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Sand ins Getriebe des Eiweißhäckslers

Bei Autoimmunerkrankungen ist ein Eiweißkomplex im Zellinneren überaktiv: das Immunoproteasom. Professor Michael Groll und sein Team von der TU München haben dessen Strukturen im Detail entschlüsselt und so die Basis geschaffen für das Design selektiver Medikamente.

Von Dr. Elke Oberhofer Veröffentlicht:
Röntgenstrukturanalyse des Immunoproteasoms: Der Ausschnitt zeigt die Untereinheit b5i im Komplex mit dem spezifischen Inhibitor ONX0914.

Röntgenstrukturanalyse des Immunoproteasoms: Der Ausschnitt zeigt die Untereinheit b5i im Komplex mit dem spezifischen Inhibitor ONX0914.

© Groll

Welche Rolle spielt das Immunoproteasom im Rahmen der körpereigenen Abwehr?

Professor Michael Groll: Die primäre Funktion des Immunoproteasoms besteht darin, die Immunantwort zu stimulieren.

Insbesondere generiert es aus den zellulären Eiweißen Fragmente, die an der Oberfläche über den MHC-I-Rezeptor* den zytotoxischen T-Zellen des Immunsystems präsentiert werden.

Handelt es sich dabei um ein körperfremdes Eiweiß, etwa von einem zuvor eingedrungenen Virus, wird die infizierte Zelle vom Immunsystem vernichtet.

Was passiert auf zellulärer Ebene bei einer Autoimmunerkrankung?

Groll: Bei Autoimmunerkrankungen ist das Basislevel des Immunoproteasoms und der Zytokine zu hoch. Es kommt zu einer überschießenden Reaktion des Immunsystems gegen körpereigenes Gewebe und damit zu schweren Entzündungsreaktionen.

Sie konnten molekulare Details der Struktur des Proteasoms entschlüsseln. Was hat es speziell mit der Untereinheit ß5i des Immunoproteasoms auf sich?

Groll: 20S Proteasome bestehen aus 28 Untereinheiten, die zylinderförmig angeordnet sind. Das aktive Zentrum des Proteasoms befindet sich in einer zentralen Kammer, die eine Art Häcksler darstellt und nicht mehr benötigte Eiweiße zerschreddert.

Säuger verfügen sowohl über ein konstitutives als auch über ein Immunoproteasom. Beide unterscheiden sich ausschließlich in den Untereinheiten ß1, ß2 und ß5.

In Zusammenarbeit mit Professor Marcus Groettrup und seinem Team von der Universität Konstanz ist es gelungen, beide Proteasomtypen bis ins atomare Detail aufzuklären.

Die molekularen Einblicke zeigen einen für die Immunantwort wesentlichen Unterschied in den ß5-Untereinheiten: Die Untereinheit ß5i des Immunoproteasoms generiert - anders als das konstitutive Proteasom - bevorzugt Peptidfragmente mit hoher Präferenz für MHC-I-Moleküle.

Was ist die Aufgabe des konstitutiven Proteasoms im Unterschied zum Immunoproteasom?

Groll: Die verschiedenen Proteasomtypen besitzen unterschiedliche Einflüsse auf das Zellverhalten. Anders als beim Immunoproteasom ist das konstitutive Proteasom primär ein Recyclingsystem für den selektiven Abbau nicht mehr benötigter Eiweiße.

Hemmung dieses Proteasomtyps führt zur Anhäufung von fehlgefalteten Proteinen, reaktiven Sauerstoffspezies sowie von Tumorsuppressoren.

Bislang zugelassene Proteasominhibitoren unterscheiden nicht zwischen den beiden Proteasomtypen, sodass der Einsatz dieser Medikamente starke Nebenwirkungen wie beispielsweise periphere Neuropathien auslöst und Agglomerationskrankheiten wie Neurodegenerationen fördern kann.

Aber nun ist es gelungen, das Immunoproteasom selektiv zu hemmen?

Groll: Zusammen mit den Arbeitsgruppen von Professor Craig Crews, Universität Yale, und Professor Robert Huber, MPI Martinsried, konnten wir in dem Naturstoff Epoxomicin ein neues Bindemotiv für die spezifische Proteasominhibition identifizieren.

