Irakische Ärzte sind häufig Ziel von Terror-Attacken

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Von Fabian Löhe

Raja Nusrah (Name geändert) sitzt hinter seinem Schreibtisch, als plötzlich sieben Männer in knöchellangen Gewändern in sein Büro stürmen. Einer richtet eine Pistole auf ihn. "Du hast meinen Jungen ermordet", behauptet er.

Dabei ist der Zehnjährige an einem Lungenabszeß gestorben. Und Nusrah hat alles getan, um ihn zu retten. Doch der Mann beharrt: "Er ist in deinen Armen gestorben." Er verlangt 4000 Dollar. In diesem Moment wird Nusrah klar, daß er nicht mehr länger Arzt sein will im Kadhymia Krankenhaus in Bagdad.

Er will weg aus dem Irak, wo die Situation für Ärzte in den vergangenen Monaten noch schlimmer geworden ist, als sie ohnehin jahrelang war. Wegen ihrer wirtschaftlich und sozial hohen Stellung und um die Bevölkerung zu demoralisieren, sind die Ärzte ein häufiges Ziel von Terrorgruppen.

Der kürzlich vom irakischen Gesundheitsministerium veröffentlichte Bericht "Programm zur Verhinderung von Gewalt gegen Ärzte" spricht von 160 Morden und Entführungen seit Januar 2005. Auf den Ärztemangel wies vor wenigen Wochen auch der irakische Ärztebund (IMA) hin. Allein in der Hauptstadt Bagdad haben laut IMA in den vergangenen zwölf Monaten etwa zehn Prozent der registrierten Ärzte ihren Beruf aufgegeben.

Zumindest für zehn Tage ist Nusrah dieser Situation entkommen. Im Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie an der Asklepios Fachklinik in Gauting bei München hat der 39jährige an einer Fortbildung für irakische Lungenärzte teilgenommen. Deutschland: Hier fließt sauberes Wasser aus den Leitungen. Hier tragen die Ärzte keinen Revolver in ihrem Kittel. Hier sind die Bettlaken sauber.

In Gauting assistiert Nusrah bei Lungenoperationen. Für ihn Routineeingriffe - nur daß er diesmal keine US-amerikanischen Kugeln entfernt, sondern Krebsgeschwüre von Rauchern.

Sein letzter Patient in Irak lag freilich nicht bereits narkotisiert auf einem vorbereiteten Operationstisch, sondern taumelte, blutspuckend, das T-Shirt von Blut durchgeweicht, in seine Arme. "Die Amerikaner haben mich angeschossen", brüllte er; Nusrah mußte ihn sofort operieren.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt der Irak nur 38 Euro pro Kopf im Jahr für die Gesundheit seiner Bürger aus. Auf 10 000 Menschen kommen sechs Ärzte. In Deutschland sind es 36. Dafür gibt der Staat etwa 2900 pro Kopf und Jahr für die Gesundheit aus.

Vor allem in Krankenhäusern erhalten die irakischen Mediziner immer wieder anonyme Drohbriefe. Darin wird ihnen Gewalt angedroht, sollten sie nicht unverzüglich ihre Arbeit aufgeben und das Krankenhaus verlassen. Die Polizei ist laut IMA machtlos.

Ende 2004 hat auch die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" die Arbeit in dem Land eingestellt. "Offenbar ist jede Person gefährdet, die mit internationalen Hilfsorganisationen in Verbindung gebracht wird", war die Begründung.

Der Exodus von Ärzten hat Folgen. Tag für Tag drängen sich vor Nusrahs Krankenhaus in Bagdad bis zu 3000 Patienten vor dem Haupttor und in den Fluren. Es fehlt an Verbandszeug, Handschuhen, Seife. Sterile Nadeln sind Mangelware, in vielen Toiletten steht das Abwasser bis zum Rand. Oft fällt die Elektrizität für 18 Stunden aus, nur mühsam können Generatoren dann das Notversorgungssystem am Laufen halten.

Vor kurzem haben Verwandte eines Patienten Nusrah Geld für ein Narkosemittel angeboten, weil sie dachten, er habe die Medikamentenknappheit selbst verursacht, um sie nun zu erpressen. Sie wollten ihm nicht glauben, vielleicht, weil er Christ ist. Im Irak gilt er manchen als "Ungläubiger". Am Ende haben sich alle in dem Krankenhauszimmer gegenseitig angeschrieen.

In Gauting schreit ihn niemand an, niemand beschimpft ihn. Er fühlt sich wie im Paradies. Seife? Verbandszeug? Das sind hier keine Probleme. Die Asklepios-Klinik hat 40 Bronchoskope zu je 20 000 Euro. Stromausfall? Abwasserprobleme? Gibt es hier auch nicht. Die Klinik ist bestens ausgestattet, hat sogar ein Schlaflabor und Farbstofflaser zur Behandlung von Patienten mit Karzinomen.

Nusrah verschränkt die Hände hinter den Rücken und schaut aus dem Fenster. Vor dem Krankenhaus blickt der Doktor auf einen akkurat geschnittenen Rasen mit saftig grünen Tannen darauf. Auf dem Parkplatz reihen sich BMW aneinander. Nusrah würde am liebsten bleiben. Seinen Beruf ausüben, ohne Angst zu haben.

Als die sieben Männer ihn bedrohten, konnte er sich mit 4000 Dollar freikaufen - fast dem Doppelten des durchschnittlichen Jahreseinkommens in Irak. Danach küßten sie ihn alle einzeln auf die Wange und sagten: "Jetzt sind wir wieder Freunde. Wir haben ein Kind verloren, aber werden ein neues Kind haben."

Und sie unterzeichneten mit ihren linken Daumen eine Art Schutzbrief. Auf dem steht geschrieben, daß sie dafür verantwortlich gemacht werden können, falls Nusrah etwas zustößt.

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