"Angst, dass ich mein Kind kaputt mache"

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KÖLN. Hilfe für Kinder von gewalttätigen Eltern bietet das Kinderschutzzentrum Köln. Misshandlungen und Vernachlässigung von Säuglingen und Kleinkindern - ein Thema, das in Deutschland zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Von Youriko Wahl

Der zweijährige Patrick kann kaum laufen, ist motorisch deutlich zurückgeblieben - sein ungeduldiger Vater rastet immer wieder aus und schlägt auf ihn ein. Eine psychisch kranke, drogensüchtige Frau versorgt ihr Baby nur in ihren stabilen Phasen, überlässt es sonst seinem Schicksal. "Ich habe Angst, dass ich mein Kind kaputt mache", gesteht ein Vater im "Elterncafé" des Kölner Kinderschutzzentrums nach vielen Gesprächen. "Die Fähigkeit zur Erziehung hat erheblich nachgelassen", sagt Kinderärztin und Therapeutin Corinna Bächer vom Kinderschutzzentrum. "Wir erleben einen ganz großen Hilfsbedarf; Eltern, die zuschlagen, die völlig überfordert sind."

In Deutschland werden tausende Säuglinge und Kinder misshandelt, sind Jungen und Mädchen schlagenden Eltern ausgesetzt. Statistisch gesehen sterben nach Angaben des Bundes Deutscher Kriminalbeamter jede Woche drei Kinder an den Folgen von Gewalt oder Vernachlässigung. Das Kinderhilfswerk UNICEF spricht von 100 Jungen und Mädchen, die im Jahr 2006 Opfer tödlicher Gewalt wurden.

Immer wieder Schlagzeilen über verhungerte Babys

Für erschütternde Schlagzeilen sorgen Eltern, die ihre Babys verhungern oder verdursten lassen, die Neugeborene ersticken oder zu Tode schütteln. Schätzungen gehen davon aus, dass fünf bis zehn Prozent aller Kinder bis sechs Jahre vernachlässigt werden.

"Wir erleben körperliche Misshandlung und teilweise auch sehr harte seelische Misshandlung", sagt Bächer. Das Kölner Schutzzentrum bietet fast täglich etwa mit dem "Elterncafé" und einem therapeutischen "Spielraum" Hilfen für belastete Familien. Der Zulauf ist riesig. "Die Angebote sind bewusst niedrigschwellig, um das Kommen zu erleichtern."

Während die Kleinkinder spielen oder turnen, sprechen Bächer und ihre Mitarbeiterinnen in lockerer Atmosphäre mit den Eltern. "Wir bauen Vertrauen auf, verurteilen niemanden, geben auch den Müttern ganz viel Zuwendung, legen aber in Einzelgesprächen den Finger deutlich in die Wunde." Therapien werden vermittelt, in schlimmen Fällen beim Jugendamt auf eine Fremdunterbringung des Kindes gedrängt. "Wir schaffen es, Zugang zu Leuten zu bekommen, die von sich aus niemals eine Beratungsstelle aufsuchen würden."

Das Problem ist von Politikern längst erkannt. Um Vernachlässigung und Misshandlungen früher und besser erkennen und bekämpfen zu können, stellte Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) das Nationale Zentrum Frühe Hilfen in Köln vor. "Wenn Hilfe und Intervention nicht früh ansetzen, sind Störungen beim Kind später nur schwer und mühsam zu reparieren", betont Elisabeth Pott, Direktorin der Kölner Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), wo das neue Zentrum angesiedelt ist. Es soll verschiedene Angebote und Kompetenzen zusammenbringen, vorbildliche Projekte aufzeigen, neue Initiativen unterstützen.

Noch zu wenige Hilfsangebote

Es gebe bereits gute Angebote, allerdings noch zu wenig, meint Pott. Außer der Kölner Initiative gilt auch das Projekt "Zukunft für Kinder" in Düsseldorf als vorbildlich: Geburtskliniken, Jugend- und Gesundheitsamt, Frauen- und Kinderärzte sowie Hebammen arbeiten Hand in Hand. "Es hat sich erwiesen, dass man auch an die schwierigen Fälle mit ganz früher Hilfe und Intervention rankommt", sagt Mit-Initiator Peter Lukasczyk. "Nur ganz Wenige verweigern die Hilfen." Ist etwa eine Schwangere suchtkrank, zeigt ein Säugling Entwicklungsstörungen, so melden das Hebammen oder Kliniken an ein Team aus Arzt, Kinderkrankenschwester und Sozialarbeiterin. Die Familien werden aufgesucht, ein individueller Hilfe-Plan erstellt.

"Wenn wir Kindesmisshandlung und Vernachlässigung vorbeugen und verhindern wollen, brauchen wir ein Rundum-Paket, denn wir haben es mit Eltern mit multiplen Problemen zu tun", betont Corinna Bächer vom Kinderschutzzentrum. "Gewaltfreies Erziehen", sagt sie, "kann man lernen."

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