Interview zum Galenus-Forschungspreis

Hochgradige Krebsvorstufen bei Zervix-Ca identifizierbar

Herkömmliche HPV-Tests erlauben beim Gebärmutterhals-Krebs-Screening keine Differenzierung der Krebsvorstufen. Das funktioniert erst, wenn das HPV-Transkriptom analysiert wird, wie Dr. Markus Schmitt vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg am Beispiel von Frauen mit HPV-16-Infektionen der Zervix zeigen konnte.

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Der HPV-RNA-Muster-Test ergänzt den HPV-DNA-Test und den zytologischen Pap-Test bei hochgradigen Krebsvorstufen oder bei Gebärmutterhalskrebs. Mit dem HPV-RNA-Muster-Test wird ein breites Spektrum an RNA-Transkripten abgetastet. Es lassen sich damit Marker für hochgradige Läsionen und Karzinome finden.

Der HPV-RNA-Muster-Test ergänzt den HPV-DNA-Test und den zytologischen Pap-Test bei hochgradigen Krebsvorstufen oder bei Gebärmutterhalskrebs. Mit dem HPV-RNA-Muster-Test wird ein breites Spektrum an RNA-Transkripten abgetastet. Es lassen sich damit Marker für hochgradige Läsionen und Karzinome finden.

© Schmitt

Ärzte Zeitung: Welche Probleme gibt es bei den etablierten Screeningprogrammen für das Zervixkarzinom, die auf der Zytologie basieren?

Dr. Markus Schmitt: Die Zytologie hat eine niedrige Sensitivität. In unterschiedlichen Studien lag die Sensitivität der Zytologie nur bei 20 bis 40 Prozent. Das heißt: Von fünf Frauen mit pathologischem Befund werden mit einem einmaligen Zytologietest nur zwei identifiziert. Das ist für ein Screening relativ wenig.

Ärzte Zeitung: Durch HPV-Tests lässt sich das verbessern?

Der Forschungsleiter

Dr. Markus Schmitt ist PostDoc am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg in der Abteilung Genomveränderung und Karzinogenese.

Die für den Galenus-Preis eingereichte Arbeit entstand in der Gruppe von Professor Dr. Lutz Gissmann unter Betreuung von Dr. Michael Pawlita. Schmitt hat an der Uni Heidelberg Biologie studiert.

Forschungsschwerpunkt Schmitt befasst sich seit seiner Diplomarbeit mit humanen Papillomaviren (HPV). Der Schwerpunkt liegt hier auf der genetischen Diagnostik, was sich auch in seiner Promotion widerspiegelte, in der er sich mit der Detektion von HPV-Nukleinsäuren im Gebärmutterhals auseinandersetzte.

Zur HPV-Diagnostik hat Schmitt mit seinen DKFZ-Kollegen mehrere Patente angemeldet. (gvg)

Schmitt: Im Prinzip ja. Die Sensitivität des HPV-DNA-Tests ist in allen Studien deutlich besser als die des Pap-Tests. Leider weisen konventionelle HPV-Tests nicht spezifisch ein Zervixkarzinom oder seine Vorstufen nach, sondern lediglich eine HPV-Infektion.

Aber nur ein kleiner Teil der HPV-infizierten Frauen entwickelt auch eine behandlungsbedürftige Krebsvorstufe. Folglich hat ein Screening, das allein auf einem HPV-DNA-Test basiert, sehr hohe Sensitivität, aber nur geringe Spezifität für die Krebsvorstufe.

Es gibt also viele Frauen mit einem positiven HPV-Testergebnis, die keine Krebsvorstufe haben. Und hier besteht dann die Gefahr, dass unnötige Folgeuntersuchungen durchgeführt werden und die Patientinnen unnötig verunsichert werden.

Ärzte Zeitung: Sie haben jetzt mit Ihrer Arbeitsgruppe am Beispiel von HPV 16 ein neues HPV-Testprinzip entwickelt, das diese Probleme umgehen könnte. Wie sieht Ihr HPV-Test genau aus?

Schmitt: Wir analysieren nicht die Virus-DNA, sondern verschiedene RNA-Abschriften der DNA, also das so genannte Transkriptom. Das Neue an dem Ansatz ist, dass wir nicht nur ein einzelnes Transkript analysieren, wie das einige kommerzielle HPV-Tests machen.

Wir haben uns ein breites Spektrum an RNA-Transkripten angesehen und diese in Abhängigkeit vom Malignitätsgrad der Zervixläsionen ausgewertet. Kurz gesagt: Wir konnten zeigen, dass sich HPV-Infektionen mit normaler Zytologie und niedrigmaligne Läsionen von hoch malignen Läsionen und Karzinomen in ihrem Muster von HPV-mRNA-Transkripten unterscheiden.

Damit haben wir Marker für hochgradige Läsionen und Karzinome. Das ist klinisch sehr relevant, da nur hochgradige Läsionen und Krebs behandelt werden müssen.

