Ambulanz für Patienten mit Psychose-Prodromen

In der Frühphase bei Psychosen wird vor allem die Suizidgefahr unterschätzt. Hilfe ist jedoch bereits möglich, bevor es zur Erkrankung kommt - etwa über eine Früherkennungsambulanz.

Von Ingeborg Bördlein Veröffentlicht:
Schlafstörungen und Appetitminderung, Verlangsamung der Sprache - all das sind auch Zeichen einer beginnenden Psychose. © ddp

Schlafstörungen und Appetitminderung, Verlangsamung der Sprache - all das sind auch Zeichen einer beginnenden Psychose. © ddp

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MANNHEIM (bd). Erste Signale einer Schizophrenie zeigen sich häufig schon viele Jahre vor der ersten psychotischen Episode. Da diese Prodrome aber oft sehr unspezifisch sind, werden sie meist nicht erkannt oder anderweitig zugeordnet. Um eine beginnende Psychose rechtzeitig zu erkennen, bietet das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim jetzt eine Früherkennungsambulanz an. Ziel ist es, sehr früh eine Risikoabschätzung zu leisten, den Leidensdruck der Patienten schon in der Prodromalphase zu lindern und das Fortschreiten der Erkrankung zu vermeiden. "Wir wollen rechtzeitig Hilfe anbieten, noch ehe die Betroffenen in schwere Krisen geraten und sich die Beeinträchtigungen auf Beziehungen, Beruf und Ausbildung auswirken", beschreibt der Leiter der Mannheimer Früherkennungsambulanz, Privatdozent Dr. Mathias Zink die Einrichtung gegenüber der "Ärzte Zeitung".

Schon im Prodromalstadium lässt sich das Leiden lindern

Je länger jemand unbehandelt bleibt, desto schwieriger ist es, eine vollständige Heilung zu erzielen und die soziale und berufliche Leistungsfähigkeit wiederherzustellen, so Zink. Und schließlich gelte es auch, die Suizidgefahr bei einer sich manifestierenden Psychose zu bannen. Zink zufolge ist dies ein häufig unterschätztes Problem in der frühen Phase der Erkrankung.

Sehr oft hätten die jungen Menschen selbst ein klares Gefühl, dass sich etwas verändert habe. Betroffene in der Prodromalphase erleben emotionale Veränderungen vor allem als Depression und Abnahme der allgemeinen Leistungsfähigkeit. Vertraute Personen bemerkten oft ebenfalls Veränderungen und einen sozialen Rückzug, so Zink.

Doch die Symptome seien oft unspezifisch und würden deshalb auch häufig mit typischen Problemen in der Adoleszenz erklärt. Außerdem seien sie auch bei anderen psychischen Störungen vorhanden. Deshalb würden sie selbst von Ärzten oft nicht mit einer beginnenden Psychose in Verbindung gebracht.

Misstrauen, Schlafprobleme, Grübeln sind Frühsymptome

Außer den Kernbereichen Affekt, Leistungsfähigkeit und soziales Verhalten können weitere Beschwerden auftreten, die als Risikokonstellation für Psychosen gewertet werden: Schlafstörungen und Appetitminderung, Verlangsamung der Sprache und Bewegungen, Verminderung von Energie und Antrieb, Grübelneigung, geminderte Kontaktfähigkeit, Misstrauen und Gereiztheit sowie eine innere Anspannung. Schon in diesem Stadium sollte dringend eine ambulante Diagnostik erfolgen, so der Psychiater - also noch, bevor Symptome auftreten wie Wahnvorstellungen, Entfremdungserleben, Halluzinationen, Ängste vor vermeintlicher Bedrohung und Verfolgung.

Die Diagnostik in der Mannheimer Früherkennungsambulanz umfasst mehrere Module: Außer der ausführlichen aktuellen Anamnese, den Vorbehandlungen und der Soziobiografie werden ausführlich Risikofaktoren für Psychosen erfasst. Dies sind zum einen genetische und zum anderen biografische Faktoren wie Migration, mit Stress assoziierte Lebensereignisse und der Konsum psychotroper Substanzen. Vor allem der früh einsetzende und hochdosierte Missbrauch von Cannabinoiden gilt nach Angaben von Zink als wichtiger Psychosetrigger.

Zur weiteren Diagnostik werden außer standardisierten Fragebögen wie der CAARMS* auch der ERIraos** als Checkliste und als standardisiertes Interview verwendet. Dieses Instrument wurde in der Arbeitsgruppe des früheren ZI-Direktors Professor Heinz Häfner entwickelt und basiert auf langjährigen Forschungsarbeiten zum Frühverlauf schizophrener und affektiver Psychosen, bei denen der IRAOS*** eingesetzt wurde. Mit diesen Instrumenten könne in etwa drei ambulanten Terminen schon mit großer Sicherheit das Risiko für eine beginnende Psychose abgeschätzt werden, sagte Zink.

Von 100 Menschen in einer fortgeschrittenen Prodromalphase werden etwa 30 innerhalb eines Jahres eine voll ausgeprägte Psychose nach den ICD-10-Kriterien entwickeln. Selbst bei ein einer beginnenden Prodromalphase besteht immer noch ein mindestens zehnprozentiges Risiko für eine Psychose.

Multimodale Therapie für Psychose-Gefährdete

Die Patienten mit erhöhtem Risiko erhalten in der Früherkennungsambulanz des ZI eine multimodale Therapie. Diese besteht aus engmaschigen persönlichen und telefonischen Kontakten. Bei der Pharmakotherapie stehen antidepressive Substanzen im Vordergrund. Zeigen sich bereits psychotische Symptome in noch milder Form könnten im individuellen Fall und nach ausführlicher Aufklärung auch schon neue, gut verträgliche Antipsychotika der zweiten Generation indiziert sein.

Das psychotherapeutische Spektrum ist vielfältig und umfasst etwa eine problemfokussierte Psychoedukation mit einer Aufklärung darüber, was eine Psychose ist, wie man damit umgeht und welche Therapien möglich sind. Hinzu kommt ein metakognitives Training, das auf psychosetypische Veränderungen des Denkens, der Wahrnehmung und der sozialen Kognition abzielt.

Lesen Sie dazu auch: Psychose-Check im Internet mit nur 15 Fragen

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