Hintergrund

Zufallsbefunde bei Probanden – für Forscher eine komplizierte Sache

Besonders in der Krebsforschung passiert es immer wieder, dass im Biomaterial von Studienprobanden krankheitsrelevante Mutationen festgestellt werden. Bisweilen stellt das die Forscher vor gewaltige rechtliche und ethische Probleme.

Julia FrischVon Julia Frisch Veröffentlicht:
Immer wieder entdecken Wissenschaftler durch Zufall Genmutationen bei Probanden – eine sensible Angelegenheit.

Immer wieder entdecken Wissenschaftler durch Zufall Genmutationen bei Probanden – eine sensible Angelegenheit.

© TDHster / stock.adobe.com

Bei Ganzgenomsequenzierungen stoßen die Forscher in Heidelberg immer wieder auf Keimbahnveränderungen, die für den Probanden nichts Gutes verheißen. Anstatt zum Beispiel die Ursache für eine seltene Erkrankung zu finden, werden Genmutationen für Diabetes oder Brustkrebs entdeckt oder gar für Krankheiten wie Chorea Huntington oder Mukoviszidose, die nicht behandelbar sind beziehungsweise durch Vererbung erst bei den Kindern auftreten können. "Elf Prozent der Patienten weisen pathogene Varianten in bekannten Tumorprädispositionsgenen auf", berichtete Professor Eva Winkler von der Uni Heidelberg auf einem Workshop des German Biobank Node, der Dachorganisation deutscher Biobanken, in Berlin.

Müssen die Forscher den Probanden solche Zusatzfunde nicht mitteilen, damit sie sich schnellstmöglich in Behandlung geben oder präventiv aktiv werden können? Oder stürzt man die Patienten mit solchen Ergebnissen in Verzweiflung und Panik?

Freie Entscheidung des Forschers

Medizinrechtler Jochen Taupitz von der Uni Mannheim wies auf diesen Spagat zwischen Fürsorge- und Nichtschadensprinzip hin. Grundsätzlich sei kein Forscher verpflichtet, Probanden ungefragt über Zufallsbefunde zu informieren. "Es ist die freie Entscheidung des Forschers, ob und welche Ergebnisse er mitteilt", so Taupitz.

Damit sowohl Wissenschaftler als auch Studienteilnehmer Klarheit haben, sei es ratsam, gemeinsam vor Beginn der Forschung zu klären und festzulegen, ob und was später über eventuelle Funde mitgeteilt wird. "Der Proband muss aber auch die Möglichkeit haben, Informationen abzulehnen. Dann kann er allerdings von der Studie ausgeschlossen werden", sagte Taupitz.

Die Gendiagnostik-Kommission sei aus ethischen Gründen der Auffassung, dass Zusatzfunde, die auf behandelbare oder vermeidbare Krankheiten hindeuten, den Probanden immer mitzuteilen sind. Diese Linie verfolgen auch die Forscher in Heidelberg. Liegt die Einwilligung des Patienten vor, informieren sie ihn über Zusatzfunde zu Krankheiten, die mit großer Wahrscheinlichkeit auftreten werden und für die es nach dem derzeitigen Stand des medizinischen Wissens erfolgreiche Vorsorgeprogramme oder Behandlungsmöglichkeiten gibt. Rückmeldungen zu Krankheiten, die nicht behandelbar sind, nur mit geringer Wahrscheinlichkeit ausbrechen oder für die der Proband erblich nur Anlageträger ist, erfolgen dagegen nicht. Ist der Patient damit nicht einverstanden, kann er an der Studie nicht teilnehmen.

Festgehalten wurde in einem Eckpunktepapier der Heidelberger Projektgruppe "Ethische und Rechtliche Aspekte der Totalsequenzierung des menschlichen Genoms" (EURAT) zudem ein Verhaltenskodex für die Wissenschaftler. Er legt nicht nur fest, dass eine systematische Suche nach Keimbahnmutationen, zum Beispiel nach der Liste des "American College of Medical Genetics and Genomics", nicht stattfindet. Geregelt ist auch, dass Rückmeldungen von Zusatzfunden immer über den behandelnden Arzt erfolgen. Er entscheidet – unterstützt von einem Komitee – ob die Ergebnisse durch ein Routinediagnostiklabor validiert und an den Patienten weitergegeben werden.

Teilnehmer haben ein Recht auf ihre Rohdaten

Zufallsergebnisse sind auch bei der Nationalen Kohorte (Nako), Deutschlands größter Gesundheitsstudie mit geplanten 200.000 Teilnehmern, möglich. Werden diese bei der Anfangsuntersuchung, etwa mithilfe des MRT, entdeckt, werden sie den Teilnehmern mitgeteilt. Wer keinen Ergebnisbrief bekommen will, kann nicht an der MRT-Untersuchung teilnehmen. Sollten im Laufe der auf mindestens 20 Jahre angelegten Studie weitere Funde anfallen, werden diese aus organisatorischen Gründen den Teilnehmern nicht zugesandt. Diese Informationen können in Zukunft über das Teilnehmerportal abgerufen werden, erklärte Dr. Gunthard Stübs von der Uni Greifswald, Koordinator zentrales Datenmanagement der Nako. Der Abruf persönlicher Daten und Ergebnisse werde momentan konzipiert.

Auch wenn Wissenschaftler den Probanden nicht ungefragt Zufallsfunde mitteilen müssen, so haben die Studienteilnehmer doch rechtlich einen Anspruch darauf, die sie betreffenden Rohdaten, die bei der Forschung anfallen, zu bekommen. Darauf wies Professor Jochen Taupitz hin. Diese Daten müssen auf Verlangen herausgegeben werden. "Man muss die Probanden aber nicht beraten, was alles in den Rohdaten versteckt ist", so Taupitz.

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