Wer hat Angst vor Doktor Steffo und Kollegen?

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Nonsens im Klinikflur: Thomas Holzer alias Doktor Steffo und seine Klinikclown-Kollegin Yueh Weber-Lu.

Nonsens im Klinikflur: Thomas Holzer alias Doktor Steffo und seine Klinikclown-Kollegin Yueh Weber-Lu.

© Foto: dpa

MÜNCHEN/BERLIN (dpa). Michael schaut skeptisch. Was macht der Kerl mit der roten Nase an seinem Krankenbett eigentlich? Er wuselt mit den Händen in der Luft herum und bläst auf einer Mini-Trompete. Michael ist fast vier Jahre alt und liegt seit ein paar Tagen im Kinderkrankenhaus im Münchner Stadtteil Harlaching. So etwas Seltsames wie diesen Clown hat er noch nicht gesehen. "Clowns, das sind Erwachsene, die komisch aussehen und sich komisch verhalten - da kann man als Kind schon mal ins Grübeln kommen", sagt Thomas Holzer alias "Doktor Steffo".

Holzer arbeitet als Klinikclown und geht mehrmals pro Woche durch die Krankenzimmer, um den Kindern Ablenkung vom oft schmerzlichen Alltag zu bringen und sie durch ein Lachen vielleicht ein bisschen schneller gesund werden zu lassen. Seit Jahren macht der freiberufliche Künstler diesen Job - derzeit aber verfolgt er damit noch ein anderes Ziel. Zusammen mit Hunderten Kollegen will er eine These widerlegen, die in den vergangenen Wochen die Runde machte: Die Behauptung, dass Kinder Clowns eigentlich doof finden oder sie in manchen Fällen sogar hassen.

"In einer Studie der Uni Sheffield wurde festgestellt, dass Kinder in Krankenhäusern oft Angst vor Clownbildern an den Wänden haben", sagt Karin Platzer vom Verein KlinikClowns Bayern (wir berichteten). "Daraus wurde dann im Fernsehen und in Zeitungen die These abgeleitet: Kinder hassen Clowns." Diese Aussage habe sich wie ein Lauffeuer verbreitet. "Das ist eine falsche Interpretation der Studie", meint Platzer. Wie in München sind deutschlandweit viele Vereine aktiv, um mit Spendengeldern Auftritte von Clowns in Kinderkrankenhäusern zu organisieren und zu finanzieren. Die Studie hat für reichlich Aufruhr unter ihnen gesorgt.

Forscher der britischen Uni hatten 260 Kinder im Alter von 4 bis 16 Jahren über die Gestaltung von Kinderstationen befragt. Einige hatten angegeben, dass Clownbilder an den Wänden ihnen Angst machten. Stattdessen wollten sie lieber Comicbilder sehen. "Clown ist ja nicht gleich Clown", sagt Holzer, der dezent geschminkt vor die Kinder tritt. "Oft sind Bilder von Clowns total penetrant - da hätte ich auch Angst vor."

Klinikclown darf nicht jeder werden. Die Komiker brauchen eine spezielle Ausbildung, denn sie müssen spontan und behutsam auf die Kinder reagieren können. "Bei den Roten Nasen werden die Künstler sorgfältig für die sensible Arbeit in Krankenhäusern geschult", sagt Reinhard Horstkotte vom Klinik-Clown-Verein Rote Nasen Deutschland.

"Die Schauspieler, Musiker, Mimen und Artisten lernen in der Figur des Clowns mit den Kindern in Beziehung zu treten. Sie geben ihnen das Gefühl, nicht allein zu sein", sagt Horstkotte. "Wenn wirklich ein Kind mal nicht will, wird das von den Clowns respektiert", sagt Beatrix Schmidt, Chefärztin am Berliner St. Joseph Krankenhaus. Die Clowns könnten beim Gesundwerden durchaus helfen. Die Zuschauer würden zumindest eine Zeitlang von ihren Schmerzen abgelenkt. "Die Kinder lachen, und Lachen ist gesund."

Das bestätigt auch Kabarettist und Mediziner Eckart von Hirschhausen ("Schmidt & Pocher"), der die deutsche Abteilung der Roten Nasen gegründet hat. "Lachen wirkt nachweislich schmerzlindernd", sagt Hirschhausen. "Wäre es nicht toll, wie bereits in Österreich und in der Schweiz, in allen Kinderkliniken Deutschlands Humor therapeutisch einzusetzen?"

Michael blickt mit seinen leicht fiebrig glänzenden Augen Richtung Steffo und dessen Partnerin Yueh Weber-Lu. Als die beiden versuchen, den Kleiderschrank neben seinem Bett zu erklimmen, fängt er an zu lachen - erst nur ganz vorsichtig, dann sprudelt es aus ihm heraus. Da packen die beiden Clowns einen Luftballon aus und werfen ihn in das Krankenbett. Michael springt aus den Kissen - seine Mutter muss schnell den Infusionsschlauch an seiner kleinen Hand festhalten, damit er nicht rausrutscht. Die Clown-Visite ist vorbei, als Michael zum ersten Mal einen Ton herausbringt: "Kommt ihr morgen wieder?"

STICHWORT

Geschichte der Klinikclowns

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde versucht, Patienten in Kliniken mit Hilfe von Clowns seelisch zu unterstützen. 1986 wurden in den USA die ersten Clownprogramme von der "Big Apple Clown Care Unit" etabliert. Der Verein Rote Nasen Deutschland wurde 2003 gegründet. Er sieht seine Aufgabe darin, kranken Menschen die Angst vor Operationen und Untersuchungen zu nehmen und ihre Einsamkeit zu lindern.

Der Verein bildet die Clowns selbst aus. Die Ausbildung umfasst unter anderem Clowntechniken, Improvisationen und Partnerspiele. Außerdem bekommen die angehenden Klinikclowns ein medizinisches und psychologisches Basiswissen vermittelt. Regelmäßige Weiterbildungen, Coachings und Supervisionen gehören ebenfalls dazu.

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