Daraus entstand Carfilzomib (Kyprolis®), das 2012 von der FDA bewilligt wurde. Jedoch unterscheiden weder Carfilzomib noch das 2003 zugelassene Bortezomib (Velcade®) zwischen dem konstitutiven und dem Immunoproteasom. Beide Substanzen werden daher nur gegen bestimmte Krebsarten wie Plasmozytome eingesetzt.

Per Trial-and-Error ist ein neues Epoxomicin-Derivat gefunden worden, ONX0914, das als bislang einzige Verbindung in der Lage ist, zwischen beiden Proteasomtypen zu unterscheiden.

Die Analyse der Kristallstrukturen des konstitutiven und Immunoproteasoms zeigen erstmals die Grundlagen dieses selektiven Bindeverhaltens und ermöglichen zukünftig die maßgeschneiderte Entwicklung selektiver und damit nebenwirkungsarmer Proteasom-Hemmstoffe.

Welche klinischen Anwendungen könnten sich daraus ergeben?

Groll: Die gezielte Hemmung des Immunoproteasoms ist ein wichtiger Schritt zur Entwicklung neuer Medikamente gegen Autoimmunerkrankungen, aber auch gegen chronische Entzündungsreaktionen.

Für rheumatoide Arthritis wurde die Wirksamkeit kürzlich in Vorversuchen gezeigt. Künftige Anwendungspotenziale sind aber auch Multiple Sklerose, Lupus erythematodes oder Typ-1-Diabetes.

*MHC = Major Histocompatibility Complex

Das Forschungsthema

Das Immunoproteasom ist ein spezialisierter Proteasomtyp, der Peptide für die Bindung an den MHC-I-Rezeptorkomplex zuschneidet. Erkennt das Immunsystem das präsentierte Eiweißfragment als potenziell gefährlich, wird die Zelle vernichtet.

Bei Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes, Rheuma oder Multipler Sklerose, aber auch bei Krebs kann das Verhältnis zwischen den Proteasomtypen – dem Immunoproteasom und dem konstitutiven Proteasom – gestört sein.

2012 konnte die Forschergruppe um Professor Michael Groll, München und Professor Marcus Groettrup, Konstanz, mithilfe der Röntgenstrukturanalyse die dreidimensionalen Strukturen des Immunoproteasoms der Maus aufklären - jeweils ohne und mit gebundenem Hemmstoff ONX0914 (Cell 2012; 148: 727-738).

Auch die Frage, warum die Substanz spezifisch das Immunoproteasom hemmt, haben die Forscher beantwortet. Die Strukturaufklärung ebnet den Weg für eine maßgeschneiderte Wirkstoffentwicklung.

Damit ließen sich schwere Nebenwirkungen, wie sie beim Einsatz bisheriger unselektiver proteasomaler Hemmstoffe auftreten, in Zukunft verhindern. (eb)

Der Forschungsleiter

Professor Michael Groll studierte Chemie an der TU München und erhielt seinen Doktortitel für kristallographische und biochemische Studien zum 20S Proteasom aus der Hefe.

Nach Forschungsaufenthalten bei Prof. Huber (München), Prof. Finley (Boston), Prof. Neupert (München) und Prof. Kloetzel (Berlin) ist er seit 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Biochemie an der TU München und Gründungsmitglied des Exzellenz-Clusters CIPSM II.

Forschungsschwerpunkt: Im Zentrum der Forschung steht die Strukturbestimmung und Charakterisierung von Proteinkomplexen sowie die Aufklärung struktureller und funktioneller Interaktionsmechanismen von Proteinen mit synthetischen und natürlichen Liganden.

Die daraus resultierenden Ergebnisse liefern fundamentale Einblicke in zelluläre Regulationsmechanismen und tragen wesentlich zur rationalen Wirkstoffentwicklung bei. (eo)

Das Forscherteam

TU München, Fakultät für Chemie

Professor Dr. rer. nat. Michael Groll; (Inhaber des Lehrstuhls für Biochemie)

Dr. rer. nat. Eva Huber Dr. rer. nat. Wolfgang Heinemeyer

Universität Konstanz

Prof. Dr. rer. nat. Marcus Groettrup (Inhaber des Lehrstuhls für Immunologie)

Dr. rer. nat. Michael Basler

Dr. rer. nat. Ricarda Schwab

Dr. rer. nat. Christopher J. Kirk, Onyx Pharmaceuticals, San Francisco

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