"Fußball ist keine dopingfreie Zone"

FRANKFURT/MAIN. Doping macht im Fußball keinen Sinn, denn niemand spielt besser, nur weil er was gedopt hat: Diese Einschätzung wird von (selbst ernannten) Experten seit vielen Jahren verbreitet - auch gegen besseres Wissen.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Vermutet, dass systematisch gedopt wird: Fußballtrainer Arsene Wenger.

Vermutet, dass systematisch gedopt wird: Fußballtrainer Arsene Wenger.

© Foto: dpa

Dass es im Profifußball nicht nur auf Technik, sondern auch und zunehmend auf Kraft und Ausdauer, Zweikampfstärke, Laufbereitschaft, Konzentration und Spritzigkeit ankommt, wird in diesem Kontext allzu gern verschwiegen - hier macht Doping nämlich sehr wohl Sinn. Das führen auch die seit Jahren wiederkehrenden Skandale vor Augen, die Schlaglichter auf die Dopingpraxis im Profifußball werfen - in Turin, in Marseille und anderswo. Auch Deutschland ist nicht gegen dieses weit verbreitete Übel gefeit, wie die späten Bekenntnisse von Trainern und ehemaligen deutschen Fußball-Profis im vergangenen Jahr gezeigt haben.

Der ehemalige Nationalmannschafts-Torwart Toni Schumacher hatte schon 1987 in seinem Buch "Anpfiff" über Doping im bezahlten Fußball berichtet und war dafür von vielen Kollegen heftig angegriffen worden. Damals ging dem Thema niemand ernsthaft nach, und auch in den 1990er Jahren gelang es Spielern wie Funktionären auf wundersame Weise, die Diskussion über unerlaubte Leistungsmanipulationen im Profifußball weitgehend aus der öffentlichen Diskussion zu halten.

Amphetamine sind auf dem Platz weit verbreitet

Gedopt wurde im Geheimen. Beim französischen Erstligisten Olympique Marseille berichteten ehemalige Spieler später, dass ihnen um die Zeit des Champion-League-Gewinns 1993 regelmäßig Spritzen verabreicht worden seien: Sie hätten "schärfer und wacher" gemacht, was auf die Gabe von Amphetaminen hinweist. Ein italienisches Gericht hat erst im vergangenen Jahr geurteilt, dass von 1994 bis 1998 beim Traditionsclub Juventus Turin planmäßig mit Erythropoetin (EPO) gedopt worden ist. Allerdings sind die Vergehen längst verjährt, weshalb der Verein bis auf den Imageverlust keine Konsequenzen tragen musste. Der renommierte Trainer Arsène Wenger, der zwischenzeitlich auch als möglicher Trainer der Bayern im Gespräch war, vermutete noch vor drei Jahren, dass in Europa systematisch mit EPO gedopt werde und bezog sich auf auffällige Blutwerte von Spielern - Namen nannte er jedoch nicht. Auch der spanische Dopingarzt Eufemiano Fuentes, bekannt geworden durch den Dopingskandal im Radsport, hat mehrfach behauptet, auch spanische Profifußballer in seiner Kartei geführt zu haben. Dass auch Weltklassespieler dopen, wurde bekannt, als in der Saison 2000/2001 in Italien Spieler wie Frank de Boer, Edgar Davids und Fernando Couto der Einnahme von Nandrolon überführt wurden.

Hierzulande begann die Mauer des Schweigens im vergangenen Jahr zu bröckeln, als der Ex-Bayern-Profi Paul Breitner, der 1974 mit Deutschland Weltmeister wurde, aussagte, auch in der Bundesliga sei gedopt worden. Daraufhin bekannte Nationaltorhüter Jens Lehmann, dass in seiner Anfangszeit bei Schalke 04 einige Spieler das Amphetamin-Derivat Fenetyllin (Captagon®) eingenommen hätten. Das wurde prompt von dem derzeit vereinslosen Fußball-Trainer Peter Neururer bestätigt, der gar behauptete, dass die Einnahme des Aufputschmittels in den 80er Jahren in der Bundesliga gang und gäbe gewesen sei.

Dies sagten auch Ex-Profis wie Benno Möhlmann und Jürgen Röber aus, die heute ebenfalls als Trainer tätig sind. Zwei ehemalige Teamärzte von Eintracht Braunschweig, Peter Harms und Jürgen Stumm, bekannten ebenfalls, von der Verbreitung des Amphetamin-Derivats in den 70er und 80er Jahren gewusst zu haben. An der Vergabe seien sie selbst jedoch nicht beteiligt gewesen.

Dagegen wetterte der ehemalige DFB-Teamarzt Professor Wilfried Kindermann gegen Neururer: "Es ist ein Hammer, wenn er sagt, Ende der 80er Jahre hätten 50 Prozent der Spieler gedopt. Das wird er nicht beweisen können." Er selbst sei nie von Fußballern nach Dopingmitteln gefragt worden und hätte nie das Gefühl gehabt, "dass da was an mir vorbeiläuft". Allerdings glaubt auch Kindermann nicht, dass alle Spieler eine weiße Weste haben oder hatten: "Der Fußball ist keine dopingfreie Zone."

Pro Bundesligasaison gibt es etwa 70 Trainingskontrollen

Regelmäßige Dopingkontrollen sind erst 1988 in der Fußball-Bundesliga eingeführt worden. Heute werden nach jeder Bundesliga-Begegnung zwei Spieler pro Mannschaft ausgelost und zur Urinprobe gebeten. Hinzu kommen etwa 70 Trainingskontrollen. Experten wie Professor Klaus Müller, Leiter des Dopinglabors in Kreischa nahe Dresden, plädieren für eine Ausweitung der Tests vor allem auf EPO. Und Professor Tim Meyer, Internist der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, regte an, die Kontrollen intelligenter zu gestalten.

So müsse man gerade in der intensiven Vorbereitungsphase auf Turniere häufiger und gezielter testen. "Das kann an einem Tag unter Umständen auch zweimal sein. Vermehrte Kontrollen können dem Fußball nur gut tun."

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