Ein Autor, der am liebsten Arzt geworden wäre

KÖLN (kbr). Wenn von den Begründern des modernen Theaters die Rede ist, darf ein Mann nicht fehlen, der ursprünglich für die Heilkunde vorgesehen war: Henrik Ibsen wollte zunächst Medizin studieren und Arzt werden. Absolviert hat er eine Apothekerlehre. Geworden ist er schließlich der wohl meistgespielte Dramatiker nach Shakespeare. Heute jährt sich sein Todestag zum 100. Mal.

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Der 1828 im norwegischen Skien geborene Sohn eines reichen Kaufmanns und einer deutschen Mutter verbrachte 27 Jahre seines Lebens außerhalb Norwegens, vor allem in Rom, Dresden und München. Als der zeitlebens introvertierte Autor 1891 in seine norwegische Heimat zurückkehrte, war er bereits berühmt.

Ibsens Oeuvre umfaßt 25 abendfüllende Stücke. Das Spektrum seiner noch heute viel gespielten Bühnenwerke reicht von historisch-dramatischen Frühwerken über die meisterhaften gesellschaftskritischen Dramen der mittleren Jahre bis zum Alterswerk, in dem zunehmend psychoanalytische und symbolistische Elemente anklingen.

Ibsens frühes heilkundliches Interesse hat in seinen Theaterstücken vielfältige Spuren hinterlassen, besonders in den berühmten sozialkritischen Dramen. In "Gespenster" (1881) etwa thematisierte er die vermeintliche Vererbung von Geschlechtskrankheiten und warf die Frage nach aktiver Sterbehilfe auf.

In "Ein Volksfeind" prangerte er die hygienischen Mißstände des damaligen Badewesens an. Und in "Rosmersholm" (1886) gelang ihm eine Darstellung der Inzestproblematik und des Ödipuskomplexes, die selbst Sigmund Freud Respekt abnötigte.

Ibsens Oeuvre ist eine Ansammlung kranker und schwieriger Charaktere, wenngleich sie medizinisch und psychopathologisch oft übertrieben und inkorrekt gezeichnet sind. Da ist etwa der syphiliskranke Oswald Alving in "Gespenster", da sind Figuren wie der Phantast "Peer Gynt" und die Hysterikerin "Nora" in den gleichnamigen Dramen oder auch die junge Hedwig, die in "Die Wildente" im Suizid endet.

Ibsen funktionalisierte auch mehrere Ärzte für seine dramaturgischen Intentionen. Während etwa Dr. Rank in "Nora" eher randständig bleibt, kommt Dr. Relling in "Die Wildente" eine tragende Rolle zu. "Nehmen Sie einem Durchschnittsmenschen die Lebenslüge", läßt ihn Ibsen im 5. Akt der "Wildente" eines seiner berühmtesten Zitate sagen, "und Sie nehmen ihm zu gleicher Zeit das Glück".

Besondere Bedeutung kommt schließlich Dr. Stockmann zu. Der engagierte Kurarzt deckt auf, daß Industrieabwässer das Trinkwasser der Stadt verseuchen, in der er praktiziert. Der "Volksfeind", so der Titel des unvermindert aktuellen Bühnenstücks, kämpft jedoch einen einsamen Kampf gegen die Profitgier und Verlogenheit der Gesellschaft - und Ibsen identifizierte sich mit seinem Helden: "Der Doktor Stockmann und ich sind so vortrefflich miteinander ausgekommen", bekannte Ibsen in einem Brief an seinen Verleger.

Identifizierung mit seinem Arzt war auch an Ibsens Lebensende vonnöten. Nach einem dritten Schlaganfall 1903 wurde der inzwischen schreibunfähige Autor von Dr. Edvard Bull behandelt. In den verbliebenen drei Jahren als Ibsens Hausarzt machte dieser laut Ibsen-Biograph Robert Ferguson über tausend Visiten, ehe der Vater des modernen Dramas in Kristiania (heute Oslo) starb.

Im Ibsen-Jahr 2006 findet im In- und Ausland ein reichhaltiges Bühnen- und Veranstaltungsprogramm statt. Weitere Infos dazu im Internet: www.ibsen.net

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