In Südafrika reicht es nicht, Kondome zu verteilen

In Südafrika ist Aids die häufigste Todesursache. Das unzureichende Engagement der Regierung gegen die Ausbreitung des HI-Virus versuchen Initiativen und Unternehmen auszugleichen. Ärzte sind bei den Bemühungen gegen steigende Neuinfektionsraten in vorderster Reihe dabei.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:

Die Lagune des Touristenstädtchens Knysna in Südafrika spiegelt grüne Hügel und einen blauen Himmel wider. Mit ihrer fantastischen Lage am Indischen Ozean und dem angenehmen Klima lockt die 60 000-Einwohner-Stadt an der beliebten Garden Route immer mehr Touristen an. In Luxushotels mit Golfplatz und Spa-Ressort zahlen sie bis zu 650 Euro pro Nacht. Einige Hügel weiter löst beschämende Armut diesen Reichtum ab. In der traumhaften Landschaft wirken zwar selbst die Townships mit ihren einfachen Häuschen und noch simpleren Bretterbuden und Wellblechhütten fast malerisch. Doch die Idylle trügt. Die Bewohner kämpfen mit Hunger und Krankheiten - allen voran HIV/Aids und Tuberkulose.

Wie die Lagune die umliegende Landschaft, so spiegelt die Stadt die Verhältnisse des Landes wider. 60 Prozent der Bevölkerung leben von 20 Prozent des Einkommens. Die HIV-Prävalenz liegt in ganz Knysna laut Stadtverwaltung bei elf Prozent, im Stadtteil Concordia in den Townships dagegen beträgt sie 50 Prozent.

In Südafrika steigt die Zahl der Neuinfektionen beständig

Südafrika zählt zu den Ländern mit den höchsten HIV-Infektionsraten weltweit, und das Problem wächst weiter, denn die Zahl der Neu-Infektionen steigt stetig. "Ich denke, es gibt keinen Südafrikaner, der nicht jemanden kennt, der an Aids gestorben ist", sagt die Ärztin Dr. Natalie Mayet. Ihre vorsichtige Formulierung zeigt, dass HIV in Südafrika noch immer ein Problem ist, mit dem nur bedingt offen umgegangen wird. Denn zugeben würde kaum ein Südafrikaner, dass Aids einen Verwandten oder gar ihn selbst betrifft. Die Menschen leiden und sterben offiziell meist an Tuberkulose. Das ist immerhin die halbe Wahrheit, denn beide Krankheiten gehen oft miteinander einher.

Auch auf der politischen Agenda spielen HIV und Aids nicht die Rolle, die sie ihrer Häufigkeit nach einnehmen müssten. Die südafrikanische Regierung hat im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 andere Probleme zu bewältigen, allen voran die wachsende Kriminalität.

Gesundheitsministerin steht im Kreuzfeuer der Kritik

Hinzu kommt, dass die Gesundheitsministerin ihre Glaubwürdigkeit verloren hat, seit sie jüngst bei einem Krankenhaus-Aufenthalt als Alkoholikerin entlarvt wurde. Für ihre Aids-Politik steht die Politikerin ohnehin im Kreuzfeuer. So hat sie die Sangoma-Medizin der traditionellen Heiler Welt-Aids-Konferenz 2006 in Toronto hoch gelobt, ohne die Möglichkeiten moderner Medikamente auch nur zu erwähnen. Und erst kürzlich musste die Regierung 25 Millionen kostenlos verteilte Kondome zurückrufen, weil sie fehlerhaft waren.

Nichtregierungsorganisationen versuchen es besser zu machen. Eine der größten ist Lovelife. Die Organisation bildet junge Erwachsene zu so genannten Groundbreakers aus, die mit Jugendlichen in Townships über die Gefahren von HIV/Aids und Schutzmaßnahmen sprechen. Dabei ist die Präventionsstrategie von Lovelife eingebettet in ein Gesamtkonzept, das Jugendlichen in Townships Chancen und Perspektiven eröffnen will. In 17 Jugendzentren landesweit halten die Groundbreaker Trainingskurse in Sachen Selbstbewusstsein, Konfliktmanagement und Kommunikationsfähigkeit ab. "Was HIV in Südafrika befördert, ist die Lücke zwischen arm und reich", sagt Lovelife-Geschäftsführer Dr. David Harrison. Nach Meinung des Mediziners reicht es nicht, nur die Verwendung von Kondomen zu predigen. "Die Jugendlichen brauchen Perspektiven und ein Gefühl der Zugehörigkeit."

