Eine bessere Zukunft für kranke irakische Kinder

Von Pete Smith Veröffentlicht:

Dr. Jabbar Said Falyh schüttelt den Kopf. "Sehen Sie", sagt er und legt die nächste Farbkopie auf den Tisch, "dieses Mädchen hier, es hat keinen Anus. Es scheidet den Kot über die offene Blase aus. Wissen Sie, sie ist schon sieben! Sieben Jahre lang lebt das Mädchen so, das kann man sich doch nicht vorstellen, oder?"

Jetzt soll das Martyrium des irakischen Mädchens endlich ein Ende haben. Said Falyh, in Frankfurt am Main niedergelassener Kinderarzt, hat von einer Klinik in Köln die Zusage erhalten, die Siebenjährige kostenlos zu operieren. Auch für sechs weitere irakische Kinder liegen entsprechende Versicherungen deutscher Kliniken vor, etwa für einen 13-jährigen Jungen, der auf eine Mine getreten ist, einen Dreijährigen mit angeborener Harnröhrenfehlbildung und ein fehlsichtiges Kind. Kliniken in Rottenburg, Mainz und Frankfurt am Main haben hier ihre Hilfe zugesagt. Der 62-jährige Kinderarzt ist glücklich. Wieder sieben Kinder, die eine Zukunft erhalten.

Im Irak benötigt der Pädiater eine bewaffnete Begleitung

Für seine Mission reist Dr. Jabbar Said Falyh mindestens zweimal im Jahr in den Irak. Schon das klingt einfacher, als es ist. "Ich reise über Kurdistan, Syrien oder Kuweit ein", erzählt er. "An der Grenze werde ich von meinen Verwandten abgeholt. Dann fahren wir im Konvoi nach Bagdad. Immer mit bewaffneter Begleitung. Sonst werde ich entführt, denn man glaubt, dass ich reich bin, und im Irak ist auch der Polizei nicht zu trauen."

Während seines Aufenthalts werden die Privathäuser, in denen er unterkommt, zur Praxis umfunktioniert. Dort untersucht er dann jene Kinder, die für eine Operation in Deutschland infrage kommen. Im Anschluss daran beginnt der unangenehme Teil seiner Mission: die Beschaffung der Papiere. Hierbei arbeitet er mit dem Frankfurter Arzt Professor Ulrich Gottstein, Ehrenvorsitzender der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) und seit Jahrzehnten in der Irak-Hilfe engagiert, zusammen.

Gottstein hat gute Kontakte zur deutschen Botschaft im Irak. Trotzdem sei es oft eine "Katastrophe", an ein Visum für eines der schwer kranken Kinder heranzukommen. Nötig sind unter anderem eine offizielle Einladung und die Zusicherung, dass jemand für die irakischen Gäste aufkommt. "Ich bürge für das Kind und einen Begleiter", erzählt der Kinderarzt. So vermittelt er die Patienten an eine irakische Familie in Deutschland, die sie aufnimmt und bewirtet oder kümmert sich selbst um die Kinder und ihre Begleiter. Trotzdem dauert es mitunter bis zu einem Jahr vom Erstkontakt bis zur Operation.

Seit 2003 hat Said Falyh etwa 60 Kinder nach Deutschland geholt. Etliche Familien hoffen im Irak auf seine Hilfe. "Ich habe allein 36 Patienten mit angeborenen Herzfehlern", sagt der Arzt, "aber ich kann sie unmöglich alle in Deutschland unterbekommen." Kontakte gebe es bereits zum Herzzentrum in Berlin und zur Gießener Uniklinik. Doch die Kapazitäten sind begrenzt. Wenn die IPPNW nicht für den Transport der jungen Patienten nebst ihrer erwachsenen Begleiter sowie für die Versicherung der Kinder aufkommen würde, könnte keiner der jungen Patienten nach Deutschland kommen.

In Zukunft soll es ein Zentrum für behinderte Kinder geben

Jabbar Said Falyh lebt seit 42 Jahren in Deutschland. Er hat in Mainz studiert und vor zwölf Jahren seine Praxis in Frankfurt am Main eröffnet. Jetzt ist er 62 und weiß, dass er nur noch drei, vier Jahre in der Praxis arbeiten wird. Trotzdem wird er auch als Rentner nicht zur Ruhe kommen. Im Süden Iraks will er ein Zentrum für behinderte Kinder eröffnen. Auf dem Land seines Vaters. "Die behinderten Kinder sind am schlimmsten dran", sagt Said Falyh. "Sie werden wie Dreck behandelt."

Zunächst sollen zwei irakische Pflegekräfte in Deutschland ausgebildet werden, die Diakonie in Bad Kreuznach habe bereits ihre Unterstützung zugesagt. Weitere sollen folgen. In ein paar Jahren könnte das Zentrum seine Arbeit aufnehmen. Dann will Said Falyh den Winter dort und den Sommer hier verbringen. Ein Wandler zwischen den Welten. "Das ist wohl mein Schicksal", sagt er und lächelt.

Kollegen, die die Hilfe für irakische Kinder unterstützen wollen, wenden sich an Dr. J. Said Falyh, Tel.: 069 / 46 10 03, Email jabbar.said-falyh@telemed.de



Medizinische Notlage im Irak

Bis zum Einmarsch von Saddam Husseins Truppen nach Kuweit 1990 verfügte der Irak über eines der besten Gesundheitssysteme des Vorderen Orients. Das änderte sich mit dem 2. Golfkrieg und dem vom UN-Sicherheitsrat verhängten Embargo, in dessen Folge über 1,5 Millionen Iraker, meist Kleinkinder, wegen fehlender medikamentöser Behandlung und unzureichender Ernährung starben. Nach einer vorübergehenden Verbesserung der Situation durch das "Öl-für-Nahrungsmittel-Programm" verschlimmerte sich die Lage mit Ausbruch des 3. Golfkriegs 2003. Außer dem Mangel an Nahrung und Medikamenten macht dem Land ein beispielloser Exodus von Ärzten zu schaffen. Etwa ein Viertel der 18 000 irakischen Ärzte soll seit Kriegsende 2003 wegen der katastrophalen Sicherheitslage das Land verlassen haben. Bis August 2006 wurden 218 Morde an Ärzten und Wissenschaftlern dokumentiert. (Smi)

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