Ärzte Zeitung: Sie haben den Test anhand der Daten von realen Patientinnen entwickelt. Wie sah diese Studie genau aus?

Schmitt: Wir haben von einer kooperierenden französischen Arbeitsgruppe Gebärmutterhals-Abstriche von 80 HPV-16-DNA-positiven Frauen erhalten, die zytologisch unterschiedliche Läsionsgrade gezeigt hatten.

Darunter waren Normalbefunde, niedrig- und hochgradige Läsionen und auch sieben Karzinome. Von den insgesamt 16 mRNA-Transkripten, die wir untersucht haben, waren vier für den Malignitätsgrad der Zervixläsionen besonders aussagekräftig, zwei waren hoch, zwei niedrig exprimiert.

Das Entscheidende war, dass wir jeweils die Menge eines hoch zu einem niedrig exprimierten Transkript ins Verhältnis gesetzt haben. Wir haben also zwei "Paare" gebildet, deren Vorhersagekraft war besonders hoch.

Ärzte Zeitung: Wie hoch sind Sensitivität und Spezifität bei diesem Ansatz?

Schmitt: Das können wir auf Basis der 80 Frauen, die wir untersucht haben, noch nicht sicher sagen. Dafür sind größere, auch prospektive Studien nötig. Wir konnten allerdings 100 Prozent der Karzinome und 67 Prozent der hochgradigen Läsionen als korrekt gefährlich einstufen.

Am sensitivsten ist und bleibt natürlich der DNA-Test. Wir versuchen, mit der Sensitivität unseres RNA-Mustertests möglichst nah an diesen Goldstandard heran zu kommen und gleichzeitig die Spezifität so hoch zu treiben, wie es geht.

In unserer Studie hatten wir gegenüber dem DNA-Test einen starken Zugewinn an Spezifität: während der DNA-Test immer positiv war, konnten wir 74 Prozent der niedriggradigen Vorstufen und 92 Prozent der normalen Zytologien korrekt als harmlos einstufen. Das ist auch der Grund, warum sich die Diagnostikindustrie sehr interessiert zeigt.

Ärzte Zeitung: Wie wird der Test jetzt weiterentwickelt?

Schmitt: Wir sind für die Weiterentwicklung zu einem im klinischen Labor anwendbaren Routine-Test eine Kooperation mit Roche Diagnostics eingegangen. Um ein schnelles, robustes und preisgünstiges Verfahren zu entwickeln, werden wir zunächst die Plattformtechnologie für die RNA-Messungen wechseln und den Test danach weiter in besser charakterisierten Studien evaluieren.

Das kann einige Jahre dauern, der Test steht also noch nicht unmittelbar vor der breiten Anwendung.

Ärzte Zeitung: Eignet sich die Transkript-Analyse auch zur Malignitätsabschätzung bei Infektionen mit anderen HPV-Typen? Und wie könnte ein transkriptbasierter HPV-Test in ein hypothetisches Screening-Programm der Zukunft Eingang finden?

Schmitt: Wir sind dabei, das auch für HPV 18 und andere kanzerogene HPV-Typen zu überprüfen. Erste Daten sind vielversprechend. Das wahrscheinlichste Model ist, für das primäre Screening einen HPV-DNA-Test einzusetzen.

Der sagt uns, welche Frau HPV-infiziert ist und welcher Genotyp vorliegt. Bei positivem Primärtest könnte dann eine Transkriptanalyse folgen, die die Einschätzung des individuellen Risikos für eine hochgradige Krebsvorstufe erlaubt.

Das Interview führte Philipp Grätzel von Grätz

Das Forschungsthema

Das derzeitige Zervixkarzinom-Screening mittels Zytologie ist wenig sensitiv. HPV-DNA-Tests, die in einigen Ländern bereits Eingang in die Screening-Algorithmen gefunden haben, haben demgegenüber eine hohe Sensitivität, aber eine nur geringe Spezifität.

Dr. Markus Schmitt und seine Kollegen am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg wollen die Spezifität des HPV-Tests verbessern, indem sie die DNA-Abschriften des viralen Erbguts, das so genannte HPV-Transkriptom, analysieren.

Anhand der Daten von 80 HPV-16-positiven Frauen mit unterschiedlichen Zytologiebefunden haben sie vier mRNA-Moleküle identifiziert, die bei Erhalt einer hohen Sensitivität gut mit dem Malignitätsgrad korrelieren, wenn jeweils zwei davon in Relation gesetzt werden.

Auf Basis dieser Forschungsarbeiten soll in den nächsten Jahren gemeinsam mit einem großen Diagnostikhersteller

ein Test entwickelt werden, der idealerweise auch andere HPVTypen mit einbezieht. Nach entsprechenden Studien könnte ein solcher Test mittelfristig zu einer Modifikation der derzeitigen Screening-Algorithmen führen (Cancer Research 2010; 70: 249-256).

Das Forscherteam:Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg Dr. Markus Schmitt, Dr. Michael Pawlita, Professor Dr. Lutz Gissmann

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