idee der Ärzte: Durch den massiven antibiotischen Einsatz könnten die Erreger schneller eradiziert werden.

Kein einziger Patient erlitt einen toxischen Schock. Außerdem wurden die EHEC-Bakterien im Schnitt acht Tage früher eliminiert, als in der Gruppe der nicht-antibotisch behandelten Patienten.

Auch die Rate der Krampfanfälle (2 versus 15 Prozent, p=0,03) und die Zahl der Todesfälle sank (0 versus 5 Prozent, p=0,029).

Den Autoren zufolge sprechen diese Ergebnisse dafür, dass eine aggressive vorbeugende Antibiotikabehandlung den Patienten sogar nützen und einem HUS vorbeugen kann.

Im März kam ein Team um Professor Johannes Knobloch vom Unikinikum Schleswig-Holstein in Lübeck bereits zu einem ähnlichen Befund. Damals hatten die Ärzte die Wirkung von Azithromycin auf die Dauer der EHEC-Ausscheidung hin untersucht.

Positive In-vitro-Befunde

Die Patienten hatten das Makrolid-Antibiotikum allesamt allerdings als Meningokokkenprophylaxe für den Antikörper Eculizumab erhalten, der als Komplementinhibitor ebenfalls während der EHEC-Epidemie zum Einsatz kam.

Damit bleibt offen, ob die geringere Ausschüttung auf das Makrolid oder den Antikörper zurückgeht.

Dennoch könnte auch jüngere In-vitro-Versuche die Hypothese der erhöhten Ausschüttung von Shiga-Toxin durch Antibiotika womöglich widerlegen. Dafür sprechen zumindest Daten eines Münsteraner Teams um den EHEC-Experten Professor Helge Karch.

Die Forscher hatten verschiedene Antibiotika gegen den Ausbruchsstamm getestet und die Induktion des Shiga-Toxin-Phagen sowie die Toxin-Produktion gemessen.

Azithromycin, Rifaximin, Meropenem und Tigecyclin bestanden den Test - sie erhöhten weder die Phagenaktivität noch die Toxinausschüttung. Lediglich für Ciprofloxacin konnten die Wissenschaftler eine signifikant erhöhte Toxinproduktion feststellen.

Die Auswertung des HUS-Registers zeigt aber noch etwas anderes: der Antikörper Eculizumab hat keinen signifikanten Nutzen. Das Molekül stoppt die terminale Komplementkaskade am Protein C5.

Die Vermutung dahinter: Der alternative Komplementweg könnte durch das Shiga-Toxin von EHEC überaktiviert werden. Doch der Einsatz des Antikörpers war und ist bei den Nephrologen umstritten.

Kein signifikanter Nutzen unter Eculizumab

Eine Studie des Nephrologen Professor Rolf Stahl vom Uniklinikum Hamburg Eppendorf zeigt nach seiner Überzeugung einen Nutzen für den Antikörper. Allerdings wird die Studie mit rund 140 Patienten von dem Hersteller des Wirkstoffs unterstützt und beinhaltet keine Kontrollgruppe.

Ein großer Teil dieser Patienten wurde deswegen auch aus der Auswertung des HUS-Registers ausgeschlossen.

Dennoch konnten 67 Patienten eingeschlossen werden, die Eculizumab erhalten hatten. Deutschlandweit wurde der Wirkstoff bei mehr als 300 Patienten eingesetzt.

Verglichen mit einer später gebildeten Kontrollgruppe von 65 Patienten mit ähnlichen Komplikationen zeigte sich kein deutlicher Benefit. Die Patienten entwickelten trotz der Therapie sogar weiter Krampfanfälle oder waren beatmungspflichtig.

Doch die Autoren machen auf mögliche Verzerrungen aufmerksam. Denn die Patienten, die den Antikörper erhielten, waren nicht nur deutlich älter als der Durchschnitt, sie waren von der Erkrankung auch deutlich schwerer getroffen.

"Die am wenigsten Erkrankten wurden supportiv behandelt, kränkere Patienten mit Plasmapherese, und die am schwersten Erkrankten mit Eculizumab", erklären die Autoren. Auch das könnte, hypothetisch, den schlechten Outcome erklären.

Deswegen, so das Resümee der Registerärzte, könne diese Auswertung eine randomisierte und kontrollierte Studie nicht ersetzen.

Der Hersteller des Antikörpers will derweil allerdings eine Zulassungserweiterung für die Indikation EHEC-HUS beantragen. Daten der Open-Label-Studie mit 198 Patienten liegen bislang noch nicht vor.

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