"Schreckliche Mattigkeit": Caspar David Friedrich litt an Depressionen

Von Martina Rathke Veröffentlicht:

Verlassene Kirchenruinen in einsamen Landschaften, erhabene Kreidefelsen auf der Insel Rügen - die Bilder des Malers Caspar David Friedrich (1774 bis 1840) haben die deutsche Romantik maßgeblich geprägt. Wie neue biographische Forschungen nun ergeben, litt der Maler - dessen 230. Geburtstag am 5. September mit der Eröffnung einer Dauerausstellung in seinem Greifswalder Geburtshaus begangen wird - offensichtlich zwei Drittel seines Lebens unter schweren, sich periodisch wiederholenden Depressionen. Der Krankheitsverlauf mit wiederkehrenden Phasen und einem Suizidversuch sei klassisch für eine mittel- bis hochgradige unipolare Depression, sagt der Psychiater Carsten Spitzer von der Universität Greifswald.

Aufzeichnungen des Arztes Carl Gustav Carus ausgewertet

Spitzer und die Kunsthistorikerin Birgit Dahlenburg haben historische Quellen - Selbstzeugnisse, Briefe sowie Aufzeichnungen von Familienangehörigen, seines Freundes und Arztes Carl Gustav Carus - und das Werk Friedrichs untersucht und in Beziehung zueinander gesetzt. In der umfangreichen kunsthistorischen Literatur wird Friedrichs Schwermut und Melancholie oft als typisch für die Romantikergeneration erwähnt. Eine krankhafte Depression wird bisher nicht beschrieben, "offenbar, weil sich bisher nie Mediziner und Kunsthistoriker zusammengesetzt haben", mutmaßt Birgit Dahlenburg.

Erste Indizien für eine Depression finden die Forscher im 25. Lebensjahr des Malers. 1799 berichtet Friedrich in einem Brief an seinen Studienfreund Lund von einer "schrecklichen Mattigkeit..., daß ich ungelogen 4 Tage und Nächte in einem fort geschlafen habe". Dieser ersten Phase mit den typischen Symptomen von Erschöpfung und Rückzug gingen traumatische Kindheitserlebnisse voraus, die nach Ansicht des Psychiaters eine Depression begünstigt haben: Friedrichs Mutter stirbt, als er sieben ist. Als Zwölfjähriger muß der Sohn eines Seifensieders erleben, wie sein Lieblingsbruder bei dem Versuch, ihn zu retten, im zugefrorenen Bodden einbricht und ertrinkt.

Zudem entspreche Friedrich dem Typus melancholicus - auf Ordentlichkeit konzentriert, die sich in seinem Schriftbild und seiner akribischen Ateliereinrichtung zeige, zurückgezogen lebend, mit einem überschaubaren persönlichen Bekanntenkreis, selbstzweiflerisch trotz Anerkennung in Künstlerkreisen und mit einem fragilen Selbstbewußtsein, sagt Spitzer.

Dem ersten Schub folgt 1804 ein Suizidversuch. Die Friedrich-Zeichnung "Mein Begräbnis" (1804/verschollen) ließ damals jeden Betrachter erschaudern. Neben einem frisch ausgehobenen Grab liegt ein Kreuz mit seinem Namenszug - so wird das Bild im zeitgenössischen "Journal des Luxus und der Moden" (Heft 19/1804) beschrieben. Seit seinem Selbstmordversuch trägt Friedrich einen Vollbart, vermutlich um Narben am Hals zu verbergen.

Todessymbole auf den Bildern aus depressiven Phasen

Insgesamt fünf depressive Phasen diagnostizieren die Wissenschaftler bis zu Friedrichs Lebensende im Jahr 1840 - unterbrochen von Zeiten des Erfolgs und der Anerkennung. Außer schriftlichen Zeugnissen wiesen Veränderungen in Motivwahl und künstlerischen Techniken auf die Krankheit, erklärt die Friedrich-Expertin Birgit Dahlenburg. "Auffällig ist, daß Friedrich in den tiefen depressiven Phasen nicht malt, sondern nur reduzierte Techniken nutzt, wie Aquarell, Sepia oder Bleistift." Zugleich häuften sich in diesen Phasen die Todessymbole: Geier, Gräber, Grabeskreuze, Eulen, abgestorbene Bäume. Symptomatisch dafür sei die Zeichnung "Skelette in der Tropfsteinhöhle", die 1826 in der letzten depressiven Phase vor seinem Schlaganfall im Jahr 1835 entsteht.

Würde Friedrich heute leben, läge er nach Ansicht von Spitzer auf der Couch eines Therapeuten, würde er Antidepressiva schlucken und wäre er möglicherweise sogar in stationärer Behandlung. Das hätte er sicher abgelehnt, hält Birgit Dahlenburg dagegen. "Friedrich wollte seine Depressionen durchleiden. Hilfe seines Freundes Carus lehnte er rigoros ab."

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