Gut ausgebildete Arbeitnehmer gehen den Firmen verloren

Auch Unternehmen in Südafrika werden aktiv gegen HIV/Aids. Sie tun das nicht nur aus reiner Nächstenliebe oder allein aus Image-Gründen, sondern weil sie mit einem wachsenden Fachkräftemangel zu kämpfen haben. Gut ausgebildete Arbeitskräfte im besten Alter gehen den Firmen wegen Aids verloren. Um gegenzusteuern, investieren sie in HIV-Kampagnen. Eine der ersten Firmen in Südafrika mit einer eigenen Anti-Aids-Strategie war der deutsche Autohersteller BMW. Die Betriebsärztin Natalie Mayet ist stolz darauf, dass 85 Prozent der Belegschaft ihren HIV-Status kennen. Programme an der Krankenstation des Werks ermöglichen zudem, dass HIV-Infizierte möglichst lang weiter arbeiten können. Das funktioniert nur, weil Mayet ein Abkommen mit den traditionellen Heilern in der Umgebung geschlossen hat: Statt Konkurrenz pflegen sie Kooperation. Sie raten, ein traditionelles Mittel nicht statt der Medikamente, sondern zusätzlich zu nehmen, und so halten es die von Mayet geleiteten Krankenstationen umgekehrt auch. Diesem ersten Schritt über die Grenzen des BMW-Werks hinaus folgten weitere. Jetzt hat der Konzern gemeinsam mit Lovelife in Knysna ein weiteres Präventionszentrum eröffnet. Die Eröffnung war für die Bewohner des Stadtteils Concordia ein großes Ereignis. Zu einem glücklichen Moment wurde sie auch für David Harrison. Man heile Menschen, indem man ihnen helfe, so Harrison. Dabei seien ihm seine medizinische Ausbildung und die Kenntnisse in Verhaltenstherapie und Epidemiologie sehr hilfreich. "Ich bin froh, Arzt zu sein."

Die HIV-Strategie von BMW

Anfang November wurde das Lovelife-Zentrum zur HIV-Prävention in Knysna eröffnet. Der Autohersteller BMW hat dessen Bau finanziert. Das Unternehmen engagiert sich seit 2001 gegen HIV und Aids im Werk in Rosslyn. Das Angebot umfasst Aufklärung, Beratung, HIV-Tests und kostenlose Kondom-Abgabe sowie Behandlungsprogramme für HIV-positive Werksangehörige. Zudem werden eine Schule und ein Zentrum mit Krankenstation im Township Soshanguve unterstützt, wo 17 Prozent der Werksmitarbeiter leben. Ein weiteres Programm bringt Familien gesunden Lebensstil und Gemüseanbau bei.

ZUR PERSON

Dr. Natalie Mayet Ärztin, 47 Jahre, zwei Töchter, leitet die Gesundheitsservices von BMW Südafrika. Sie hat ihren ersten AIDS-Patienten 1997 gesehen: "Damals gab es noch keine Medikamente. Wir konnten den Menschen nicht helfen."

Was ist in Ihrem Beruf besonders schwierig?

Wenn Menschen sich nicht helfen lassen wollen und ich zusehen muss, wie sie sterben

Und was sind die schönsten Momente?

Wenn Patienten mich ihren Kindern vorstellen mit den Worten: Dieser Mensch hat mein Leben gerettet.

Was würden Sie tun, wenn Sie Gesundheitsministerin wären?

Ich würde mehr Personal für das Gesundheitswesen zur Verfügung stellen. In der Krankenstation sehen vier Schwestern 5000 Patienten pro Monat. Zudem würde ich ein wirklich umfassendes HIV-Programm auflegen, das gut koordiniert und vermarktet wird.

Dr. David Harrison Arzt, 42 Jahre, zwei Töchter, ist Geschäftsführer von Lovelife Südafrika. Er hat als Medizinstudent Bürgerkriegsopfer versorgt: "Wir mussten sie auf der Straße versorgen, weil die Polizei die Krankenstationen gesperrt hat."

Was ist in Ihrem Beruf besonders schwierig?

Das Geld reicht nie. Wir bekommen etwa 170 000 Euro pro Jahr und bräuchten knapp das Doppelte.

Wenn ich mit jungen Leuten zusammensitze, die berichten, dass sich ihr Leben geändert hat.

Was würden Sie tun, wenn Sie Gesundheitsminister wären?

Es müssten systematische Aids-Programme für Kinder, Heranwachsende und Erwachsene aufgelegt werden. Es müsste mehr in die Ausbildung von Krankenpflegern investiert werden. Und es fehlt an Kinderschutz, etwa gegen sexuellen Missbrauch.

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