Interview

Struma: In Deutschland wird zu häufig operiert

Viele Ergebnisse der LISA-Studie - der bislang größten, randomisierten, doppelblinden, multizentrischen Studie zum Stellenwert der kombinierten medikamentösen Therapie der Struma nodosa - überraschen den Studienleiter Professor Martin Grußendorf aus Stuttgart. Warum, verrät er im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

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Ärzte Zeitung: Wie bewerten Sie die Ergebnisse der LISA-Studie?

Professor Martin Grußendorf

Aktuelle Position: seit 1989 in Stuttgart niedergelassen als Internist, Endokrinologe, Androloge, Osteologe DVO

Werdegang / Ausbildung: Grußendorf wurde 1948 in Gifhorn geboren. Er hat in Kiel, Hamburg und Heidelberg Medizin studiert.

Karriere: seit 1992 bei der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie tätig.

Professor Martin Grußendorf: Für mich war es sehr überraschend, dass die Kombination von niedrig dosiertem Thyroxin und Jod im Mittel eine weit deutlichere Größenabnahme der Schilddrüsenknoten bewirkt, als Thyroxin und Jod jeweils allein.

Es ist ja mit rund 22 Prozent Reduzierung des Knotenvolumens nach einem Jahr Therapie sogar etwas mehr, als die Addition beider Einzelsubstanzen. Überrascht hat mich auch, dass die Therapie mit Jodid so wenig bewirkt hat. Diese hat lediglich zu einer Verkleinerung des Knotenvolumens um 9 Prozent (und T4 um 12 Prozent) geführt.

Ärzte Zeitung: Ein Teil der Knoten - nämlich jeder sechste - ist unter der Therapie aber weitergewachsen ...

Grußendorf: ... hier können wir nur spekulieren. Möglicherweise liegt dies an einer unterschiedlichen genetischen Ausstattung, weswegen ein Teil dann eben nicht auf die Therapie anspricht. Mein Vorschlag ist deshalb: Man sollte ein Jahr lang therapieren.

Wachsen die Knoten weiter, sollte man die Therapie wieder absetzen. Sprechen sie an, kann man sie fortsetzen. Im Langzeitverlauf könnte man dann später eventuell auf Jod allein umstellen, wenn die Knoten entsprechend kleiner geworden sind.

Ärzte Zeitung: Werden StrumaPatienten in Deutschland nun zu viel medikamentös oder zu wenig behandelt?

Grußendorf: Nach neuesten Daten werden derzeit sechs Millionen Schilddrüsen-Patienten mit Thyroxin allein behandelt, davon etwa die Hälfte nach Schilddrüsenoperationen. Patienten mit Struma bekommen immer noch sehr häufig zu hohe Thyroxin-Dosen, die zu einer vollständigen TSH-Suppression führen.

Ich persönlich stelle inzwischen aufgrund der Studienergebnisse meine Patienten, die Thyroxin erhalten, auf die Kombinationstherapie um, falls es keine Kontraindikationen gibt.

Außerdem wird in Deutschland immer noch mit rund 100.000 Schilddrüsenoperationen pro Jahr im Vergleich zu anderen Ländern viel zu häufig operiert. Mit der entsprechenden medikamentösen Einstellung müssten viele Patienten nicht operiert werden.

Ärzte Zeitung: Und wie sieht es mit dem Karzinomrisiko aus?

Grußendorf: Das wird auch bei kalten Knoten immer überschätzt. Wir haben in meiner Praxis - bei einem schon vorselektionierten Patientenkollektiv - über 6000 Knoten punktiert und haben in 1,7 Prozent der Fälle ein Malignom gefunden, die Malignitätsrate aller Schilddrüsenknoten liegt sicher deutlich unter einem Prozent.

Ärzte Zeitung: Es wird in der LISA-Studie Thyroxin ja sehr niedrig dosiert, das heißt es wird nicht TSH-suppressiv behandelt. Das wirkt sich doch sicher positiv für die Patienten aus?

Grußendorf: Früher haben wir immer voll suppressiv behandelt unter der Vorstellung, viel hilft viel. Wer nicht voll suppressiv behandelt hat, galt als schlechter Schilddrüsenarzt. Damit haben wir den Patienten mehr geschadet als genützt.

Seit 20 Jahren weiß man, dass es darunter vermehrt zu Vorhofflimmern, Thrombosen und anderem und dadurch zu einer höherer Mortalität kam, deshalb hat man die tägliche Thyroxin-Dosis schon seit langem reduziert. In der Kombination verordnen wir in der Regel nicht mehr als 50 µg Thyroxin plus Jod. Das wirkt besser und ist patientenschonend.

Ärzte Zeitung: Was folgt nun aus der Studie für die Praxis?

Grußendorf: Wenn eine medikamentöse Therapie indiziert ist, sollte man in der Regel mit einer Kombination behandeln, lediglich die Patienten mit einer Autoimmunthyreoditis sollten nicht mit Jod behandelt werden, sondern nur mit Thyroxin.

Bei einem relativ niedrigen TSH-Wert unter 0,8 mU / l würde ich nur Jod geben -wenn eine relevante Autonomie ausgeschlossen ist - oder gar nichts. Nach einem Jahr sollte der Erfolg dann sonografisch überprüft werden.

Das Gespräch führte Ingeborg Bördlein

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