Die amtlichen Schriften des Dr. Franz Kafka
"Amtliche Schriften", auch wenn sie von Heroen der Literatur verfaßt wurden, sind für gewöhnlich alles andere als eine mitreißende Lektüre. Bedeutung erlangen sie meist nur in Verbindung mit dem literarischen Weltruhm ihrer Urheber.
Diese Einschätzung scheint bei flüchtiger Betrachtung auch auf die "Amtlichen Schriften" des Versicherungsjuristen Dr. Franz Kafka zuzutreffen, die jetzt von Klaus Hermsdorf und Benno Wagner in einem umfangreichen Band in der bei S. Fischer erscheinenden Kritischen Ausgabe der "Schriften, Tagebücher, Briefe" von Kafka vorgelegt werden.
Doch schnell zeigt sich, daß die Texte, die Kafka zwischen 1908 und 1922 im Dienst der Prager Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen (AUVA) verfaßt hat, "mehr sind als nur biographisch-historischer Kontext zu seinem literarischen Werk", um mit den Worten der Herausgeber zu sprechen.
Vielmehr hat Kafka "tragende Problemstellungen, Schreibverfahren und Diskursfiguren der Unfallversicherung für seine literarischen Arbeiten fruchtbar gemacht". Während seiner Zeit bei der AUVA, die er selbst als "schreckliches Doppelleben" charakterisierte, entstanden etwa die Erzählungen "Das Urteil" und "Die Verwandlung" (1912). Auch begann Kafka 1914 mit der Arbeit am Roman "Der Prozeß" und 1922 mit dem Romanprojekt "Das Schloß".
Über versicherungstechnische Belange hinausgehende Bedeutung erlangten Kafkas Schriften mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, als er begann, sich für die Einrichtung einer Krieger- und Volks-Nervenheilanstalt einzusetzen. Die meisten seiner amtlichen Tätigkeiten kommentierte er in Briefen eher ironisch, hinter diesem Einsatz dagegen scheint tatsächlich ein persönliches Engagement gestanden zu haben.
Die Herausgeber bezeichnen die Texte, in denen Kafka sich mit den Behandlungsmöglichkeiten für nerven- und gemütskranke Kriegsversehrte auseinandersetzte, denn auch als seine literarischsten. Kafka sah in der Hilfe für nervenkranke Soldaten nicht nur eine kriegsbedingte Notwendigkeit, "sondern in der erschreckenden Zunahme psychosomatischer Leiden das Symptom einer Epoche, die vor dem Krieg begonnen hatte und mit dem Frieden nicht enden würde".
Ergänzt wird der Textband durch eine beigefügte CD-ROM mit "Materialien", deren Menge etwa 900 Buchseiten entspricht. Außer einer Fülle von versicherungshistorischen Texten enthält sie auch Franz Kafkas Personalakte bei der AUVA. Adelbert Reif
Franz Kafka: "Amtliche Schriften". Herausgegeben von Klaus Hermsdorf und Benno Wagner. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004. 1024 Seiten mit CD-ROM. Euro 178.ISBN 3-10-038183-1.