Intensiv, rätselhaft, eigensinnig: die Gemälde der "Schlumper"

Von Frank Keil Veröffentlicht:

Als die Hamburger Künstlergruppe "Die Schlumper" Ende der Neunziger Jahre beim örtlichen Kunstverein wegen einer Ausstellungsmöglichkeit nachfragte, lehnte dessen damaliger Leiter Stephan Schmidt-Wulffen entschieden ab.

Kunst - so beschied er freundlich, aber unmißverständlich den Künstlern - setze stets einen intellektuellen Prozeß der Reflektion voraus. Der aber sei bei ihnen als geistig Behinderten nun einmal so nicht gegeben.

Die Schlumper ließen sich davon nicht beirren, und es folgten Ausstellungen in Gugging, Prag oder Chicago. Zur Zeit präsentiert die altehrwürdige Hamburger Kunsthalle eine Übersicht über die Arbeit der Künstlergemeinschaft.

Start vor 25 Jahren in den Alsterdorfer Anstalten

Damit vollendet sich eine Erfolgsgeschichte, seit vor 25 Jahren der Künstler Rolf Laute eine Wandmalerei auf dem Gelände der damaligen Alsterdorfer Anstalten nicht still für sich fertigte - sondern die Bewohner des angrenzenden Wohnhauses zur Mitarbeit einlud.

Das Experiment gelang, und bald kamen die von Laute angesprochenen Behinderten nicht mehr aus dem Malen heraus. Die Hamburger Kunstszene reagierte erst neugierig, zeigte sich dann begeistert: Anfangs gingen die ersten Schlumper-Bilder für einige D-Mark über den Tisch, heute müssen Interessierte richtig tief in die Tasche greifen.

Das entspricht einem wesentlichen Kriterium des bürgerlichen Kunstbetriebes: Man pinselt nicht nach Feierabend ein bißchen zur Entspannung, sondern es geht um echte Arbeit und um Gelderwerb.

Auch das Ambiente der Hamburger Ausstellung beweist, daß man es geschafft hat: Das Licht sickert gefiltert durch Oberlichter herab, und Temperaturfühler achten auf das richtige Raumklima.

Graue Klebestreifen auf dem Boden lassen den Betrachter Abstand halten, und mißachtet man dieses, ist sogleich das Bewachungspersonal zur Stelle. Einige Räume weiter folgt dann eine Ausstellung mit Werken von Francis Bacon - die Schlumper befinden sich also in guter Gesellschaft.

Nimmt man sich etwas mehr Zeit und betrachtet man etwa die Schilder mit den Namen der Künstler genauer, fällt auf: Von den 22 Künstlern, die mit ihren Werken vertreten sind, sind in den letzten Jahren acht gestorben. Viele sind schon über 60. So wird dem Betrachter bewußt: Die Künstler waren nicht mehr die Jüngsten, als 1980 ihr Werken und bald Wirken begannen. Alle lebten damals mehr schlecht als recht in verschiedenen Wohngruppen.

Tagsüber wurden sie in diverse Werkstätten verfrachtet, wo sie einfache, ihrem Talent nicht gemäße mechanische Arbeiten zu verrichten hatten. Es ist Laute und seinem Team mehr als zu danken, daß er sie nacheinander zusammen brachte, ihnen je einen festen Atelierplatz einrichtete und dabei mit Geduld und Beharrlichkeit manchen Widerstand brach. Auch vielen Kunsttherapeuten schmeckte es anfangs nicht, daß da einer von außen kam, künstlerische Begabungen entdeckte, umsichtig anleitete und förderte und den einst rundum zu Betreuenden zu einem neuen Selbstbewußtsein verhalf.

Auch der Erfolg gab Laute recht: Besonders jene Behinderten, die bis dahin als renitent bis arbeitsunfähig galten, verblüfften mit ihren Werken, bei denen es sich eben nicht um Zufallsprodukte handelte, sondern um Kunst. Wie nebenbei wurde das Schlumper-Projekt so Vorreiter einer Entwicklung, die noch lange nicht abgeschlossen ist: raus aus den Anstalten, hinein ins öffentliche Leben.

Seinerzeit umgab noch eine Mauer die Alsterdorfer Anstalten, in denen etwas Schlumper-Star Uwe Bender lebte - und Rolf Laute als Sohn des einstigen Verwaltungsleiter der Anstalten aufwuchs. Heute präsentiert sich die Stiftung Alsterdorf als offenes Viertel mit Einkaufsmöglichkeiten und kleinen Betrieben mit Dienstleistungen für jedermann.

Zurück zur Ausstellung und dem, was zu sehen ist: Intensiv sind die Bilder, oft rätselhaft, eigensinnig und keinesfalls nur farbenfroh, fröhlich oder gar naiv. Vergleichsweise ungebrochen dominieren Landschaften, Personengruppen, Tiere oder eben abstrakte Farbflächen, die in ihren kompositorischen Anlagen keinen Vergleich mit Werken der neuen Moderne zu scheuen brauchen.

Die Schlumper haben einen eigenen Malstil entwickelt

Schnell wird auch klar: Den Schlumpern ist es gelungen einen bis heute unverkennbaren Malstil zu entwickeln, wie überhaupt die Malerei das A und O ihres Wirkens ist. Zwar gibt es vereinzelt kleinere Skulpturen, und der Schlumper Hans-Ulrich Iden darf besten Gewissens als Performance-Künstler bezeichnet werden, wenn er etwa in seinen ausufernden, aber stets sehr liebevoll ausgestatteten Pappkulissen sehr schräg Hans-Albers-Lieder zum Besten gibt.

Doch überwiegen eben mal großflächige und farbintensive Gemälde wie die Farbpartituren von Irma Sass (1911 bis 1998); dann wieder folgen fein ausgearbeitete Zeichnungsreihen wie die "48 Blätter aus drei Handtaschenbüchern" von Clara Zwick, einer Schlumperin der ersten Stunde, vor zwei Jahren gestorben.

So umweht denn diese Ausstellung bei aller Genugtuung über die nun kunstamtlich vollzogene Anerkennung der Künstlergruppe auch ein Hauch des langsamen Abschiedes von der Gründergeneration. Und die Nachfolger? Martin Gertler (Jahrgang 1972) zeigt ein wuchtiges, scheinbar grob gemaltes Selbstporträt, Bernd Wicklein (Jahrgang 1963) hat sich auf konzentrierte Gestalten vor hellblauen Untergründen verlegt.

Damit bewegen sich beide in Ausdruck und Malweise in der Tradition der Gruppe. Man wird sehen, was in Zukunft kommt. Wobei zu Pessimismus kein Anlaß besteht: Alle 24 Plätze im heute eigenständigen Atelierhaus der Schlumper im Hamburger Szeneviertel Schanzenviertel sind derzeit besetzt. Und so kann der Besucher am Ende des Rundganges getrost ausrufen: Auf die nächsten 25 Jahre!

Die Ausstellung "Die Schlumper" in der Hamburger Kunsthalle läuft noch bis zum 29. Januar. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen. Infos unter www.kunsthalle-hamburg.de oder unter www.schlumper.de

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