Wie ist der Umgangston in der Hausarztpraxis?

KÖLN (frk). Medizinische Fachwörter, belehrende Vorträge, eine laute Stimme - von einem gleichberechtigten Gespräch zwischen Arzt und Patient kann in vielen Hausarztpraxen nicht die Rede sein. Das hat ein Bochumer Student in seiner Magisterarbeit herausgefunden. Ursache für den oft autoritären Umgangston sei danach die hohe Arbeitsbelastung der Mediziner.

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Der Terminkalender ist randvoll, das Wartezimmer auch. Jetzt muss es zügig voran gehen. Für langwierige Diskussionen mit dem Patienten über die richtige Therapie bleibt keine Zeit. Der Arzt muss sich auf anderem Wege durchsetzen. Welche verbalen Mittel er dazu verwendet, hat Tim Peters in seiner Magisterarbeit am Lehrstuhl für Germanistische Linguistik der Ruhr-Universität Bochum untersucht. Dafür wurde er mit einem der Preise an Studierende der Universität ausgezeichnet.

Basis seiner Magisterarbeit waren 100 Konsultationsgespräche bei 52 Düsseldorfer Hausärzten. Die Ärzte hatten eingewilligt, sich zu Studienzwecken heimlich besuchen und die Gespräche aufzeichnen zu lassen. Monate später kamen Studentinnen in die Praxen, die vorgaben, unter Kopfschmerzen zu leiden. Bei der Analyse der Gespräche fiel Peters auf, dass sie alle ähnliche Strukturen aufweisen. "Schon durch die Begrüßung versucht der Arzt, ein bestimmtes Gesprächsmuster zu initiieren", erklärt er.

Basis der Untersuchung waren Gespräche mit 52 Hausärzten.

Meist hätten die Mediziner die Konsulationen mit Sätzen wie: "Guten Tag, wie geht es uns heute?" begonnen. Dadurch fühle sich die Patientin automatisch als Interviewte, wodurch sie Hemmungen habe, den Arzt zu unterbrechen oder zu kritisieren. Mit knappen Fragen, die sie häufig nur mit ja oder nein beantworten könne, versuche der Mediziner zu signalisieren, dass er auch kurze Antworten will. "Durch das Abfragen behält der Arzt die Kontrolle über das Gespräch", sagt Peters. Wenn die Patientin trotzdem zu längeren Ausführungen ansetzte, fiel er ihr häufig ins Wort.

Redseliger seien die Ärzte geworden, als es zu Diagnose und Therapie kam. "Dann kommen die sprachlichen Mittel der Machtausübung voll zum Einsatz", erklärt Peters. Die Ärzte hätten dann oft einen kleinen Vortrag gehalten, gespickt mit für die Patientin unverständlichen Fachwörtern und Wirkstoffbezeichnungen. Die Stimme sei wesentlich lauter als zuvor. So verdeutliche der Arzt seine Fachkompetenz und setze die Patientin verbal unter Druck, seine Therapiewahl zu akzeptieren, erklärt Peters. "Die geforderte kooperative Entscheidungsfindung findet oft nicht statt", lautet sein Fazit.

Peters möchte die Ärzte und ihren Sprachgebrauch jedoch nicht kritisieren. "Meine Magisterarbeit zeigt nur, dass Sprache in institutionellen Situationen nicht nur Trägermedium für Informationen ist, sondern dass allein die Form der Sprache schon verschiedenste Einflusspotentiale enthält", sagt er. Auch in anderen Institutionen wie Gerichten oder Ämtern seien solche Formen sprachlicher Machtausübung zu beobachten. Den Ärzten bleibe wegen des enormen Zeitdrucks oft keine andere Wahl, als einen eher unkooperativen Ansatz zu wählen.

Im Rahmen seiner Dissertation will er das Thema weiter verfolgen.

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