Sogar eine Reinheitsgarantie gab es für die Produkte des Darmstädter Apothekers

Von Ingo Senft-Werner Veröffentlicht:

Mit der Globalisierung sind traditionsreiche Familien-Unternehmen in Deutschland fast ausgestorben. Der Chemiekonzern Merck in Darmstadt gehört zu den wenigen, die bislang alle Widrigkeiten überstanden haben. Seine Geschichte reicht bis 1668 zurück, als Friedrich Jacob Merck die Engel-Apotheke in Darmstadt kaufte. Den Grundstein für das weltumspannende Unternehmen legte jedoch erst sein Nachkomme Heinrich Emanuel Merck (geboren 1794). Mit wissenschaftlichen Methoden stellte er Arzneien her und wurde so zum Pionier der Pharma-Industrie. Er starb vor 150 Jahren, am 14. Februar 1855.

Seinen Aufstieg hatte Heinrich E. Merck der Familientradition zu danken. Sein Großvater Johann Justus gehörte zu den ersten Apothekern, die sich um eine wissenschaftliche Ausbildung bemühten und sich damit von der Quacksalberei verabschiedeten. Sein Enkel konnte bereits in Berlin und Wien Pharmazie studieren. Mit 22 Jahren übernahm er 1816 die väterliche Apotheke und begann mit intensiven Forschungen.

Mercks Interesse galt der Herstellung von Alkaloiden

Sein Interesse galt vor allem der Herstellung von Alkaloiden, stickstoffhaltigen Wirkstoffen aus Pflanzen. So gewann er aus Opium das Schmerzmittel Morphin und aus dem Samen der Brechnuß das Herzmittel Strychnin. 1827 präsentierte er Kollegen und Ärzten sein "Pharmaceutisch-chemisches Novitäten-Cabinet", ein Setzkasten mit hochwirksamen Pflanzenauszügen. Er gab später sogar eine Garantie für die Reinheit seiner Produkte.

Die Nachfrage wuchs schnell, so daß Merck industrielle Methoden entwickeln mußte. So konnte er die Produktion von Morphin innerhalb von zehn Jahren um mehr als das Zehnfache steigern. In den 40er Jahren errichtete er die ersten Fabrikationsgebäude vor den Toren der Stadt. Er unterhielt eine enge Freundschaft mit dem im Marburg lehrenden Chemiker Justus von Liebig, bei dem er seinen Sohn studieren ließ. Liebigs Sohn wiederum ging bei Merck in die Lehre.

Kurzzeitig versuchte sich Merck auch als Kerzenfabrikant, scheiterte jedoch an seinem Kompagnon. Als Mitglied des großherzoglichen Medizinal-Collegiums nahm er umfangreiche Aufgaben wahr, unter anderem als Sachverständiger bei Gerichtsprozessen. Dort sorgte er im Prozeß über die Ermordung der Gräfin von Görlitz 1850 für Aufsehen, als er die Vergiftung der Toten nachwies, obwohl die Leiche zur Vertuschung verbrannt worden war.

Heute hat Merck 62 Produktionsstandorte

Seine Nachkommen bauten die Firma weiter aus. Zur Wende zum 20. Jahrhundert stellte Merck mit 1000 Beschäftigten etwa 10 000 Produkte her. Nach dem Ersten Weltkrieg verlor der Konzern viele seiner ausländischen Vertretungen, auch Merck & Co in den USA, die sich zu einem eigenständigen Unternehmen entwickelte. Die Namensgleichheit sorgte immer wieder für Verwirrung. Nach einer Absprache firmiert Merck & Co in Europa unter "MSD Sharp & Dohme", und die Darmstädter nennen sich in den USA "EMD".

Die Familie Merck hat bis heute das Sagen. Zwar führte sie das Unternehmen 1995 an die Börse, hält aber mehr als 70 Prozent der Aktien. Aus der kleinen Apotheke hat sich inzwischen ein weltweit agierender Konzern entwickelt mit knapp 29 000 Beschäftigten an 62 Produktionsstandorten in 28 Ländern. Der Sitz der Zentrale mit etwa 7500 Mitarbeitern ist weiterhin in Darmstadt.

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