UND SO SEH' ICH ES

Das Runde muß ins Eckige - alles andere hat bis zum 10. Juli Zeit

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Deutschland steht Kopf. Man versteht die Welt nicht mehr. Da geschieht Tag für Tag so viel auf diesem Globus, auch bei uns im Land, aber das interessiert derzeit niemanden. Alle haben nur eins im Sinn: Das Runde muß ins Eckige. Alles andere ist Nebensache.

Ältere würdige Herren benehmen sich wie Kinder. Nach 17 Uhr sieht man kaum noch einen Patienten in der Praxis, der Apotheker begrüßt seine Kunden in brasilianischem Shirt, weil seine Frau aus diesem Land stammt, und seine ganze Familie hat eher Ronaldo und Ronaldinho im Sinn als die Kunden im Laden. Es gibt nur ein Thema - die Fußball-WM 2006.

Sogar der Herr Schulrat im Ruhestand, der in der Praxis normalerweise endlos über die Regierung, Gesundheitsreform, Krankenkassen und vor allem über seinen Arzt schimpft, der ihm nicht mehr das verschreibt, was er doch immer hatte, und der auch kaum mehr Zeit hat, all sein Jammern anzuhören, und dem er doch seit mehr als dreißig Jahren die Treue hält - dieser Schulrat klagt derzeit nur über die FIFA, die schlechten Schiedsrichter, die von der Abseitsregel keine Ahnung haben, und über Spiele, die das nicht halten, was sie versprechen, und die jedesmal eigentlich ganz anders hätten ausgehen müssen. Und vergißt, warum er überhaupt in die Praxis gekommen ist. Weg ist er - das nächste Spiel beginnt schon in wenigen Minuten ...

    Nach 17 Uhr kommen kaum noch Patienten in die Praxis.
   

Auch die Matadoren der großen Koalition, die am Sonntag sieben Stunden lang im Kanzleramt über den drei großen Reformen Föderalismus, Gesundheit und Steuern geschwitzt haben, hätten sich regelmäßig über die Verteilung der roten und gelben Karten des russischen Referees referieren lassen, wie nach außen verlautete. Auch beim Regieren wird also in keinem Moment vergessen, daß die Fußball-WM ihre Zelte in Deutschland aufgeschlagen hat.

Die Psychotherapeuten gerieten in Clinch über die Beurteilung des spanischen Schiedsrichters, der in der letzten Minute einer überaus üppig bemessenen Verlängerung den Italienern einen Elfmeter zugesprochen hatte und damit die sympathischen Australier zurück in Richtung Heimat expedierte.

Die einen meinten, daß es eine außergewöhnliche Affekthandlung war und zugleich Beweis dafür, daß Fingerspitzengefühl für manche wohl ein völlig abstrakter Begriff sei. Die anderen deuteten es eher als Pfiff in einer hochmanischen Phase, um aller Welt zu zeigen, daß nicht etwa die Italiener, sondern er die Australier besiegt habe. Wie hat sich doch Nero in der Geschichte unsterblich gemacht?

Nicht einmal der Abschuß von "Bruno", dem seit Jahren ersten Braunbären in den deutsch-österreichischen Alpen, der inzwischen von bayerischen Jägern erschossen wurde, weil er sich gemäß seiner ureigenen Natur verhielt, und der, wenn er Hunger hatte, sich Nahrung auf seine Art und Weise suchte, brachte allzu viele Naturschützer und Tierfreunde auf die Barrikaden - jetzt, wo die deutsche Elf sich mit den Argentiniern messen soll ... Es ist fast schon anzunehmen, daß für den Fall, daß Deutschland auch diese hohe Hürde nimmt, von Passau bis Flensburg der Ruf erschallt: "Klinsmann for President" und sich alle, egal, ob sie sich kennen oder nicht, in die Arme fallen werden.

Dennoch: Nicht nur am Aschermittwoch ist alles vorbei. Auch am 10. Juli 2006. Und der Alltag mit all seinen Problemen und Problemchen, die wir über dem Spiel mit dem runden Ball so schön vergessen konnten, wird uns dann wieder haben. Das befürchtet

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